Wird ein Medikament im Supermarkt verkauft, macht es das nicht automatisch ungefährlich. Weil das vielen Laien nicht klar ist, muss die Beratung zu solchen Präparaten umfassend sein. Hier eine kleine Auffrischung zum Thema Johanniskraut.
Wechselwirkungen vermeintlich harmloser Medikamente, die es auch in Drogerien zu kaufen gibt, werden immer wieder unterschätzt. Gerade bei Johanniskraut ist das nicht ganz ungefährlich. Zu Beginn der dunklen Jahreszeit möchte ich daher euer Wissen etwas auffrischen – und euch die Beratung zu einem sinnvollen Einsatz dieser Präparate erleichtern.
Die Wirkung der hochdosierten Extrakte ist nicht ausschließlich auf den Hauptwirkstoff Hypericin beschränkt. Sie scheint sich vielmehr aus einem Zusammenspiel aller enthaltenen Inhaltsstoffe zu ergeben. Hypericin ist ein Anthrachinon-Derivat und für die rote Farbe des Johanniskrautöls verantwortlich. Zusammen mit dem ebenfalls enthaltenen Pseudohypericin gehört es zu den Naphtodianthronen, und hemmt die Wirkung dopaminerger und serotonerger Transmittersysteme. Dadurch kann es helfen, Symptome der Depression zu lindern.
Eine antidepressive Wirkung haben auch die Phloroglucinderivate Hyperforin und Adhyperforin, die die Aufnahme von Serotonin, Dopamin, Gamma-Aminobuttersäure und Noradrenalin hemmen.
Die enthaltenen ätherischen Öle wirken beruhigend, und die Flavonoide Hyperosid, Rutosid, Quercitrin, Isoquercitrin und Biflavone wirken sich – vermutlich aufgrund der Hemmung von Monoaminooxidase – positiv auf den Serotoninspiegel im Gehirn aus.
Somit sind die Einsatzmöglichkeiten vielfältig und reichen von leichten bis mittelstarken Depressionen, über Stresserkrankungen und Wechseljahresbeschwerden bis hin zur Prüfungsangst.
Johanniskrautpräparate weisen im Gegensatz zu synthetischen Antidepressiva seltener Nebenwirkungen auf und haben eine gut belegte Wirkung bei leichten bis mittelschweren Depressionen. Auftreten können vor allem Mundtrockenheit, eine leichte Störung des Magen-Darm-Traktes und allergische Reaktionen.
Zu beachten ist vor allem die Photosensibilisierung, die bei hohen Dosen auftreten kann. Diese wird jedoch immer wieder diskutiert. Während sie als Nebenwirkung in den Beipackzetteln der Präparate erwähnt wird, besagen einige Studienergebnisse etwas anderes.
Aus eigener Erfahrung ist mir eine junge Kundin in Erinnerung, die im Sommer Rotöl gegen Aknepusteln auf ihr Gesicht aufgetragen hatte. Sie kam mit einem ausgesprochen starken Sonnenbrand zu uns, der sich auf die behandelten Stellen beschränkte. Nacken, Dekollete, Arme und Beine waren vollkommen verschont geblieben. Eine Tierärztin berichtete mir außerdem von einem extremen Sonnenbrand auf dem Euter einer mit Rotöl behandelten Kuh.
Daher bin ich hier in der Beratung vorsichtig und empfehle bei der Anwendung von Johanniskrautpräparaten, innerlich wie äußerlich, grundsätzlich den Einsatz von Sonnencreme, mindestens mit LSF 30.
Viel wichtiger bei der Empfehlung von Johanniskrautprodukten ist jedoch die Frage nach der Einnahme weiterer Medikamente. Auch die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ weist ausdrücklich darauf hin, „dass Johanniskraut als Induktor von Isoenzymen des Cytochroms P450 zur Wirkungsbeeinträchtigung (inkl. oraler Kontrazeption) und ggf. bei Absetzen zur erhöhten Toxizität zahlreicher Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite, wie z. B. Ciclosporin, Tacrolimus, Digoxin, Theophyllin, Antidepressiva (Amitriptylin, Nortriptylin), Antikoagulantien, Antikonvulsiva und mehreren HIV-wirksamen Medikamenten, führen kann.“
Die genannten Antikoagulantien gehören zum Cumarin-Typ, die HIV-wirksamen Medikamente sind vor allem Protease-Hemmer, wie beispielsweise Indinavir. Die Einnahme zellwachstumshemmender Medikamente in der Krebstherapie gilt ebenso als Kontraindikation.
