„Es gibt keinen Grund, sich nach Geräuschen zu orientieren, wenn Sie auch alles sehen können“, findet ein US-amerikanischer Kardiologe. Er hält das Stethoskop im Jahr 2019 für unnötig. Hat er Recht?
Was vor gut 200 Jahren als Papierrolle begann und zunächst als französische Allüre abgetan wurde, ist weltweit zum Symbol der Ärzteschaft geworden: Das Stethoskop. Es gehört so sehr zum Arztberuf dazu, dass Medizinstudenten in vielen Unis der USA in der „White Coat Ceremony“ nicht nur einen Kittel, sondern auch ein Stethoskop überreicht bekommen. Erfahrene Hausärzte können bereits anhand der Anamnese und mit Hilfe des Stethoskops die meisten Krankheiten des Brustraums korrekt zuordnen, und manch einer fühlt sich ohne Stethoskop geradezu nackt.
Trotzdem stellen vor allem Fachärzte dem altgedienten Gerät eine schlechte Prognose. Der Kardiologe Prof. Eric Topol, Begründer des Scripps Research Translational Institute in La Jolla (Kalifornien) hält das Stethoskop für veraltet und nichts weiter als ein Paar Gummischläuche: „Es war für 200 Jahre in Ordnung, aber wir müssen darüber hinausgehen. „Es gibt keinen Grund, sich nach Geräuschen zu orientieren, wenn Sie auch alles sehen können.“
Aussterben könnte das Stethoskop, weil zunehmend Ultraschallgeräte auf den Markt kommen, die etwa die Größe einer Fernseh-Fernbedienung haben. Sie erkennen krankhafte Herz- und Atemgeräusche und liefern zusätzlich Bilder des schlagenden Herzens und Elektrokardiogramme. Künstliche Intelligenz hilft bei modernen Geräten, die korrekte Positionierung zu finden und die Ergebnisse richtig zu interpretieren. Dadurch sind diese Geräte ähnlich leicht zu bedienen wie ein Stethoskop, die Anwendung erfordert im Vergleich aber wesentlich weniger Erfahrung – das Hören und Interpretieren von Körpergeräuschen per Stethoskop erfordert ein sensibles und geschultes Ohr. Der Kardiologe Prof. James Thomas aus Chicago weist darauf hin: „Einige neuere Studien haben gezeigt, dass Absolventen der Bereiche Innere Medizin und Notfallmedizin mit einem Stethoskop möglicherweise die Hälfte auffälliger Geräusche übersehen.“
Befürworter der High-Tech-Geräte führen die geringe Spezifität (36-96%) und Sensitivität (19-67%) der Auskultation zur Diagnose einer ambulant erworbenen Lungenentzündung als Argument an, zudem kommen unterschiedliche Personen nur zu 72 Prozent zu übereinstimmenden Ergebnissen. Thoraxaufnahmen schneiden nur wenig besser ab. Eine Metaanalyse, in der 14 Studien zur Ultraschalluntersuchung bei Verdacht auf Lungenentzündung zusammengefasst wurden, ergab dagegen eine Sensitivität von 82 Prozent und eine Spezifität von 94 Prozent. Angesichts solcher Zahlen warnen die Ultraschall-Fans vor einem „das haben wir schon immer so gemacht“.
Kritiker der mobilen Ultraschalluntersuchung (point-of-care ultrasonography, POCUS) geben zu bedenken, dass die hohe Genauigkeit der Ultraschalluntersuchungen dadurch erzielt wurde, dass die Geräte an ausgewählten Patientengruppen getestet wurden. Auch seien sie bei einer Lungenembolie der Computertomographie unterlegen. Weiter führen sie an, dass die diagnostische Genauigkeit nicht alles ist, sondern dass auch gezeigt werden müsse, dass sich durch die Methode für den Patienten etwas ändert: Warum extrem teure Geräte einsetzen, wenn der Patient davon nur wenig profitiert? Denn während sehr gute herkömmliche Stethoskope wenige hundert Euro kosten, müssen für ein leistungsfähiges Mini-Ultraschall-Gerät mehrere tausend Euro veranschlagt werden.
Medizinische Fakultäten in den USA haben solche Geräte teilweise schon in den Lehrplan aufgenommen. Prof. Paul Wallach, stellvertretender Dekan an der Uni Indianapolis, hält das Stethoskop im Gegensatz zu seinem Kollegen nicht für eine aussterbende Spezies: „Die Geräte verbessern unsere Fähigkeit, einen Blick unter die Haut in den Körper zu werfen.“ Er glaubt, dass die nächste Generation von Ärzten ein Stethoskop um den Hals und ein Ultraschallgerät in der Tasche tragen werden.
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