Die Fleischereifachverkäuferin vom Laden gegenüber stürmt in die Apotheke. Sie wollte „nur mal schnell“ zwei Hähnchen entbeinen – ohne Handschuhe. Die linke Hand trieft vor Blut. Was ist jetzt zu tun?
Schlimme Schnitt- oder Bisswunden, manchmal auch Verbrennungen: Was wir hier in der Apotheke zu sehen bekommen, das kann einem schon mal den Schlaf rauben.
Die Frage ist: Wieviel Arzt steckt in uns – also ab wann muss das Apothekenpersonal helfen und ab wann dürfen wir es nicht und machen uns sogar starfbar?
Im Sommer ist die Schürfwunde wohl die häufigste Art von Verletzung, mit der man in der Apotheke konfrontiert wird. Eine Mutter kommt mit dem weinenden – und meistens am Knie oder den Handflächen blutenden – Kind im Arm hereingestürmt und möchte schnell versorgt werden. Der erste Impuls ist vermutlich pusten, das Kind beruhigen und ein Pflaster draufkleben, damit man die Wunde nicht sieht. Doch das ist falsch, denn gerade Schürfwunden enthalten häufig noch Dreck oder Steinchen von der Straße.
In der Apotheke bedeutet das, dass man das Kind erst einmal hinsetzen und sich beruhigen lässt. Die Wunde darf ruhig noch etwas ausbluten, das reinigt schon ein wenig vor. Danach schickt man Kind und Mutter am besten nach Hause, wo die Wunde unter fließendem Wasser oder besser noch mittels steriler Kochsalzlösung vorsichtig abgespült werden sollte. Danach sollte sie so versorgt werden, wie wir es den Eltern empfehlen, die zu uns kommen, und eine optimale Kombination von Desinfektion und Wundauflagen für die Hausapotheke suchen: Sprühdesinfektion, um die Wunde nicht unnötig durch Berühren zu irritieren und ein atmungsaktives Pflaster, das an allen Seiten geschlossen ist.
Oberflächliche Schürfwunden heilen meist auch ohne Wundsalben folgenlos ab. Sollte sie sich infiziert haben, ist der Gang zum Arzt angebracht, denn vielleicht steckt doch noch ein Steinchen oder ein Splitter in der Wunde. Nässt die Wunde, so ist es sinnvoll, einen Hydrokolloidverband mit einer Matrix aus Zellulose, Gelatine, Pektin oder Alginaten zu empfehlen. Dafür muss sichergestellt sein, dass sich keine Bakterien in der Wunde befinden, denn er verbleibt bis zu sieben Tagen auf der verletzten Stelle. So wird die Wunde feucht gehalten, das Exsudat gebunden, und es werden Makrophagen angeregt, die das Einsprießen von Kapillaren fördern. Hier wird – im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo die Wunden meist einfach trocken bekandelt wurden – auf ein physiologisches, feuchtes und sauerstoffarmes Milieu gesetzt. Ebenso schaffen auch Hydrogele eine ideal-feuchte Wundumgebung.
Das Extremste, das ich einmal erlebt habe, war eine Fleischereifachverkäuferin, die früher in einem Geschäft auf der anderen Straßenseite arbeitete. Normalerweise werden dort beim Fleischzerteilen Handschuhe aus Hart-Polyethylen getragen, um solche Verletzungen zu vermeiden. Doch die Frau wollte „nur mal eben schnell“ zwei Hähnchen entbeinen und hat sich dabei tief in die linke Hand geschnitten. Wie tief, konnte ich auf die Schnelle nicht erkennen, doch alleine die Menge des Blutes, der Anblick von freiliegenden Sehnen und Knochen, als sie den Verband kurz anhob und die Tatsache, dass möglicherweise keimbelastetes Geflügelfleisch im Spiel war, hat gereicht, einen Rettungswagen zu rufen. Die Versorgung der Frau bis zum Eintreffen der Sanitäter sah so aus, wie es auch der ASB empfiehlt: Wir haben uns Einmalhandschuhe angezogen und die Verletzte auf unsere Liege gelegt, die wir zum Anpassen von Kompressionsstrümpfen im Beratungsraum stehen haben. Eine sterile Mullkompresse haben wir vorsichtig auf die Wunde gedrückt und diese dann mit einem Verband fixiert. Wir haben den Arm der Frau so lange hochgehalten, bis sie professionell weiterversorgt werden konnte.
