"Hey, ich heiße Tanja. Ich bin Intensiv-Krankenschwester."
"Wow Respekt, das könnte ich nicht!"
- Danke, das ist jetzt wahrscheinlich nett gemeint, aber - warum nicht??
Wie im Himmels Willen kommst du so schnell zu dem Schluss, nicht als Krankenschwester oder Krankenpfleger arbeiten zu können?
Warum höre ich diesen Satz zum gefühlt vierhundertdreiundachzigsten mal?
Was für ein Bild hat jeder, dem ich das erzähle im Kopf, wenn er an meinen Beruf denkt?
Dass ich jeden Tag von früh bis spät alte Menschen wasche?
Dass ich ständig am Scheiße wischen bin?
Dass ich ganz schreckliche Arbeitszeiten habe?
Wahrscheinlich.
Aber weißt du was?
Das ist nur ein Bruchteil von dem, was ich tue.
Ja, ich helfe Menschen, die aus meist tragischen Gründen selbst nicht mehr dazu in der Lage sind, ihre Körperpflege durchzuführen - dauert max 1h pro 8h Schicht.
Ja, diese Menschen scheiden gegessenes wieder aus - so wie du und ich auch.
Ja, ich arbeite mal früh morgens, mal spät abends, mal nachts - dafür hab ich auch mal ohne Urlaub 7 Tage am Stück frei.
Aber genauso verabreiche ich diesen Menschen Medikamente. Beobachte ihren Gesundheitszustand. Beobachte wie es ihnen von Tag zu Tag besser geht. Spiele Dolmetscher zwischen Arzt und Patient. Begleite Sterbende. Begleite Trauernde. Begleite Genesende. Gebe Hoffnung. Nehme Blut ab. Helfe bei Diagnostik. Sehe kleine Schritte der Besserung. Gebe Unterstützung beim atmen. Bin Ansprechpartner für Patienten und Angehörige. Helfe beim aufstehen. Und wieder hinlegen. Spiele Logopädin, Ergotherapeutin und Physiotherapeutin - im kleinen Rahmen. Stelle Beatmungsmaschinen ein. Sehe Menschen sterben, und wieder leben. Verbinde Wunden. Verabreiche Infusionen. Stille Schmerzen. Und Tränen. Reanimiere Menschen. Rette Leben.
Ich habe in meiner Schulzeit ein Praktikum im Krankenhaus gemacht. Und mir hat es überhaupt nicht gefallen.
Warum bin ich doch wieder dort gelandet?
Weil ich lieber mit Menschen als mit Papier arbeite.
Weil das Ausbildungsgehalt gar nicht schlecht ist.
Und auch danach, für die geleistete Arbeit zwar grenzwertig, aber echt in Ordnung.
Weil die eigene Wohnung im Schwesternwohnheim gelockt hat. Näher beim Freund.
Weil ich freundlich und höflich sein kann.
Weil mich der menschliche Körper interessiert.
Weil ich mich halt einfach darauf eingelassen habe.
Das wars.
Deswegen bin ich der Meinung, jeder einigermaßen empathische Mensch könnte als Krankenschwester oder - pfleger arbeiten.
Jeder. Auch du.
Klar, ein bisschen Wille gehört dazu.
Der Wille, Vorurteile abzuschütteln.
Der Wille sich auf Neues einzulassen.
Der Wille bei manchen Dingen nicht so zimperlich zu sein - übrigens äußerst praktisch in vielen Lebenslagen, sich mal nicht so anzustellen.
Der Wille, einfach mal tief durchzuatmen und sich an den Anblick von Blut zu gewöhnen - Hey, du hast 5l davon in deinem eigenen Körper!
Aber was im Leben geht schon ohne ein bisschen Willen?
Und klar, es wäre vielleicht nicht dein Traumberuf, aber Fakt ist, du wärst ebenso wie ich in der Lage, diesen Beruf auszuüben.
Das soll keine Werbung sein, dass du sofort deinen Job kündigen und dich im nächsten Krankenhaus bewerben sollst.
Das soll einfach zum nachdenken anregen.
Darüber, dass der 3. Satz dieses Textes zwar oberflächlich nett gemeint, aber einfach nur Unsinn ist.
Danke fürs zuhören :)