Eine Krankenkasse kann die freie Apothekenwahl in bestimmten Fällen einschränken, heißt es vom Bundessozialgericht. Patienten sind an bestimmte Vertragspartner gebunden, falls sie individuelle Zytostatika benötigen. An erster Stelle stehe das Wirtschaftlichkeitsgebot.
Dürfen AOK-Versicherte aus Hessen Zytostatika-Rezepturen von der der Apotheke ihres Vertrauens herstellen lassen? Mit dieser Frage hatten sich mehrere Gerichte befasst – und sind zu äußerst unterschiedlichen Einschätzungen gelangt.
Belieferten Apotheker ohne speziellen Vertrag mit der AOK deren Versicherte, folgten Nullretaxationen im teils sechsstelligen Bereich. Ein Kollege war nicht bereit, die Praxis hinzunehmen. Er klagte vor dem Sozialgericht Darmstadt und hatte zunächst Erfolg. Das Apothekenwahlrecht sei durch Verträge wie den der AOK Hessen nicht auszuhebeln, hieß es zur Begründung. Für die Versorgung mit Zytostatika ergebe sich nichts anderes, weil keine andere ausdrückliche gesetzliche Einschränkung des Patientenwahlrechts existiere. Erschwerend kam hinzu, dass keine der AOK-Vertragsapotheken in der Lage war, Rezepturen rasch herzustellen. Der betroffene Apotheker habe Anspruch auf Erstattung seiner abgerechneten Zytostatika-Zubereitungen, schrieben Richter. Kurz darauf legten AOK-Juristen Sprungrevision ein.
Das Bundessozialgericht (BSG) folgte dieser Argumentation nicht (Az.: B 3 KR 16/15 R). Hier käme Paragraph 129 SGB V – Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung zum Tragen, hieß es in der mündlichen Verhandlung. „Die Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten kann von der Krankenkasse durch Verträge mit Apotheken sichergestellt werden; dabei können Abschläge auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers und die Preise und Preisspannen der Apotheken vereinbart werden.“ Aufgrund entsprechender Vorschriften seien Krankenkassen berechtigt, „zur Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven exklusive Verträge mit einzelnen Apotheken zu schließen“, schreiben Richter. Versorgungsverträge über Zytostatikazubereitungen, die zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten direkt an die Praxis geliefert werden, schließen andere Apotheken aus. Damit war die Sprungrevision der AOK Hessen erfolgreich.
Dr. Klaus Peterseim, Präsident des Verbandes der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA), sprach von einem „rabenschwarzen Tag für Krebspatienten und ihre wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln“. Patienten würden entmündigt, weil sie künftig bei der Frage, wer sie in ihrer lebensbedrohlichen Lage versorgt, nichts mehr zu sagen hätten. Auch der Hessische Apothekerverband nahm das Urteil „mit Bedauern zur Kenntnis“, so Dr. Detlef Weidemann, Vorsitzender des HAV. „Wir warten nun die Urteilsbegründung ab, um diese juristisch zu bewerten.“ Hessens AOK zufolge sei die Entscheidung „richtig und schlüssig begründet“. Man werde „mit dem Urteil mit Augenmaß umgehen“, behalte sich aber vor, Apotheken ohne Lieferberechtigung weiter zu retaxieren.