Derart dramatisch muss es nicht immer sein, doch Schnittverletzungen kommen häufig vor. Meist sind es die Finger, die bei der Zubereitung von Mahlzeiten verletzt werden. Auch hier können wir den fragenden Kunden empfehlen, eine entstandene Wunde zunächst unter fließendem Wasser auszuspülen und dann unter Zuhilfenahme einer sterilen Kompresse fünf bis zehn Minuten vorsichtig abzudrücken und wenn möglich hoch zu halten. Anschließend wird die Wunde desinfiziert und mit einem Pflaster abgedeckt. Auch hier gilt jedoch: Ist die Wunde verschmutzt, klaffen die Wundränder auseinander, ist sie tief und blutet stark, dann ist der Gang zum Arzt obligatorisch, um Schlimmeres ausschließen zu können. Nähen, Klammern oder Kleben ist ebenfalls immer ein Fall für den Arzt, selbst wenn sich der Patient sicher ist, dass er es selbst kann. Bei oberflächlichen, kleinen infizierten Wunden eignet sich ein Hydrogel mit antimikrobiellen Peptiden zur Behandlung, denn sie haben ein breites Wirkspektrum, sind für die körpereigenen Zellen ungefährlich und zeigen nur eine geringgradige Tendenz zur Resistenzbildung. Das Hydrogel fördert wie der Hydrokolloidverband ein feuchtes Wundklima und trägt damit zur Heilung bei.
Auch hier habe ich schon einiges in der Apotheke gesehen. Am häufigsten waren Verbrennungen der Hände am Bügeleisen oder an der Heizspirale des Backofens und Verletzungen durch heißen Wasserdampf oder versehentlich übergeschüttete Suppe oder Heißgetränke. Hier stehen oft die Schmerzen im Vordergrund. Das Wichtigste bei Verbrennungen oder Verbrühungen, die man selbst behandeln kann ist, diese innerhalb der ersten Viertelstunde für etwa 10 Minuten zu kühlen. Das gilt bei Verbrennungsgrad I und II, wenn nicht mehr als 15 % der Hautoberfläche betroffen ist.
Ist die Oberfläche größer, so wird nur maximal bis 5 Minuten lang gekühlt, um eine Hypothermie zu vermeiden. Dabei genügt fließendes Leitungswasser mit 15-20 Grad Celsius. Sind die Verbrennungsmale nur sehr klein, wie beispielsweise nach dem Kontakt zu einem Bügeleisen, so kann eine Kühlkompresse bis zum merklichen Abklingen der Schmerzen genutzt werden.
Es gibt die sogenannte Neunerregel, bei der die Körperoberfläche des Verletzten in ein Vielfaches von 9 aufgeteilt wird. Dabei entsprechen Kopf/Hals und Arm je 9 %, Bein, Rumpf vorn und Rumpf hinten je 18 % und eine Handfläche 1 % der Körperoberfläche. Wenn mehr als 20 %, bei Kindern mehr als 5 %, verbrannt sind, muss der Patient in einem Krankenhaus behandelt werden. Wenn man anfangen muss, zu rechnen, dann ist der Gang zum Arzt die Empfehlung, die in der Apotheke ausgesprochen werden sollte. Ist nur eine kleine Stelle betroffen, und geht die Verbrennung nicht über den Verbrennungsgrad I hinaus, so kann sie selbst behandelt werden.
Besonders unangenehm sind die Schmerzen, die von Verbrennungswunden ausgehen. Laut der aktuellen S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV) „Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen“ trägt bereits die Vermeidung von Zugluft über der Verbrennungswunde zu einer signifikanten Schmerzlinderung bei, und ist damit ein Bestandteil des Analgesie-Managements. Persistieren die Schmerzen, so kann dem Patienten zur Einnahme von Diclofenac, Ibuprofen oder Naproxen geraten werden. Da Brandwunden in der Regel nicht verunreinigt sind, genügt ein Abspülen mit Kochsalzlösung vor dem Aufbringen eines Hydrokolloidverbandes, entsprechend den Schürfwunden.
Von der Anwendung von Hausmitteln wie Essig, Salz, Haushaltshonig, Mehl oder Butter sollte unbedingt Abstand genommen werden. Herkömmliche Brandsalben oder hydroaktive Lipogele können zum Einsatz kommen, um die Wunde nicht austrocknen zu lassen. Auch leichte Kortisonsalben sind wie bei Sonnenbrand zu empfehlen, so lange die Haut nicht offen ist. Brandblasen sollte nur ein Arzt unter sterilen Bedingungen öffnen. Die häufig noch in den Arzpraxen gebräuchliche Zinksalbe zur Erstversorgung ist dagegen nur bedingt geeignet, denn sie trocknet die Brandwunde zusätzlich aus. Grundsätzlich sind fetthaltige Wundsalben nicht mehr zu empfehlen, da eine Okklusion stattfindet. Mikroorganismen werden unter der fetten Salbe eingeschlossen und können sich dort vermehren.
