Mit freiverkäuflichen Hirnstimulatoren soll man seine kognitive Leistungsfähigkeit verbessern können – zu Hause und ohne ärztliche Aufsicht. Aber bringen die Elektroden ohne den Neurologen überhaupt etwas oder sind sie womöglich sogar gefährlich?
Vor einigen Monaten präsentierte Elon Musk sein neuestes Projekt: Neuralink soll die Rechenleistung eines menschlichen Gehirns mit der eines Computers verbinden. Über Gedanken ließen sich damit etwa Roboter, Prothesen oder andere Software steuern. Umgekehrt, so die langfristigen Vorstellungen, könnten ausführbare Programme und „Betriebssystem“-Software auch ins Gehirn geladen werden und es damit zu Leistungen befähigen, die sich durch „normales Lernen“ nur schwer realisieren lassen.
Nicht jede Firma, die an ähnlichen Projekten arbeitet, hat wie Neuralink einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag zu Verfügung, um solche ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen. Und so gibt es neben den Anwendungen für den klinischen Bereich – für die Behandlung von Parkinson oder Depressionen mittels Stromstößen ins Gehirn – auch einen grauen Markt.
Mehr als ein Dutzend Firmen versuchen inzwischen Geräte direkt an Kunden zu verkaufen, die sich von einer Verbindung zwischen Elektrotechnik und Nervenzentren im Schädel eine Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit, oder einfach nur Erkenntnisse über ihre Gehirnströme erwarten. Viele davon operieren in einer Grauzone zwischen medizinischer Anwendung und „Wellness“, um den strengen Anforderungen der Regulierungsbehörden zu entgehen. Auf aussagekräftige große Studien können sich die Käufer in den allermeisten Fällen nicht verlassen.
In einer Übersicht schauten Judy Illes und ihre Kolleginnen der University of British Columbia in Vancouver den Anbietern auf die Finger und überprüften, welche von den Versprechungen wirklich auf solidem Grund gebaut sind. Von den 41 untersuchten nicht invasiven Geräten sollten 19 bestimmte Gehirnbereiche stimulieren und 22 die Gehirnaktivität aufzeichnen. Ihre Anwendungsziele reichen von der Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit über die Behandlung von Schmerzen und Schlaflosigkeit bis hin zur Verlangsamung von Alterungsprozessen.
Nur acht Geräte beriefen sich bei ihren Versprechen zur Besserung der neurologischen Fähigkeiten auf begutachtete wissenschaftliche Veröffentlichungen. Alle anderen enthielten zum Teil nur Hinweise auf die Wirkungsweise von transkranieller Gleichstromstimulation über der Schädeldecke.
Der Strom soll die elektrische Ladung auf der Membran der Nervenzellen verändern, was ihre Erregbarkeit teilweise verstärkt und teilweise dämpft. Damit „könne“ das Denkvermögen verbessert werden. Tatsächlich haben die Marketing-Spezialisten in vielen Fällen jemanden parat, der von der ungeheuren Wirkung berichtet. In vielen Fällen berufen sich die Versprechungen aber auch ganz allgemein über Forschungsergebnisse zu transkraniellen elektrischen Stimulation.
Gibt es auch Gefahren? Anscheinend nicht. Mehr als die Hälfte der untersuchten Geräte enthielten keine Warnungen zu Risiken, die der Kunde schon vor dem Kauf einsehen könnte. Zum Teil wiesen die Hersteller auf die Möglichkeit von Unwohlsein, Hautreizungen oder Schwindelgefühl hin – nicht selten mit dem Hinweis, man möge die Höhe der Impulse doch drosseln, wenn sich ein Unwohlsein einstelle.
Langzeitfolgen solcher regelmäßiger Gehirnstimulationen sind bisher noch nicht absehbar. „Wir haben die Methode noch nie mit den Frequenzen untersucht, mit denen viele Nutzer experimentieren – zum Beispiel monatelang täglich oder länger. Wir wissen, dass schon einige wenige Sitzungen langandauernde Wirkungen haben,“ so Michael D. Fox von der Harvard Medical School, „deswegen nehmen wir an, dass die Veränderungen mit diesen Geräten noch größer sein werden.“
Die Wirkung solcher Elektroden beschränkt sich nicht auf die Region direkt unterhalb der Kontakte, sondern ist entsprechenden Beobachtungen zufolge auch in weiter entfernten Bereichen zu spüren. Dementsprechend könnte es auch dort zu Veränderungen kommen, wo diese gar nicht gewollt sind. Schließlich scheint entsprechend Forschungsergebnissen klar zu sein, dass der Strom aus der Maschine ruhende Neuronen anders beeinflusst als aktive Nervenzellen. Eine Neurostimulation dürfte daher ganz unterschiedlich wirken, je nachdem, ob das entsprechende Gehirn gerade mit Fernsehen, Schlafen oder der täglichen Arbeit beschäftigt ist.
