Von der Notlösung zum Standard – das TAVI-Verfahren wird längst nicht mehr nur bei Schwerstkranken eingesetzt. Auch Niedrigrisiko-Patienten profitieren inzwischen. Wann ist ein konventioneller chirurgischer Klappenersatz überhaupt noch sinnvoll?
Das Video in schriftlicher Form:
Dr. Stefan Waller: 2002 hat der pfiffige Franzose Alain Cribier das TAVI-Verfahren eingeführt (Transkatheter-Aortenklappenimplantation). Seitdem beobachten wir einen wahren Siegeszug dieser Technik, die ja ursprünglich für inoperable und sterbenskranke Patienten zur Leidensminderung gedacht war. Dann hat sich das Verfahren immer weiter ausgedehnt. Jetzt gibt es die Daten der PARTNER-3-Studie und wir sehen nun auch bei Niedrigrisiko-Patienten hervorragende Ergebnisse. Wie sehen Sie denn die Entwicklung – welcher Patient soll jetzt noch einen konservativen chirurgischen Klappenersatz bekommen?
Prof. Volkmar Falk: Das stimmt, das ist ein erstaunlicher Erfolg einer disruptiven Technologie, die in den letzten Jahren aufwändig weiter verbessert wurde. Man hat die Katheter und Klappen verkleinert und anfängliche Probleme eliminieren oder zumindest minimieren können. Unter anderem ist die Rate von paravalvulären Lecks mit der letzten Generation von Klappen verringert worden. Das hat dazu geführt, dass man auch in den Niedrigrisiko-Patientengruppen gute Ergebnisse hat. Sie sind zwar nicht unbedingt besser, aber zumindest genauso gut wie in der Herzchirurgie. Man muss aber auch einschränkend sagen, dass in dieser Gruppe bisher Langzeitdaten fehlen. Wir sehen aber Hinweise, dass es im Langzeitverlauf noch Unterschiede geben könnte. Deshalb muss man das Ganze noch unter einem gewissen Vorbehalt sehen.
Ein paar 10-Jahres-Daten gibt es aber schon, oder?
Wir haben zwar ein paar 10-Jahres-Daten, allerdings noch keine großen Kollektive. Man muss also hier und da noch ein Fragezeichen machen. Dennoch ist völlig klar, dass es das Standardverfahren für den Aortenklappenersatz wird.
Man muss dennoch beachten, dass ein großer Teil von Patienten aus der Low-Risk Studie ausgeschlossen wurde, zum Beispiel Patienten mit bikuspiden Klappen oder einem verkalkten Ausflusstrakt. Es gibt also eine ganze Reihe von Patienten mit anderen anatomischen und klinischen Faktoren, die in den Trials noch nicht berücksichtigt wurden. Für diese Patienten ist der Klappenersatz vermutlich besser.
Ich glaube, mittlerweile sind wir aus dem Stadium raus, in dem man überlegt, ob man sich nur für TAVI oder nur für die Chirurgie entscheidet. Es geht eher darum, welches Device man für welchen Patienten wählt. Das hängt auch sehr mit der Landezone zusammen, weil sich die Implantate je nach Landezone unterschiedlich verhalten. Man muss sich dort in einem Heart-Team über die beste Therapie für jeden Patienten verständigen.
Es werden ganz klar immer mehr Patienten mit einer TAVI behandelt werden, dennoch wird es aber auch immer noch eine Gruppe Patienten geben, die besser chirurgisch versorgt werden sollten.
Welche Patienten sind denn mit einem chirurgischem Aortenklappenersatz besser bedient?
Das betrifft viele Patienten mit bikuspiden Klappen, vor allem bei jüngeren Patienten. Bei denen wissen wir auch, dass die Kalklast auf den Klappen sehr hoch ist. Und es betrifft auch die Patienten mit deutlichen Verkalkungen im Ausflusstrakt …
… weil die dann mehr Schlaganfälle entwickeln?
Ja, weil hier auch die Raten für paravalvuläre Lecks oder Schrittmacher deutlich erhöht sind. So gibt es noch andere Gruppen.
Es gibt aber im Gegenteil auch Patienten mit nur sehr engem Ausflusstrakt, sodass man nur eine sehr kleine Prothese einsetzen kann. Da würde ich heute sagen, dass eine TAVI auch bei Niedrigrisiko-Patienten ein sehr gutes Verfahren ist. Die hämodynamischen Daten sind, gerade bei kleinem Ausflusstrakt, unter Umständen besser, als bei einer chirurgischen Klappe.
Stichwort TAVI bei Aortenklappeninsuffizienz, wie ist da der Stand? Vor Jahren gab es ja schon mal die JenaValve aus Deutschland.
Es ist sicher noch kein Standardverfahren und auch hier gilt: Wenn auch ein rekonstruktives Verfahren möglich ist – es sind ja häufig jüngere Patienten – dann sollte dies durchgeführt werden. Vorzugsweise macht man das in entsprechenden Zentren, die ein solches Programm auch anbieten.
Die Devices, die wir aktuell zur Verfügung haben, sind nicht gut geeignet für die Aortenklappeninsuffizienz. Das muss man ganz klar sagen. Gelegentlich machen wir es, aber dann hauptsächlich bei Patienten, die wirklich inoperabel sind. Bei einem Patienten mit einem Homograft, bei dem eine Re-Operation sehr schwierig sein kann und der eine Klappeninsuffizienz hat, ist eine TAVI sicher eine gute Idee. Hingegen bei einem jungen, nicht vor-operiertem Patient mit einer Aortenklappeninsuffizienz, der häufig auch weitere Aortenerkrankungen hat – beispielsweise einer Erweiterung der Aorta ascendens – da spielt eine TAVI aktuell keine Rolle. So ein Patient sollte also operiert werden.
Woran liegt das – fehlt dann das Kalkfundament, an dem die Klappe verankert werden kann?
Die meisten Klappen nutzen als Hauptverankerungsmechanismus immer noch die Radialkräfte: Es wird ein Stent in der Wurzel eingebracht, der sich dann bei einer verkalkten Wurzel auch gut verankern lässt. Bei der Aortenklappeninsuffizienz gibt der Aortenanulus aber nach. Zudem sind die Klappen auch häufig größer und somit ist der Halt der Klappe nicht so gut.
Herzlichen Dank, Herr Professor Falk!
Dieses Video wurde transkribiert von Nick A. Nolting.
Bildquelle: Sean Tiernan, Flickr