Im Falle einer häuslichen Pflege sollten die pflegende Angehörigen als kompetente Partner anerkannt sowie in ihren Kompetenzen unterstützt und gefördert werden. Wichtig sind dabei Anlaufstellen, die auch in der Nacht und am Wochenende verfügbar sind.
Bei der häuslichen Betreuung von schwer kranken Menschen tragen pflegende Angehörige die Hauptlast. Um diese schwierige Aufgabe erfolgreich zu meistern, sollen sie beispielsweise im psychosozialen Bereich und durch einen besseren Zugang zu Entlastungangeboten frühzeitiger und systematischer unterstützt werden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die die Ressourcen und Bewältigungsstrategien pflegender Angehöriger untersucht hat.
Wie belastend pflegende Angehörige ihre Situation erleben, hängt nicht nur von der direkt erhaltenen Unterstützung (z. B. Hilfe in der Pflege) ab, sondern auch von ihren Bewältigungsstrategien und Ressourcen. Mit Ressourcen sind nicht allein finanzielle Möglichkeiten, sondern auch Merkmale der Person wie beispielsweise Motivation, ihr soziales Netz, ihre Fähigkeiten sowie die Persönlichkeit gemeint. Das Schweizer Forschungsteam von Beat Sottas hat im Rahmen des Nationalen Forschungsprogrammes „Lebensende“ (NFP 67) die Perspektive der pflegenden Angehörigen untersucht. Dazu wurden 25 Personen aus den Kantonen Freiburg und Wallis interviewt, die sich aufgrund eines Zeitungsartikels gemeldet haben. Befragt wurden 20 Frauen, die ihre schwerkranken Ehemänner, Mütter, Väter oder Geschwister pflegten, und fünf Männer, die sich um ihre Ehefrau kümmerten. Die Forscher wollten wissen, was die pflegenden Angehörigen als besonders belastend erleben und welche Strategien sie entwickeln, um die oft lang andauernde Situation zu bewältigen.
Die Studie zeigt, dass pflegende Angehörige häufig über zunehmende Müdigkeit und Überlastung berichten. Hinzu kommen Einsamkeit, Trauer und Zukunftssorgen, Hilf- und Machtlosigkeit sowie das Gefühl, immer stärker fremdbestimmt zu sein. Zu den Bewältigungsstrategien der Angehörigen gehört die aktive Suche nach Entlastung durch die Unterstützung professioneller Dienste oder durch Hilfe aus dem persönlichen Umfeld; sich zu informieren und Kompetenzen zu erwerben; Austausch mit anderen; das Positive hervorheben sowie einen Ausgleich zu schaffen und die eigenen Bedürfnisse zu pflegen. Die Angehörigen fühlen sich durch moralische Verpflichtungen oder gesellschaftliche Erwartungen unter Druck gesetzt, sich um ihre kranken Angehörigen zu kümmern. „Am wichtigsten ist in dieser Situation, mutig zu sein und sich Zeit zu nehmen, um eine gewisse Distanz zu gewinnen“, sagt Sottas.
Um die pflegenden Angehörigen zu unterstützen brauche es meistens keine weiteren Entlastungsangebote, sondern vor allem bessere Informationen über die bestehenden Dienste und Finanzierungen, die Chance die eigenen Möglichkeiten ernsthaft abwägen zu können sowie soziale, psychologische und spirituelle Unterstützung. Sottas betont: „Es braucht einen Wechsel in der Wahrnehmung. Pflegende Angehörige sind keine Ko-Patienten, sondern sollten als kompetente Partner des Pflegesystems behandelt werden.“ Um das Therapie- und Unterstützungsangebot eines häuslichen Patienten zu koordinieren, bringe ein längeres Gespräch viel mehr, als vereinzelte kurze Besuche eines Arztes oder Spitex-Dienstes. Wichtig sei dabei, dass die Fäden immer bei einer einzigen Fachperson zusammenlaufen. „Für die pflegenden Angehörigen wäre eine Ansprechperson für alle Fragen wie ein Coach“, so Sottas. Originalpublikation: Belastungserleben und Coping-Strategien pflegender Angehöriger Sarah Brügger et al.; Gerontologie und Geriatrie, doi: 10.1007/s00391-015-0940-x; 2015