Hochrisiko, mittel oder niedrig? Beim Prostatakarzinom unterscheidet man je nach Ausmaß und Aggressivität des Tumors verschiedene Risikogruppen. Ein Experte erklärt, wie man Hochrisikopatienten sicher identifiziert.
Das Video in schriftlicher Form:
Volker Wittkamp: Könnten Sie uns vielleicht kurz erklären, was „Hochrisiko“ beim Prostatakarzinom überhaupt bedeutet?
Prof. Peter Hammerer: Beim Prostatakarzinom unterscheidet man je nach Ausmaß und Aggressivität des Tumors verschiedene Risikogruppen. Man denkt ja oft, Prostatakarzinom ist gleich Prostatakarzinom, das stimmt aber nicht.
Zu Niedrigrisikogruppen zählen wir Patienten mit kleinen Tumoren, die nicht aggressiv wachsen. Diese Patienten kann man zunächst aktiv überwachen und muss sie nicht gleich bestrahlen oder operieren.
Bei Hochrisikopatienten schreitet die Erkrankung rasch fort, sodass früh Lymphknoten- oder Knochenmetastasen auftreten. Bei diesen Patienten ist eine Therapie notwendig. Man kann dann die gesamte Prostata und die zugehörigen Lymphknoten operativ entfernen oder sich alternativ für eine Bestrahlung in Kombination mit einer Hormontherapie entscheiden.
Hochrisiko bedeutet aber nicht immer, dass bereits Metastasen vorliegen – das heißt, auch bei Hochrisikopatienten ist ein kurativer Therapieansatz möglich?
Genau. Die Definition für Hochrisiko bedeutet hier, dass ein hohes Risiko für einen Progress nach einer lokalen Therapie besteht. Das Risiko, dass der Tumor trotz einer lokalen Therapie fortschreitet, ist also hoch. Daher sind adjuvante Verfahren, wie eine zusätzliche Bestrahlung oder Hormontherapie, im Einzelfall eine notwendige Option.
Es geht also darum, Patienten zu identifizieren, die nach einer lokalen Therapie noch ein hohes Risiko für einen Progress aufweisen und eine sofortige zusätzliche Therapie brauchen.
Gibt es dazu neue diagnostische Mittel? Wie hat man früher die Patienten nach der Operation eingeteilt und überwacht?
Entscheidend für die Risikoklassifizierung vor der Therapie ist der initiale PSA-Wert, der Tastbefund und die Tumoraggressivität in der Prostatastanzbiopsie.
Nach der Therapie, wenn der Patient operiert wurde, wissen wir mehr über die Tumorsituation: Gab es einen Kapseldurchbruch oder waren die Samenbläschen oder Lymphknoten betroffen? Diese Informationen sind notwendig.
Was jetzt sicherlich dazukommt und auch heute intensiv diskutiert wurde, sind mögliche molekulare Marker. Da sind wir in der Tat noch am Anfang, aber ich hoffe, dass sich da in den nächsten Jahren noch sehr viel tun wird. So könnten wir eine bessere Risikostratifizierung erreichen.
Man kennt das ja aus anderen Fachdisziplinen, beispielsweise aus der Gynäkologie, dass Tumoren molekular untersucht werden und je nach festgestellter Form gezielter therapiert werden können.
Richtig, das wird aktuell viel diskutiert. In der amerikanischen NCCN-Guideline ist die Untersuchung des Tumors auf bestimmte Mutationen des DNA-Repair-Pathway-Mechanismus auch bereits aufgenommen worden. Das betrifft also BRCA2, BRCA1 oder auch ATM.
Bei Patienten ohne familiäre Belastung ist aber die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass derartige Mutationen auftreten. Liegt jedoch eine starke familiäre Belastung vor, dann macht es tatsächlich Sinn, den Mutationsstatus zu überprüfen – aber wir sind hier wirklich noch am Anfang.
Wäre das zukünftig auch eine Option für ein Screening? Oder ist das noch zu sehr Zukunftsmusik?
Das wäre in der Tat noch sehr weit gedacht. Für Risikokollektive wäre das aber sicherlich eine Option. Das ist ein spannendes Thema momentan.
Außerdem hat sich die Bildgebung aktuell deutlich weiterentwickelt. Präoperativ hat insbesondere die MRT eine wesentliche Verbesserung gebracht und ermöglicht uns, die Tumore sehr genau zu erkennen.
Ein anderes bildgebendes Verfahren ist die PSMA-PET. Hier nutzt man einen radioaktiv-markierten Tracer, der sich im Tumorgewebe anreichert – und zwar sowohl innerhalb der Prostata, als auch im Tumorgewebe außerhalb der Prostata. Wenn also jemand Lymphknoten- oder Knochenmetastasen hat, kann man das sehr viel früher nachweisen, als wenn man dafür eine Knochenszintigraphie oder eine CT nutzen würde.
Dieses Video wurde transkribiert von Nick A. Nolting.
Bildquelle: Victor, Unsplash