Können bestimmte Wetterlagen Schlaganfälle auslösen? Dem Ergebnis einer Augsburger Studie zufolge schon: Demnach steigt das Risiko für bestimmte Typen von Schlaganfällen bei trockenen und warmen Luftmassen an.
Zunächst war es nur ein Gefühl der Neurologen am Universitätsklinikum Augsburg (UKA), nämlich „dass sich bestimmte Schlaganfälle im Jahresverlauf an manchen Tagen häuften, sagt Privatdozent Dr. Michael Ertl, einer der Erstautoren der Studie. „Diese Häufungsphänomene sind vielen Schlaganfallneurologen bekannt, sodass wir die Vermutung hatten, dass das auch mit Wettereinflüssen zu tun haben könnte.“
Und tatsächlich: Nach zehn Jahren und 17.989 untersuchten Fällen – die meisten von ihnen Neuerkrankte, aber auch Patienten mit wiederholten Schlaganfällen – kommen die Autoren in ihrer Studie zu konkreten Ergebnissen bezüglich des Zusammenhangs zwischen bestimmten Wetterlagen und Schlaganfällen in der Region Augsburg. So steigt beispielsweise das Risiko für einige Schlaganfall-Subtypen bei trocken-warmen Luftmassen, wohingegen trocken-kalte Luftmassen mit einem signifikant geringeren Auftreten von Hirnblutungen verbunden waren.
Die Suche nach den Wirkungszusammenhängen stellte sich als sehr komplex heraus. „Das Zusammenspiel aus unterschiedlichen meteorologischen Faktoren – wie Lufttemperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit – sowie kurzfristigen Temperaturänderungen ist sehr komplex“, erklärt Privatdozent Dr. Christoph Beck vom Lehrstuhl für Physische Geographie mit Schwerpunkt Klimaforschung an der Universität Augsburg, neben Ertl ebenfalls Erstautor der Studie.
Betrachtet man die Temperaturentwicklung im Zeitraum weniger Tage vor dem Schlaganfallereignis, so findet man auch hier differenzierte Einflüsse auf die Schlaganfalls- oder Blutungshäufigkeit, die pathophysiologisch allerdings noch nicht vollends geklärt sind. Das interdisziplinäre Forscherteam konnte weiterhin zeigen, dass sich Wetterveränderungen auf die beiden Schlaganfall-Subtypen Hirninfarkt und Hirnblutung unterschiedlich auswirken. So bringen trockene, warme Luftmassen ein erhöhtes Risiko für bestimmte Hirninfarkttypen mit sich, die über 80 Prozent aller Schlaganfälle ausmachen, ein geringeres Risiko allerdings für Hirnblutungen.
Umgekehrt ist es bei trockenen, kühlen Luftmassen: Sie befördern Hirnblutungen, ziehen aber ein selteneres Auftreten von Hirninfarkten nach sich. Auch bei feuchten Luftmassen konnte ein verringertes Auftreten von Hirninfarkten nachgewiesen werden.
Ertl betont dabei, dass sie nicht die ersten seien, die einen Zusammenhang zwischen dem Klima und Schlaganfallhäufigkeit sehen. Die meisten Studien untersuchten Ertl zufolge aber nur wenige meteorologische Parameter wie Luftdruck und Temperatur sowie den Schlaganfall ohne nähere Definition zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Die Studie des Forscherteams aus Medizinern des UKA und Klimaforschern des geographischen Instituts der Universität geht hier viel weiter. „Über die Berücksichtigung der lokalen meteorologischen Bedingungen hinaus beziehen die eingesetzten Luftmassenklassifikationen auch die großräumigen synoptischen Verhältnisse wie die Bodenluftdruckverteilung über Europa in die Zuordnung zu spezifischen Wetterlagen mit ein“, erläutert Beck. „Zudem haben wir den sogenannten ischämischen Schlaganfall, bei dem es zu einem Gefäßverschluss der hirnversorgenden Arterien kommt und der rund 85 Prozent aller Schlaganfälle ausmacht, in fünf weitere Subtypen unterteilt, erklärt Ertl.
In der Studie wurde außerdem die Luftmassen-Situation zwei bis fünf Tage vor dem Schlaganfall berücksichtigt. Klassische Risikofaktoren aller untersuchten Patienten wie Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, Cholesterin und Lebensgewohnheiten wurden dem Arztbrief entnommen und ebenfalls vermerkt. Nicht in der Studie berücksichtigt wurde die Schwere des jeweiligen Schlaganfalles.
Ein hervorragender Ausgangspunkt für die Studie war einerseits die umfassende Datenbank von Schlaganfällen (rund 2.000 Patienten pro Jahr), die am UKA zur Verfügung steht, da hier eine lückenlose Erfassung von Schlaganfallpatienten der gesamten Region erfolgt. Dies ermöglicht eine sehr umfangreiche Patientenzahl: Für den Untersuchungszeitraum von 2006 bis 2017 lagen etwa 18.000 Schlaganfälle vor. Andererseits hat die Universität Augsburg am Institut für Geographie seit über zwanzig Jahren eine herausragende Expertise in der Umwelt- und Klimaforschung. Beides konnte erfolgreich verbunden werden – zum Nutzen besserer Vorsorge und besserer Versorgung. Denn Schlaganfälle sind deutschland- und weltweit eine der häufigsten Todesursachen und Ursachen für dauerhafte Pflegebedürftigkeit.
„Mithilfe unserer Studie möchten wir dazu beitragen, dass sowohl Patienten als auch medizinische Versorgungseinrichtungen rechtzeitig geeignete vorbeugende und behandelnde Maßnahmen treffen können. Dafür ist jedoch in Zukunft noch eine intensive weitere Forschung notwendig. Ziel ist es, die retrospektiv ausgewerteten Daten nun durch weitere prospektive Untersuchungen zu bestätigen und zu konkretisieren“, betont Prof. Markus Naumann, Direktor der Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am UKA.
Textquelle: Universität Augsburg
Bildquelle: Rodion Kutsaev, Unsplash