Der Herbst ist da, die Erkältungszeit hat begonnen. Für mich bedeutet das vor allem: Besorgte Eltern beruhigen.
Gibt es einen häufigeren Vorstellungsgrund in der Kinder- und Jugendarztpraxis als: „Mein Kind hat Husten, was soll ich tun?“ Warscheinlich nicht. Die Erkältungszeit hat begonnen, die Sommerferien liegen lange genug zurück, die Schul- und Kindergartenkinder hatten genug Zeit, ihre Schnupfenviren zu tauschen und zu konservieren. Keine Gruppe im Kindergarten, die nicht mindestens vier oder fünf Rotzekinder ihr eigen nennt. Keine Kindergartentür, an der nicht ein Schild mit „Liebe Eltern, wir haben zwei Fälle von Scharlach, drei Kinder mit Streptokokken und fünf mit Infekten in der Gruppe.“ hängt.
Erkältungen gehören zum Kindesalter dazu wie das Laufenlernen oder das Zahnen. Sobald das Kind Kontakt mit anderen Kindern bekommt, beginnt der Austausch der Viren. Denn meistens sind es Viren, die die Erkältungen auslösen. Da kann das Kind ein Jahr sein, drei oder sechs – irgendwann wird es eine Zeit geben, in dem ein Schnupfen dem nächsten die Klinke in die Hand gibt.
Da über die Hälfte der Kinder inzwischen vor dem zweiten Lebensjahr in Betreuungseinrichtungen kommt, verschiebt sich das Eintrittsalter der Abwehrstärkung auch nach vorne. Das hat Vorteile: Die Kinder sind früher aus dem Alter wieder raus und können die Vorschulzeit infektfrei überstehen. Vor allem gibt es aber Nachteile: Je kleiner das Kind, desto beeinträchtigter reagiert der Organismus, desto sorgenvoller die Eltern, desto eingeschränkter sind die Behandlungsmöglichkeiten.
Bei ein wenig laufender Nase bleiben alle noch ruhig. Besorgt sind die Eltern und Erzieher erst beim Husten, dem bösen bösen Symptom, das Unheil bringt. „Ich komme ja nicht bei jedem Schnupfen, aber der Husten der letzten zwei Tage, das hat mir dann schon Angst gemacht.“ Was also tun?
Vor den Viren in der Luft, an der Türklinke, am Einkaufswagengriff kann sich niemand schützen. Es gilt bei uns als unüblich, mit Mundschutz durch die Fußgängerzone zu laufen. Zuviel Desinfektion schadet dem Immunsystem mehr, als dass es hilft und greift zudem Haut und Atemwege an.
Aber Händewaschen hilft: Bringt den Kindern bei, sich regelmäßig die Hände zu waschen – nach dem Toilettengang sollte das klar sein. Darmerreger lassen sich nach dem Toilettengang oder dem Windelwechseln mit Händewaschen gut im Griff behalten. Es macht aber auch vor dem Essen und vielleicht auch nach dem „Nachhausekommen“ Sinn. Beim Essen ist der Weg der Hand ins Gesicht viel häufiger als sonst. Nach dem Kindergarten kann man die Viren „abwaschen“. Da geht es weniger um den Schmutz an sich, sondern um Rituale an bestimmten Tagesabläufen, die mögliche Übertragungswege einzudämmen.
Händewaschen vernichtet die Erreger zwar nicht, aber reduziert die Viruslast auf ein Maß, mit dem ein Organismus gut zu recht kommen kann. Vor der Infektion steht die Inkubation, die Aufnahme des Erregers, die noch keine Erkrankung bedeutet. Vor allem aber wird durch regelmäßiges Händewaschen die Übertragung der Erreger und damit das epidemische Auftreten von Rotz, Wasser und Husten eingedämmt. Das gilt im Übrigen auch für ErzieherInnen.
Husten ist ein Schutzmechanismus des Körpers. Ihn sofort zu bekämpfen wäre, als würde man den Staubsauger abschaffen oder die Straße nicht mehr fegen. Oder den Auspuff im Auto zustöpseln. Husten macht Sinn, er bringt die Erkältungserreger, aber auch Verunreinigungen und Schleim nach oben, sodass sie aus den Atemwegen befördert werden. Die Atemwege werden befreit – auch durch nachfolgendes Erbrechen oder dem Herunterschlucken des Hochgehusteten.
