Herr Spahn hat einen Wunsch: Apotheker sollen künftig gegen Influenza impfen dürfen. Ärzte sträuben sich – aber ihnen gehen die Argumente aus.
Anfang November brachte es der Fachverband Public Health Schweiz mit einem Tweet auf den Punkt: „Man kann sich einfach ohne Voranmeldung und zu einem reduzierten Tarif in einer Arztpraxis oder Apotheke impfen lassen.“ Hier wird deutlich, worum es bei der Debatte eigentlich geht – uns fehlen niedrigschwellige Möglichkeiten für wichtige Schutzimpfungen.
Das hat Folgen. Die Grippewelle 2017/2018 soll zu rund 25.000 vermeidbaren Todesfällen geführt haben. Das überrascht angesichts der mageren Impfquoten bei Personen ab 60 Jahren nicht. Je nach Bundesland haben in der besagten Saison nur 22,6 Prozent (Baden-Württemberg) bis 59,0 Prozent (Sachsen-Anhalt) die Vakzine bekommen. 2018/2019 waren die Zahlen bloß geringfügig höher. Zwei mögliche Erklärungen:
Punkt zwei kann ich selbst bestätigen. Früher ging ich in der Firma zwei Türen weiter zum Betriebsarzt. In fünf bis zehn Minuten war das Thema durch, der Zeitverlust hielt sich in Grenzen. Heute kostet mich die Impfung inklusive Fahr- und Wartezeit etwa zwei Stunden. Viele Praxen in der Nähe haben längst Aufnahmestopps für neue Patienten – dann geht es einmal durch die Stadt. Ich würde mich sofort in einer Apotheke impfen lassen.
Mit dem Masernschutzgesetz könnten Apotheken im Rahmen eines Modellvorhabens Grippeimpfungen verabreichen – sehr zum Ärger der Ärzte. „Die Impfung muss jedoch ohne Wenn und Aber bei einem Arzt durchgeführt werden“, heißt es etwa schon 2018 vom Deutschen Hausärzteverband. Das Thema ist dort auch weiterhin aktuell, wie ein Blick auf Twitter zeigt:
Kürzlich hat der Marburger Bund bei seiner Jahreshauptversammlung dazu folgenden Beschluss (Nr. 4, Seite 4) verabschiedet: „Impfen ist eine ärztliche Tätigkeit und darf nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.“ Und weiter: „Im Rahmen der Impfung kann es zu seltenen, aber sehr schweren Zwischenfällen und Komplikationen kommen, die eine sofortige Einleitung von ärztlichen Notfallmaßnahmen benötigen.“
Auf Social Media regt sich Widerstand:
Ein Blick auf die Argumente: Nebenwirkungen sind bekannt, auch in der Schweiz. Und sie wären kein Hinderungsgrund für Deutschland. Folgendes kommt hinzu:
Und – nochmals – ein Blick auf die RKI-Zahlen: Bei 25.000 Todesopfern durch Influenza (2017/2018) wird die aktuelle Sicherheitsdebatte geradezu absurd. Vor vier Jahren hatten Forscher gezeigt, dass es pro 25.173.965 verabreichte Dosen unterschiedlicher Impfstoffe nur bei 33 Patienten zu einem anaphylaktischen Schock gekommen war. Basis der Arbeit war die Datenbank Vaccine Safety Datalink.
Auch dieses Thema wird bei Twitter kontrovers diskutiert:
Krankenkassen gehen pragmatisch an die Sache heran. „Lasst Apotheker gegen Grippe impfen, wenn wir so die Durchimpfungsrate erhöhen und viele Grippetote vermeiden können“, fordert zum Beispiel Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland. „Was in Nachbarländern geht, muss auch hier möglich sein.“
Es sei daher gut, dass die Bundesregierung nun Modellvorhaben auf den Weg bringen wolle. Die Debatte um Risiken und Qualitätsstandards hält Wältermann für übertrieben: „Apotheker- und Ärztekammer werden gewiss ein Verfahren verabreden, um Haftungsfragen zu klären und sicherzustellen, dass die notwendigen medizinischen Standards eingehalten werden.“
Warten wir ab, wie es weitergeht.
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