Fachinformationen zu Generika unterscheiden sich in vielen Fällen deutlich von denen des Originalpräparats. Wenn der Arzt seine Patienten nicht richtig informiert, kann das für ihn haftungsrechtliche Folgen haben.
Seit 17 Jahren ist es gängige Praxis, dass der Arzt ein Medikament verordnet und der Patient in der Apotheke ein Generikum bekommt – sofern der Arzt dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Deshalb ist es verwunderlich, dass lange Zeit niemand auf die Idee gekommen ist, die Fachinformation von solchen wirkstoffgleichen Medikamenten systematisch zu vergleichen.
Das hat ein Team aus Ulm und Mainz nachgeholt und ist bei den Kontraindikationen aus Fachinformationen zu Medikamenten auf deutliche Unterschiede gestoßen. Ihre untersuchung bezog sich auf Medikamente, die für die Behandlung von psychischen Störungen gemäß ICD-10 F (ohne ICD-10 F52) zugelassen sind. Unter 78 Wirkstoffen, von denen es wirkstoffgleiche Handelspräparate mit insgesamt 904 Fachinformationen gab, fanden sich bei mehr als der Hälfte der Wirkstoffe (n = 43; 55,1 %) Unterschiede in der Anzahl der aufgelisteten Kontraindikationen.
Die nähere Betrachtung zeigte, dass dies vor allem bei Hypnotika und Sedativa (7 von 9; 77,8 %), Anxiolytika (6 von 8; 75,0 %), Mittel zur Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen (2 von 3; 66,7 %), Antidepressiva (13 von 21; 61,9 %), Antikonvulsiva und Phasenprophylaktika (7 von 13; 53,8 %), Antipsychotika (7 von 17; 41,2 %) und Antidementiva (1 von 4; 20,0 %) der Fall war. Psychostimulantien stellten die Ausnahme dar: Hier gab es bei den Gegenanzeigen keine Unterschiede zwischen verschiedenen Fachinformationen (0 von 2). Die größten Spannbreiten bei der Anzahl der aufgeführten Kontraindikationen fanden sich in den Fachinformationen von Morphin (14), Amitriptylin (8), Chlorprothixen (6), Lorazepam (6) und Citalopram (4).
Eine Fachinformation ist die rechtsverbindliche Informationsgrundlage für die Aufklärung bei einer medikamentösen Therapie. Sie bezieht sich aber immer auf ein Handelspräparat und nicht auf einen Wirkstoff. Das macht es möglich, dass es trotz der Erstellung der Fachinformationen nach rechtlichen Vorgaben und der Prüfung durch deutsche und europäische Behörden zu Unterschieden bei prinzipiell gleichen Präparaten kommt.
Der Arzt ist verpflichtet, seine Patienten über die medikamentöse Therapie aufzuklären und dessen Einwilligung einzuholen. Dafür müsste der Arzt theoretisch über sämtliche Gegenanzeigen, Nebenwirkungen und weitere relevante Merkmale aller Arzneimittel aufklären, die der Apotheker im Rahmen der Aut-idem-Regelung abgeben könnte – ein unrealistisches Unterfangen, wenn man bedenkt, dass die Autoren dieser Studie sich nur auf die Gegenanzeigen für Medikamente zur Behandlung psychischer Störungen beschränkt haben. Als konkretes Beispiel nennen sie Haloperidol: Dort fanden sich Hinweise von „Darf nicht bei Kindern unter 3 Jahren angewendet werden“ über „Darf nicht bei Kindern unter 12 Jahren angewendet werden“ bis hin zu „Darf nicht bei Kindern angewendet werden“ war alles dabei. So etwas kann für den Arzt haftungsrechtliche Folgen haben.
Da die Beschaffung der Fachinformationen zu den untersuchten Medikamenten teilweise kein Kinderspiel war und die gefundenen Unterschiede groß waren, folgern die Autoren: „Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der zugleich unübersichtlichen und äußert umfangreichen informationellen Situation erscheinen haftungsrechtliche Konsequenzen für den verordnenden Arzt – aus ärztlicher Sicht – unverhältnismäßig. Eine Bewertung des hier gefundenen Problems von juristischer Seite ist daher wünschenswert. Möglicherweise sind auch regulative Maßnahmen erforderlich.“ Deshalb haben die Autoren das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn (BfArM) über die Ergebnisse der Studie informiert.
Apotheker sind in dieser Dreiecksbeziehung diejenigen, die die Patienten am ehesten aufklären können, denn sie kennen beide Seiten: Was der Arzt verschrieben hat und was der Patient am Ende bekommt. Ihnen fehlt allerdings wiederum die Kenntnis darüber, was dem Patienten eigentlich fehlt. Wie Licht in diese Grauzone kommen soll, bleibt unklar.
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