BEST OF BLOGS | Meine Bettnachbarin und ich sind angespannt. Heute ist Chefarztvisite. Dann endlich öffnet sich die Tür, ein ganzes Heer tritt herein. Von der Kunst, in der Visite nicht unterzugehen.
Ob Ärzte manchmal darüber nachdenken, wie sich zum Beispiel eine Chefarztvisite anfühlt, wenn man auf der anderen Seite steht? In diesem Blogbeitrag kannst du als Mediziner in die Rolle des Patienten schlüpfen.
In Krankenhäusern ist es oft so, dass es jeden Tag eine Visite gibt. Meist eine Chefarztvisite, eine Oberarztvisite und dazu noch die täglichen Visiten der Stationsärzte. Manchmal sind auch Psychoonkologen dabei. Gerade bei der Chefarztvisite fühlt man sich häufig überrumpelt und ganz, ganz klein.
Auch ist die allgemeine Anspannung, die wie eine Welle ins Zimmer schwappt, regelrecht greifbar, denn alle sind hochkonzentriert und haben meist irgendwelche aussagekräftige Untersuchungsergebnisse mitgebracht, die zu besprechen sind. Man merkt es schon, bevor die Tür aufgeht. Dann wird vor dem Zimmer gemurmelt, geraschelt und angestrengt geflüstert. Manchmal hörst du sogar noch deinen Namen und fragst dich angespannt, was über dich geredet wird. Die Minuten bis dahin, bis sich die Tür schließlich öffnet, sind unendlich lang und quälend. Stehen sie dann alle an deinem Bett, ahnt jeder Patient schon, was es bedeutet, dass die Ärzte dem eigenen Blick ausweichen, dir nicht mehr in die Augen schauen.
Bei der „großen Visite“ wird der Chefarzt üblicherweise von einem großen Tross begleitet. Er ganz vorne, dann die Oberärzte, es folgen die Stations- und die Assistenzärzte, eine Krankenschwester, ja und dann noch jede Menge Studis. Eine Fußballmannschaft ist nix dagegen. Das macht schon Eindruck und auch etwas Angst. Zumindest ging es mir immer so.
Damit du es trotzdem schaffst, deine Fragen anzubringen, empfehle ich dir, diese vorher aufzuschreiben. Notiere dir alles, was du wissen möchtest. Und: Versäume nicht, nachzufragen, wenn du etwas nicht verstehst. Bleib am Ball und lass dich nicht abwimmeln. Dies gilt übrigens auch für Arztgespräche in der Praxis oder bei den begleitenden Untersuchungen. Immer schön vorbereiten und fragen, fragen, fragen.
Denn merke: Selbst wenn die Visite noch im Zimmer ist, aber beim Bettnachbarn angekommen ist, haben sie für deinen Fall keine Antenne mehr. Die ganze Aufmerksamkeit richtet sich dann auf deinen Zimmergenossen. Das ist auch richtig so und zu respektieren. Warum? „Weil sonst Fehler passieren“, so hat man mir es mal erklärt. Ganz einfach und sinnvoll also. Daher nutze im richtigen Moment die Chance und hake nach, so gut du kannst. Nimm dir deine Zeit. Wenn nötig und möglich, lass einen Angehörigen/Freund dazukommen, der dich unterstützt.
Wichtig ist auch, dass man den Arzt nicht schont. Ich meine damit: Sagt, wenn es euch schlecht geht. Bei einigen meiner lieben Mitpatienten konnte ich das öfter beobachten. Vor der Visite schleppten sie sich ins Bad, es ging ihnen schlecht und sie jammerten vor Schmerzen. Im Beisein der Ärzte war das aber alles kein Thema mehr. Am liebsten hätte ich mich eingeschaltet, manchmal habe ich es sogar getan, muss ich gestehen. Für eine gute Behandlung – im doppelten Sinn – ist es essenziell, zu zeigen und zu äußern, wie es in euch aussieht. Verheimlichen hilft niemandem. Erzähle auch, wie es deinen Lieben zu Hause geht; „Ärzte von heute“ achten darauf, sie müssen es sogar.
Wenn es dein Gesundheitszustand zulässt, ziehe dich an (keine Nachtwäsche) und mach dich etwas zurecht. Setze dich im Bett auf oder (noch besser) an den Tisch im Zimmer. Aber wie gesagt, nur wenn es geht. Alles zusammen hilft dir, den Tagesablauf zu gestalten. Das ist gut für die gesamte Haltung und dein Wohlbefinden – auch ohne Visite. Der Sinn dahinter ist reine Psychologie. Die Ärzte nehmen dich anders wahr, auch sie sind Menschen. Du kommunizierst auf Augenhöhe. Denn natürlich bist du Patient, aber das ist ja nicht dein Beruf, das macht nicht deine Persönlichkeit aus. Du bist mehr als die Erkrankung und das solltest du durchschimmern lassen. Wenn du im Krankenhausnachthemd im Bett liegst, obwohl du es nicht müsstest, bist du ein Patient von vielen. Tipp: Liegt ein Buch auf deinem Nachttisch, macht ganz bestimmt einer aus der Ärzteschaft (gerne jemand aus der „3. Reihe“) eine Bemerkung über deinen Lesestoff und schwuppdiwupp hast du wieder ein kleines Stück deiner Individualität gesetzt, die sonst einfach flöten geht.
Was mich immer angetrieben hat, ist der Punkt, den ich oben bereits erwähnt habe, dass ich meine Persönlichkeit nicht an der Anmeldung abgegeben habe. Ich habe einmal zu einem Arzt gesagt: „Wissen Sie, mein Beruf ist nicht Patient sein. Ich habe tatsächlich ein Vorleben, einen Beruf, eine Ausbildung, eine Geschichte, ich bin Teil einer Community, einer Familie.“ Daraufhin hat er mir dann später gestanden: „Nella, ich habe Sie ‚gestalkt‘. Ich habe mir angeschaut, was ich im Netz über Sie finde und war beeindruckt. Sie haben Recht, Sie sind mehr als ‚nur‘ Patientin.“
Darüber habe ich mich sehr gefreut – er hatte mich ernst genommen, sich für mich interessiert und sich mal anders mit mir beschäftigt als nur mit meiner Patientenakte.
Ich habe mir mal einen Vortrag zu dem Thema angesehen. Dort wurde besonders der Aspekt des Verstehens und Verstandenwerdens betont. das klingt so simpel und ist dennoch das alles entscheidende Wechselspiel zwischen Patient und Arzt. Im günstigsten Fall führt es sogar zur Mitgestaltung der eigenen Behandlung. Und das ist das Beste, was dir passieren kann. Finde ich jedenfalls.
Dieser Beitrag gehört zu dem Blog „Zellenkarussell. Mit der Krankheit dreht sich das Leben plötzlich schneller“.
Bildquelle: Susan Q Yin, Unsplash