Die Enzyminduktion in der Leber verursacht einen schnelleren Abbau der genannten Arzneimittel, die somit einen großen Teil ihrer Wirkung einbüßen. Das kann vor allem bei den Gerinnungshemmern fatal sein, denn die Gefahr eines Schlaganfalls erhöht sich. Auch eine effektive Wirkung von Immunsuppressiva und Chemotherapeutika wird durch deren schnelleren Abbau in der Leber abgeschwächt. All diese Wechselwirkungen sind in ihrer Ausprägung dosisabhängig.
Daraus ergeben sich Fragen für die Praxis: Bis zu welcher Tagesdosis ist die Einnahme ungefährlich und ab welcher Menge sollte man von der Einnahme abraten? Sichere Grenzwerte existieren nicht, daher empfinde ich selbst die niedrig dosierten Präparate, die in jedem gut sortierten Supermarkt angeboten werden, als bedenklich. Hier wird es dem Kunden – ohne Beratung und allein nach seinem eigenen Gutdünken – selbst überlassen, was er sich möglicherweise mit der Einnahme antut.
Schwierig ist in diesem Zusammenhang auch die häufig anzutreffende „viel hilft viel“-Mentalität. Patienten müssen darüber aufgeklärt werden, dass eine spürbare Wirkung der Johanniskrautpräparate erst nach etwa zwei Wochen erreicht wird. Wer als Laie die vermeintlich ungefährlichen, weil niedrig dosierten, freiverkäuflichen Präparate zu sich nimmt, kann ohne eine Aufklärung über diesen Sachverhalt dazu neigen, einfach die Tablettenmenge zu erhöhen.
Die Tabletten dürfen laut geltender Gesetzeslage nur Extrakte entsprechend einer maximalen Tagesdosis von 1 Gramm Droge enthalten. Als wirksam, und damit auch relevant für Neben- und Wechselwirkungen, gilt die Einnahme ab 2–4 Gramm Droge, die bei einer eigenmächtig erhöhten Dosierung schnell erreicht sind.
Wer dagegen nicht lange genug und sinnvoll dosiert die Tabletten einnimmt, kann für sich fälschlicherweise zu dem Schluss kommen, dass Johanniskraut bei ihm nicht wirkt. Damit würde für diesen Menschen eine relativ nebenwirkungsarme Therapiemöglichkeit wegfallen und ein großer Schritt hin zu verschreibungspflichtigen Antidepressiva wäre unnötig gemacht.
Eine Aufklärung über die Gefahren bei der Einnahme von Johanniskrautpräparaten erfolgt in aller Regel weder in der Drogerie, noch im Supermarkt, was schlimme Folgen haben kann. Seien es ungewollte Schwangerschaften, Abstoßungsreaktionen, Schlaganfälle oder Asthmaanfälle aufgrund des schnelleren Abbaus von Theophyllin in der Leber.
Die Wirkung von Johanniskrautpräparaten bei leichten bis mittelschweren Depressionen ist gut belegt. Wer in der dunklen Jahreszeit unter depressiven Episoden leidet, aber vor der Einnahme chemischer Medikamente zurückschreckt, für den ist ein standardisiertes Produkt aus der Apotheke sicher einen Versuch wert.
Wichtig ist eine umfassende Beratung und Aufklärung des Patienten vor dem Beginn der Einnahme. Er muss darüber informiert werden, dass mit einem Wirkeintritt nicht vor dem Ablauf von vierzehn Tagen regelmäßiger Einnahme gerechnet werden kann. Ein Wechselwirkungscheck mit Medikamenten, die er bereits einnimmt, muss zwingend erfolgen, wie auch eine Aufklärung über die möglichen Nebenwirkungen und deren Prävention. Denn die Abgabe von Johanniskraut ohne Beratung kann tatsächlich lebensgefährlich sein.
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