Die Frage, wie genau wir altern, treibt Forscher schon lange um. Beim Screening der Genome dreier Modellorganismen kristallisierte sich das Gen bcat-1 als sehr einflussreich heraus. Blockiert man dieses, so verlängert sich die gesunde Lebensspanne der Versuchstiere signifikant.
Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich haben nun die Genome von drei unterschiedlichen Organismen systematisch nach Genen durchsucht, die mit dem Alterungsprozess in Verbindung stehen und in allen drei Arten vorkommen und dementsprechend von Genen eines gemeinsamen Vorfahren abstammen. Diese orthologen Gene sind sehr nahe miteinander verwandt, obwohl sie in unterschiedlichen Organismen vorliegen, und kommen auch alle im Menschen vor. Um diese Gene aufzuspüren, untersuchten die Forscher rund 40.000 Gene des Fadenwurms C. elegans, des Zebrafisches und der Maus. Mit ihrem Screening wollten die Wissenschaftler herausfinden, welche Gene bei allen drei Organismen in den jeweils vergleichbaren Altersstadien – jung erwachsen, mittelalt und alt – in identischer Weise reguliert werden, also entweder altersabhängig hoch- oder herunterreguliert werden.
Als Maß für die Gen-Aktivität nahmen die Forscher die Menge an Boten-RNS-Molekülen, die in den Zellen dieser Tiere zu finden waren. Aus diesem Informationsgemenge bildeten die Wissenschaftler anhand statistischer Modelle eine Schnittmenge von Genen, die bei Wurm, Fisch und Maus vergleichbar reguliert waren. Dabei zeigte sich, dass die drei Organismen lediglich 30 Gene, die den Alterungsprozess maßgeblich beeinflussen, gemeinsam haben. Mit Versuchen, bei denen die Boten-RNA der entsprechenden Gene selektiv blockiert wurden, klärten die Forscher deren Wirkung auf den Alterungsprozess beim Fadenwurm. Bei einem Dutzend dieser Gene wirkte ihre Blockierung um mindestens fünf Prozent lebensverlängernd. Eines dieser Gene kristallisierte sich als besonders einflussreich heraus: das bcat-1-Gen. „Blockierten wir die Wirkung dieses Gens, nahm die mittlere Lebensspanne des Fadenwurms markant zu, und zwar um bis zu 25 Prozent“, erläutert Prof. Michael Ristow, Professor für Energiestoffwechsel an der ETH Zürich.
Auch konnten die Forscher den Wirkmechanismus dieses Gens aufklären: Das bcat-1-Gen trägt den Code für das gleichnamige Enzym, welches verzweigtkettige Aminosäuren abbaut. Zu diesen natürlich in der Nahrung vorkommenden Eiweißbausteinen zählen die Aminosäuren L-Leucin, L-Isoleucin und L-Valin. Hemmten die Forscher die Genaktivität von bcat-1, reicherten sich diese verzweigten Aminosäuren im Gewebe an. Dies setzte eine molekulare Signalkaskade in Gang, welche beim Fadenwurm die Langlebigkeit bewirkte. Darüber hinaus verlängerte sich die Zeitspanne, in welcher die Würmer vital blieben. Als Maß für Vitalität maßen Forscher die Anreicherung von altersbedingten Pigmenten, die Geschwindigkeit, mit der sich die Tiere fortbewegten, und wie oft sich ein Wurm erfolgreich fortpflanzte. All diese Parameter verbesserten sich, wenn die Wissenschaftler die Aktivität des bcat-1-Gens hemmten. Einen lebensverlängernden Effekt erzielten die Wissenschaftler auch, wenn sie den Fadenwürmern die drei verzweigtkettigen Aminosäuren ins Futter mischten. Allerdings war der Effekt insgesamt geringer ausgeprägt, da das bcat-1-Gen aktiv blieb, sodass diese Aminosäuren fortlaufend abgebaut wurden und ihre lebensverlängernde Wirkung weniger gut entfalten konnten.
Ristow zweifelt nicht daran, dass der gleiche Mechanismus auch beim Menschen abläuft. „Wir haben ausschließlich die Gene gesucht, die evolutionär konserviert sind und deshalb in allen Organismen vorkommen, auch beim Menschen“, sagt er. In der Untersuchung haben er und seine Kollegen des Konsortiums „JenAge“ die Auswirkungen auf den Menschen noch ausgeklammert. Eine Folgestudie ist bereits in Planung. „Allerdings können wir dabei aus offensichtlichen Gründen die Lebenserwartung beim Menschen nicht messen“, so der ETH-Professor. Geplant sei aber stattdessen, diverse Gesundheitsparameter wie Cholesterin oder den Blutzuckerspiegel in ihre Untersuchungen einzubeziehen, um Anhaltspunkte für den Gesundheitsstatus der Probanden zu erhalten.
Ristow sagt, dass die mehrfach verzweigten Aminosäuren bereits heute bei Leberschäden therapeutisch eingesetzt und auch der Sportlernahrung hinzugefügt würden. „Das Thema ist jedoch nicht, dass Menschen noch älter werden, sondern länger gesund bleiben“, sagt der Internist. Die Untersuchung liefere wichtige Anhaltspunkte dafür, wie der Alterungsprozess beeinflusst und Erkrankungen im Alter wie etwa Diabetes oder Bluthochdruck verhindert werden könnten. Im Hinblick auf die ungünstige Demografie und die stetig steigende Lebenserwartung sei es wichtig, die Phase gesunden Lebens auszudehnen und nicht, ein noch höheres, aber von chronischen Krankheiten geprägtes Lebensalter zu erreichen, findet der Forscher. Mit solchen präventiven Maßnahmen könnte ein älterer Mensch seine Lebensqualität erheblich steigern und gleichzeitig die medizinischen Versorgungskosten um mehr als die Hälfte reduzieren. Originalpublikation: Branched-chain amino acid catabolism is a conserved regulator of physiological ageing. Johannes Mansfeld et al.; Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms10043; 2015