Dieses Abhusten muß jedoch nicht zusätzlich durch „Schleimlöser“, medizinisch Mukolytika oder Expektoranzien, angetrieben werden. Die DEGAM-Leitlinie (für Erwachsene, für Kinder gibt es so etwas nicht) empfiehlt: „Ein akuter Husten im Rahmen eines Infektes sollte nicht mit Expektorantien (Sekretolytika, Mukolytika) behandelt werden.“ Die Werbung suggeriert anderes: Da müssen Schleimbagger irgendwelchen Schmutz bewegen, dazu sind sie zu schwach, also muß irgendwas eingeworfen werden.
Meine persönliche Erfahrung in der Praxis: Kinder mit Sekretlöser husten sich die Seele aus dem Leib, weil sie noch mehr Schleim befördern müssen. Außerdem ist bei einer möglichen Bronchitis per se der Schleim in den Bronchien „gefangen“, ein noch mehr an Sekret verschlimmert die Symptomatik.
Wie ist das mit den Phytopharmaka? Einen gewissen Wirkeffekt wird den gängigen Mitteln rund um Thymian, Primel und Efeu nachgesagt, die Effekte sind aber eher gering. Zur Behandlung von Kindern schweigt sich die o.g. Leitlinie zudem aus. „Bei entsprechendem Therapiewunsch des Patienten können (…) Phytopharmaka zur moderaten Symptomlinderung bzw. -verkürzung bei Erkältungshusten bzw. akuter Bronchitis erwogen werden.“ Das bedeutet soviel wie: Kann man machen, muß man aber nicht.
Persönliche Erfahrung: Ob mit oder ohne Hustenlöser, eine Erkältung dauert zehn Tage. Außerdem habe diese Präparate – obwohl brav „natürlich“ – ebenfalls eine schleimlösende Wirkung, siehe oben. Dann gibt es die Hustenstiller. Sie sind in letzter Zeit wieder ins Gespräch gekommen, als codeinhaltige Mittel für Kinder vom Markt genommen wurden. Vernünftige Kinder- und Jugendärzte haben den Wirkstoff schon lange nicht mehr eingesetzt. Nun ist es eben offiziell, damit es auch der letzte Allgemeinkollege versteht.
Andere Hustenstiller mit z.B. Noscapin oder Pentoxyverin gibt es weiterhin, auch sie haben ihr Nebenwirkungsprofil, können aber – für kurze Zeit eingesetzt – ein paar ruhige Nächte bereiten. Voraussetzung: Das Kind hat keine dicke Bronchitis oder Lungenentzündung, denn dann braucht es wiederum das Abhusten.
Hausmittel sind Erfahrungsmedizin. Jeder tut das, was ihm gut tut. Wir tun unseren Kindern das an, was wir denken, das ihnen gut tut. Das wurde auch bei der Twitter- und Blogumfrage klar. Alles super! Oberste Prämisse: Weniger ist mehr. Das heißt:
Und wann bleibt das Kind jetzt zuhause?Es ist eine Illusion, im Herbst eine gesunde Kindergartengruppe zu haben, das habe ich schon erwähnt. Aus epidemiologischer Sicht macht es zwar Sinn, ein Kind mit Rotznase zu Hause zu lassen, realistisch ist das aber nicht. Fiebernde Kinder bleiben daheim, das ist klar. Hier würde ich das Kriterium auch strenger setzen, als im Fieberartikel unlängst geschrieben: Ein Kind mit erhöhter Temperatur (über 37,5 Grad) hat in einer Gemeinschafteinrichtung nichts verloren. Zudem sollte es 24 Stunden ohne Fieber und ohne Fiebersenker sein, bevor der Besuch wieder erlaubt ist.
Alles andere ist schwer zu greifen und immer eine Abwägung zwischen Befinden des Kindes, Schutz der Anderen und dem Berufsalltag der Eltern. Sollte jedes Kind jedes Mal bei einer Erkältung zuhause bleiben? Wenn man davon ausgeht, dass eine Erkältung gute zehn Tage dauert und ein Kleinkind bis zu zehn bis zwölf Infekte im Jahr (genauer: im Herbst- und Winterhalbjahr) hat, dürfte ein Kleinkind nach der Eingewöhnungszeit fünf Monate komplett daheim bleiben. Der Eingewöhnungseffekt ist flöten, die Infekte kommen trotzdem.
Erkältungen sind lästig, aber unvermeidlich. Sie stärken das Immunsystem und machen die Kinder „stabiler“ für später. Viele Infekte sind in aller Regel nach Kindergarteneintritt normal und sind keine Zeichen für eine Immunschwäche.Medikamente sind im Großteil der Fälle überflüssig. Es braucht vor allem Liebe, Ruhe, frische Luft und ein oder zwei Hausmittel, denn jeder braucht auch ein bisschen Placebo, um glücklich zu sein.
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