Wie viele Schüler in Deutschland körperlich fit sind? Laut WHO sind es nur armselige 20 Prozent bei den Jungen und 12 Prozent bei den Mädchen. Es ist Zeit, über Sport in der Schule zu reden.
Die Meldung über die bockigen Sportlehrer wurde am Wochenende von unzähligen Blättern aufgegriffen. Es geht um Zitate, die Heinz-Peter Meidinger den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft lieferte. Er ist der Präsident des Deutschen Lehrerverbands und möchte, dass der Sportunterricht so bleibt, wie er ist.
Anlass für dieses Gespräch war eine globale Meta-Analyse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur körperlichen Fitness von Schulkindern. Verglichen wurden die Jahre 2001 und 2016, beinahe in allen Regionen ist die Zahl der unsportlichen Kinder deutlich gestiegen. Den Angaben der WHO zufolge waren 2016 in Deutschland 79,7 Prozent der Jungen und 87,9 Prozent der Mädchen körperlich nicht aktiv genug. Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass Journalisten auf der Suche nach Schuldigen an einer Stellungnahme der Lehrerschaft interessiert sind.
Unzureichende körperliche Aktivität bei Schulkindern im Alter von 11-17 Jahren, Prävalenz in Prozent aus den Jahren 2001 und 2016, Quelle: Lancet
Überrascht sei Meidinger von den Ergebnissen nicht, teilte der Präsident des Lehrerverbands den Blättern mit. „Das sieht man auch an der Fitness der Schüler im Sportunterricht oder an Wandertagen“, wird er zitiert.
Trotzdem bedeute das nicht, dass man der Forderung nach mehr Schulsport nachgehen müsse, findet Meidinger. „Die Zeit, in der Schüler sich bewegen, ist relativ gering“, stellt er einerseits fest. Andererseits: Für eine zusätzliche Stunde Sport geht eine andere Unterrichtsstunde drauf, so seine Rechnung. Und einen anders gestalteten Sportunterricht, der spielerischer geprägt und mehr auf die Bewegung an sich abzielt als auf das Erlernen von unterschiedlichen Disziplinen, hält Meidinger auch für keine gute Idee. „Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg ist“, so seine Einschätzung. Die Schule habe die Aufgabe, klassische Sportarten zu unterrichten, damit Schüler herausfinden können, in welchen Disziplinen sie gut sind.
Es ist eine Frage der Prioritäten. Laut Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) ist fast jedes siebte Kind (15,4 Prozent) im Alter zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig. Beinahe sechs Prozent davon sind adipös. Jetzt wissen wir, dass insgesamt je nach Geschlecht zwischen 80 und 88 Prozent der Schulkinder nicht ausreichend fit sind. Und nur so nebenbei: 58 Prozent der Eltern sind einer AOK-Umfrage zufolge übergewichtig. Ist es in so einer Situation sinnvoll, eine Unterrichtsform zu verteidigen, wo es vor allem darum geht, Schülern möglichst viele Disziplinen beizubringen? Oder wäre es nicht viel dringender notwendig, dafür zu sorgen, dass Kinder Lust auf Bewegung bekommen und sich die allgemeine Fitness von Schülern wieder verbessert?
Realistisch betrachtet handelt es sich bei diesen Schülern zu einem beachtlichen Teil um die übergewichtigen oder adipösen Patienten von morgen, die nicht selten mit einem Diabetes oder einer Hypertonie zu kämpfen haben werden. Sieht man sich die Patienten von heute an, schafft es eine Gruppe, durch Lifestyle-Änderungen Gewicht zu verlieren und Lebensqualität zu gewinnen. Die anderen haben gravierende Schwierigkeiten, sich an ein Leben mit gesunder Ernährung und viel Bewegung zu gewöhnen – weil sie sich bis dato weder richtig ernährt, noch ausreichend sportlich betätigt haben.
Natürlich ist es eine persönliche Entscheidung, regelmäßig Sport zu treiben oder nicht. Und die Schule kann nicht jegliches Fehlverhalten in der Freizeit ausgleichen. Die Schule könnte aber der Ort sein, wo körperliche Bewegung ein fester Bestandteil der täglichen Routine ist.
Dafür müsste aber mehr Unterrichtszeit für Sport „geopfert“ werden, als es bisher der Fall ist. „Drei Stunden pro Woche gelten als viel. In Hamburg erteilen die meisten Schulen zwei“, heißt es in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2016. Zum Vergleich: Wenn es nach der WHO ginge, sollten sich 5- bis 17-Jährige mindestens 60 Minuten am Tag moderat bewegen oder Sport treiben. Dass Kinder diese tägliche Sportstunde auch nach der Schule absolvieren können, ist unbestritten. Dass viele von ihnen es nicht tun, leider auch.
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