In der Klinik ist das mit der Nahrungsaufnahme so eine Sache. Eine meiner Strategien: mich als Nichtraucher zu den Rauchern stellen, um im Dunst der Zigaretten einmal in mein Brot zu beißen.
Als ich noch im Krankenhaus gearbeitet habe, hatte ich jeden Morgen eine halbe Stunde Fahrt zur Arbeit, in der ich Radio hörte und meine Stulle aß. Das war's dann aber auch mit Essen, denn ab dem Zeitpunkt, an dem ich die Notaufnahme betrat, war Essen passé. Das hatte mehrere Gründe:
Zu 1: Die Chirurgen dieser Welt mögen jetzt herzlich lachen, doch auch in einer internistischen Notaufnahme kann es stressig werden. Denn internistische Patienten sind meist komplex, kommen mit einer ganzen Latte an Medikamenten und Vorerkrankungen an und können meist nicht nach Hause entlassen werden. Dann werden erstmal ausführliche Untersuchungen durchgeführt: Labor, Ultraschall, Röntgen. Und wenn's sein muss, bekommt der Patient auch eine Computertomographie. Wenn nichts dabei herauskommt, dann wird der Patient mit dem allerneusten Check-up nach Hause geschickt. Angesichts monatelanger Wartezeiten für Facharzttermine nutzen manche Menschen diesen „Service“, um schneller ihre Untersuchungen zu erhalten.
Viele Patienten werden überwacht, verkabelt und bleiben damit stundenlang dein Gast. So jongliert man zwischen Überwachungskandidaten und Neuankömmlingen, Todkranken und System-Ausnutzern. Oft habe ich mich als Nichtraucher den Rauchern angeschlossen, um im Dunst der Zigaretten einmal in mein Brot beißen zu können. 5 Minuten Ruhe.
Zu 2: Welcher Kollege aus ärztlicher oder medizinischer Reihe kennt das nicht: Man müsste zur Toilette gehen, aber der RTW steht vor der Tür. Also geht man nicht. Um den Drang zu unterdrücken, trinkt man einfach nichts mehr. Das geht eine Weile gut, auf Dauer ist es nicht zu empfehlen.
Zu 3: Man mag mich für paranoid halten, aber meine erste Amtshandlung am Morgen war es, die Tastatur, die Maus und meinen Arbeitsplatz zu desinfizieren. Man stelle sich vor, dass der Kollege aus der Nacht todmüde einen Patienten mit Magen-Darm-Grippe oder Bluterbrechen behandelte und sich zwar noch rasch Handschuhe anzog, aber mit diesen dann die Schreibarbeit am Rechner macht. Alles verkeimt! Und dann setze ich mich morgens an den Rechner und esse genüsslich ein Brot? Hm, auch für eine Kindergartenkeim-erprobte Mutter ist das Zuviel des Guten. Dreck reinigt zwar den Magen, aber wir müssen ihn ja nicht überstrapazieren.
Ich hatte in der Klinik zum Glück ganz tolle Kollegen und Kolleginnen aus der Pflege, die mir regelmäßig Kaffee und Kekse an den Schreibtisch gestellt haben. Ich entwickelte also diverse perfide Überlebens-Taktiken, um diese mich anlächelnden Gute-Laune-Bomben essen zu können:
Wenn man es rational betrachtet: Es wäre durchaus leichter, sich 10 Minuten zurückzuziehen und sein Essen zu sich zu nehmen, als 25 Minuten lang mit Handschuh-an-und-aus-Modus und Zweifingersuchssystem einen Keks zu schreiben. Einen Brief zu essen. Einen Brief beim Keksessen zu schreiben.
Seitdem ich im der Praxis bin, ist alles anders. Ich esse einfach nicht mehr zwischen 7 und 13 Uhr. Das nennt man „intermittierendes Fasten“ und wurde nicht für mich erfunden. Ab 11 Uhr knurrt mein Bauch und vertreibt die Patienten. Aber wer nun sagt: „Iss doch mal was!“, der muss sich vorstellen, dass zu dem Bauchknurren-Zeitpunkt meist noch 10-15 Patienten darauf warten, behandelt zu werden.
Selbst wenn ich mir eine Handvoll Nüsse genehmigen würde, müsste ich zwanghaft danach mit der Zunge meine Zahnzwischenräume nach Vorräten absuchen. Brot zu essen dauert zu lange. Auf Kaubonbons kaut man ebenfalls lange und es klebt an den Zähnen. Banane geht. Und Schokolade. MonCherie unterstützt ferner die gute Laune. Glücklicherweise habe ich auch hier grandiose Kolleginnen, die mich immer wieder mit Kaffee und Keksen versorgen.
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