Auch hier gilt die Devise: ausbluten lassen, desinfizieren, abdecken. Und danach ist in jedem Fall der Gang zum Arzt anzuraten, denn Bisswunden entzünden sich besonders häufig. Ein besonders eindrücklicher Fall bei uns in der Apotheke war ein Kunde, der von seinem Steppenwaran in die Hand gebissen wurde. Es sah nur wie eine kleine Wunde aus, und er benötigte nach eigener Aussage nur etwas Desinfektionsmittel. Wir rieten ihm dringend, einen Arzt aufzusuchen, doch der Mann amüsierte sich eher über unsere Besorgnis „wegen dem kleinen Kratzer“. Wir sahen den Kunden danach längere Zeit nicht mehr und erfuhren von seiner Frau, dass er 14 Tage im Krankenhaus bleiben musste. Die Wunde zwischen Daumen und Zeigefinger schwoll aufgrund der Bakterien, die sich im Reptilienmaul befanden, so stark an, dass sogar ein langer Entlastungsschnitt vom Daumen bis zum Unterarm ausgehend vonnöten war. Der Mann war fast ein halbes Jahr arbeitsunfähig. Auch Katzenbisse können ähnlich unangenehm werden.
Für die Narbenbehandlung bei intakter Haut nach dem Abheilen der Wunden hat sich laut der Leitlinie „Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen“ die Behandlung mit Silikonfolie oder Silikongelen bewährt: „Silikongel oder die Silikonfolie (hat sich) als Standardtherapie zur Narbenprävention und Narbenbehandlung (bewährt), welche mit guter Evidenz aus randomisierten Studien und Metanalysen unterlegt ist, in Teilen jedoch einem entsprechenden Bias unterliegt. Silikonfolien sollte über einen Zeitraum von 12 bis 24 Stunden am Tag über 3 bis 12 Monate oder länger auf der Narbe getragen werden. Silikongel soll zweimal täglich neu auf entsprechende Areale aufgetragen werden. Silikongel wird als dünne Schicht auf die Haut aufgebracht, wo es eine haftende, transparente und flexible Silikonschicht bildet, die abtrocknet und für Flüssigkeiten impermeabel ist. Silikongele sind für den Einsatz in sichtbaren Bereichen wie Gesicht und Händen geeignet und gehen daher mit einer höheren Compliance einher. Sie müssen täglich mit einer milden Seife und Wasser gewaschen werden, um Nebenwirkungen wie Hautausschläge und Infektionen zu verhindern.“
Der Apothekenmitarbeiter darf keine Wundbehandlung vornehmen, es sei denn, es geschieht im Zusammenhang mit Erster Hilfe wie im Beispiel der Schnittverletzungen. Das regelt unmissverständlich auch die Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker in §10: „Die Ausübung der Heilkunde mit Ausnahme der Hilfeleistung in Notfällen ist unzulässig“. Auch §1 Abs. 1 des Heilpraktikergesetzes stellt klar, dass, wer die Heilkunde ausüben möchte, ohne Arzt zu sein, dafür eine Erlaubnis benötigt. Das Apothekenrecht äußert sich dazu zusätzlich ganz klar im sogenannten „Kurierverbot“. Eine „Heilbehandlung ist Sache der Ärzte und liegt daher außerhalb des Aufgabenbereiches der Apotheke“. Es gilt für den Apothekenleiter und das komplette Team, selbst wenn eine dieser Personen Arzt, Tierarzt oder Heilpraktiker wäre. Auch kommt es nicht darauf an, ob diese Heilbehandlung gewerbsmäßig, oder nur gelegentlich ausgeübt wird. Die allgemeine Hilfeleistungspflicht sowie Notfälle sind hier ausgenommen, wenn sofortige Hilfe erforderlich ist, und „die rechtzeitige Herbeiholung eines Arztes […] unmöglich ist“.
Das bedeutet vereinfacht gesagt, Apothekenmitarbeiter dürfen Salben, Pflaster, Wundauflagen und Verbände abgeben und dazu beraten, aber keinesfalls selbst anlegen. Auch die Entfernung von Splittern oder Zecken ist in der Apotheke nicht erlaubt.
Grundsätzlich endet die Eigenbehandlung dann, wenn die Wunde entweder chronisch ist, wie bereits aufgeführt bei Bisswunden, wenn die Verletzung sehr tief ist oder stark blutet, oder wenn sie bereits eitert.
Die Fragen, die dem Kunden daher laut BAK- Leitlinie zur Beratung eines Kunden zur Wundversorgung gestellt werden sollen, zielen also darauf ab, folgende Punkte zu klären:
Der Besuch beim Arzt ist auch dann obligatorisch, wenn bei Verletzungen der Tetanus- Schutz nicht mehr gegeben ist. Das ist besonders bei grßeren Verletzungen wichtig, aber auch bei Bagatellverletzungen die man sich beispielsweise bei der Gartenarbeit zuzieht kann die Impfung Leben retten. Daher bitte immer den Impfstatus mit erfragen! Grundsätzlich sollte diese Schutzimpfung alle zehn Jahre aufgefrischt werden - ein guter Hausarzt hat das normalerweise im Blick.
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