Andere Geräte dienen dazu, die Gehirnströme aufzuzeichnen. „Das ‚Focusband-Headset‘ und die zugehörige App liefern zum Beispiel ein ‚Neurofeedback, eine erprobte Methode, um das Gehirn zu trainieren‘“. Neurofeedback ist eine computergestützte Trainingsmethode, bei der dem Patienten die eigene Gehirnaktivität, über die man für gewöhnlich keine Wahrnehmung hat, wahrnehmbar gemacht werden. Dafür bekommt das Gehirn über Monitor und Lautsprecher gespiegelt, was es gerade tut. Durch diese Rückmeldung soll man lernen, die Gehirnaktivität selbst besser zu regulieren.
Anna Wexler von der University of Pennsylvania veröffentlichte bereits im letzten Jahr eine Analyse von 18 Firmen, die „Consumer-EEG“-Geräte auf den Markt gebracht hatten. Die Messung der aktuellen „Gehirnstrom-Situation“ würde dann über ein Neurofeedback-Training Möglichkeiten zur Verbesserung des Wohlbefindens bieten. Kosten für ein solches „Gedanken-Kontrollinstrument“: Zwischen 99 und 800 US-Dollar in Elektronikläden oder etwa bei Internet-Großhändlern.
Im Vergleich zu professionellen Geräten mit 32 bis 128 Elektroden sind die Geräte aus dem Laden nur mit wenigen Kontakten bestückt. Auch die fehlende Verstärkung der schwachen Signale schon am Ort der Aufnahme führt zu einem großen Rauschen und ziemlich ungenauen Daten. Schließlich beeinflussen auch Schweiß, Augenbewegungen und Muskelaktivität die Aufzeichnungen. Die professionelle Umgebung einer Klinik berücksichtigt alle diese Parameter. Dementsprechend oft kommt es beim Hausgebrauch zu Artefakten oder einer enorm breiten Streuung der Ergebnisse, wie Stichproben-Tests ergeben haben.
Einzelne Firmen wie etwa der Hersteller der Stirnbands „Muse“ hat Untersuchungen mit einer kleinen Anzahl von Teilnehmern mit und ohne das entsprechende Neurofeedback angestellt. Die großen Unterschiede innerhalb der untersuchten Gruppen und die fehlende Möglichkeit einer doppelten Verblindung könnten bei der beobachteten Wirkung ebenso gut auf einen Placebo-Effekt schließen lassen. Eine aussagekräftige Studie sieht anders aus.
Die Chancen, Geräte für den Eigengebrauch an ehrgeizige Gehirnoptimierer zu verkaufen, stehen gut. Voraussagen gehen von einem Marktpotential von rund drei Milliarden US-Dollar schon im nächsten Jahr aus. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA trägt wohl auch ein wenig zu den Erfolgsaussichten bei. Denn sie stellt keine so großen Anforderungen an „low risk“ Geräte, wie sie das etwa für Instrumente im klinischen Gebrauch tut.
Das bezeugen auch Aussagen von Kapitalgebern, die ihre finanzielle Unterstützung nicht so bereitwillig herausgeben würden, würde die Behörde eine eigene strenge Zulassung vor Verkaufsstart einführen. Daher taucht auch in den Werbesprüchen viel öfter der Begriff „Wellness“ statt „Gesundheit“ auf, um nicht mit den Regulationsbehörden in Konflikt zu geraten.
Wenn es nach nach den Vorstellungen und Wünschen der Hersteller dieser Geräte geht, sollte das Fitnessstudio fürs Gehirn in einigen Jahren genauso normal sein wie der Hometrainer im Hobbykeller. Trotz unzureichender Evidenz könnte es damit zum kommerziellen Erfolgsmodell werden.
Bildquelle: Robert Zunikoff, unsplash