In der Bevölkerung und bei jungen Ärzten scheint der Schrecken von Polio in Vergessenheit geraten zu sein. Denn: Zu wenige Kinder sind in Deutschland dagegen geimpft.
In Deutschland werden zu wenige Kinder gegen Polio geimpft. Das geht aus dem aktuellen epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervor. Demnach lagen die Impfquoten bei Schulstart im Jahr 2017 nur bei 92,9 Prozent. Die WHO empfiehlt allerdings eine Quote von mindestens 95 Prozent.
„Die Impfquoten sind zu niedrig“, wird Sabine Diedrich, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Poliomyelitis und Enteroviren am RKI auf tagesschau.de zitiert. In den vergangenen drei Jahren sei in Deutschland ein leichter, aber deutlicher Abfall der Polio-Impfraten registriert worden. Ein Prozent weniger geimpfte Kinder im Jahr klinge nicht viel, ergänzte Diedrich. „Ein Geburtsjahrgang umfasst in Deutschland aber rund 700.000 Kinder. Wenn sieben Prozent nicht geimpft sind, heißt das, dass pro Jahr fast 50.000 Kinder nicht mehr gegen Polio geschützt sind“. Und ihre Zahl steige von Jahr zu Jahr an.
Diese Zahlen sind angesichts der möglichen Gefahren drastisch. Die schwerste Verlaufsform der Poliomyelitis geht mit Lähmungen der Muskulatur von Extremitäten und Rumpf einher – daher die umgangssprachliche Bezeichnung „Kinderlähmung“. Werden das hirnnahe Rückenmark und der Hirnstamm vornehmlich befallen, ist von einer pontinen bzw. bulbären Form zu sprechen. Diese ist prognostisch sehr ungünstig, da sie zu einer zentralen Atemlähmung führt. Die Erkrankung ist nicht heilbar.
„Der Schrecken von Polio gerät in Vergessenheit, nicht nur in der Bevölkerung, auch bei jungen Ärzten“, sagt RKI-Expertin Diedrich. „Sie haben noch nie Polio gesehen und verfügen nur über Lehrbuchwissen.“
Erklärtes Ziel der WHO war es, Polio bis 2016 auszurotten. Das wurde zwar nicht erreicht, dennoch sprach die WHO letzte Woche von einem Meilenstein: Zwei von drei der auslösenden Virentypen seien nun offiziell ausgerottet. Die Frage ist allerdings: Wirken derartige Triumphmeldungen nicht vielleicht sogar dem eigentlichen Ziel, eine höhere Durchimpunfsrate zu erreichen, entgegen? Denn solche Nachrichten vermitteln unter Umständen ein falsches Gefühl der Sicherheit und verleiten zur Sorglosigkeit. Die Zahl der nicht geimpften Kinder könnte unter diesen Voraussetzungen sogar noch weiter ansteigen.
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