Meine Kollegin ist heute nicht gut drauf. „Einfach schlecht geschlafen“, redet sie sich raus. Okay, akzeptiert. Aber auf Station kommt mir schon der nächste mit komischer Stimmung entgegen. Irgendwas stimmt hier nicht.
Ich fahre mit meiner Kollegin Blauauge zusammen zur Arbeit. Sie ist Anästhesistin und heute irgendwie mies gelaunt.
„Was ist los?“, frage ich.„Nichts. Einfach schlecht geschlafen. Kennst du doch von deinen unfallchirurgischen Kollegen. Alle ziemlich launisch, sprunghaft und undurchschaubar, oder nicht?“, gibt sie zurück.„Äh, kann sein. Ich frag nicht mehr nach.“
Aber sie hat recht – die Stimmung ist heute insgesamt etwas komisch. Zum Beispiel Kollege Oberfeldwebel: Er verfolgt mich, als sei er als Späher für ein feindliches Lager unterwegs.
„Alles ok bei dir?“, frage ich.„Ja, wieso?“„Irgendwie tauchst du überall da auf, wo ich mich gerade befinde.“„Echt? Ist mir nicht aufgefallen. Ach so, gehst du heute Mittag essen?“„Wahrscheinlich, willst du mit?“„Gehst du alleine essen?“„Keine Ahnung. Kollegin Blauauge hat heute, glaube ich, keine Zeit. Ob die anderen Kollegen dabei sind, weiß ich nicht.“„Ach, ruf mich einfach an, wenn du gehst“, meint er und verschwindet.
Irgendwann ist es 12:30 Uhr und ich könnte es tatsächlich in die Mensa schaffen. Ich rufe den Kollegen an.
„Kollege Oberfeldwebel, willst nun mit essen gehen?“„Gehst du alleine?“„Naja, mit den 200 anderen Hungrigen eben, die auch in der Schlange stehen.“ „Ja, ich komme mit.“
Auf dem Weg in die Mensa treffe ich die Kollegen Frischling, Blauauge und Mc Sexy. Als uns Oberfeldwebel in der Schlange stehen sieht, dreht er um und murmelt etwas von einem Anruf. Komischer Kauz heute.
Um 16 Uhr warten wir auf unseren Oberarzt zur Besprechung. Kollege Oberfeldwebel tritt von einem Fuß auf den anderen. Dann bricht es aus ihm heraus:
„Lieschen, ich hab da zwei Fragen. Dein Mann ist doch auch Arzt, oder? Wie klappt das denn, so zwei Mediziner als Paar? Und jetzt bald das Baby? Das ist doch eine ganz schön anstrengende Nummer. Belastet das nicht?“„Äh, bitte, was? Nein, mein Mann ist kein Arzt. Und was war die andere Frage?“ „Ach so, ich dachte nur. Wie geht’s denn deiner Freundin Blauauge? Ich habe es ja heute nicht geschafft, mit euch essen zu gehen.“„Gut, denke ich. Keine Ahnung.“
Ich bin irritiert.
Die Besprechung ist zu Ende und ich gehe ins Bereitschaftszimmer, umziehen. Vor der Tür wartet mal wieder der Oberfeldwebel.
„Geh dich ruhig umziehen. Ich warte so lange hier draußen.“„Sonst hast du doch auch kein Problem damit, wenn wir Kolleginnen und Kollegen uns in einem Raum umziehen. Keine Angst, der dicke Bauch ist nicht ansteckend.“Er läuft rot an: „Nein, ist schon ok. Ich warte.“
Noch mehr Irritation.
Wie jeden Tag warte ich im Anschluss auf Blauauge, um zusammen nach Hause zu fahren. Neben mir steht Oberfeldwebel, etwas bleich im Gesicht. Er reibt sich ständig die Hände und schwitzt.
„Könntest du mir bitte sagen, warum du so nervös bist und hier noch rumstehst? Kann ich dir irgendwie helfen?“„Naja, nochmal wegen vorher. Meinst du, dass es zwischen zwei Medizinern klappen könnte?“„Eine Beziehung? Klar, klappt doch bei vielen. Wieso nicht?“
Wir werden von Blauauge unterbrochen.
„Hallo Lieschen, können wir fahren?“„Klar. Bis morgen, Oberfeldwebel.“
Oberfeldwebel macht einen abrupten Schritt nach vorne, spricht zwar mit mir, schaut aber die ganze Zeit nur Blauauge an.
„Lieschen, könntest du alleine nach Hause fahren? Dann könnte ich mich für mein blödes, kindisches, idiotisches Verhalten gestern Abend bei Kollegin Blauauge entschuldigen und sie dafür auf ein selbst gekochtes Abendessen einladen. Ich bringe sie dann auch wie ein Gentleman nach Hause.“
Ich schaue von rechts nach links und lache mich fast kaputt. Ich ziehe die Augenbrauen nach oben und blinzle zu Blauauge, die die Arme vor der Brust verschränkt hält.
„Gibt es auch was zu trinken?“
Meine Antennen für Zwischenmenschliches sind aber auch wirklich nicht die besten.
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