MEIN KNIFFLIGSTER FALL | Bigeminus, Unwohlsein, periorale Parästhesien – mit diversen Intoxikationsanzeichen stand ein älteres Paar vor mir. Verdächtig: Zum Abendessen gab es Kräutersauce.
Es war ein lauer Sommerabend in einem der kleinsten Krankenhäuser Deutschlands. Als einzige anwesende Ärztin in der Nacht in diesem Krankenhaus, gerade aus der Universität geschlüpft, vernahm ich ein Klopfen an der Eingangstür des Krankenhauses.
„Guten Abend, wie kann ich helfen?“
Durch die Videokamera lugten mir vier Augen entgegen. „Es geht uns nicht gut, wir brauchen Hilfe“.
Ich öffnete die Tür und es trat ein Ehepaar herein, beide ungefähr 70 Jahre alt. Ich geleitete das Lehrer-Ehepaar zum Aufnahmezimmer. Sie berichteten, dass sie zu Abend gegessen hätten und es ihnen anschließend nicht gut gegangen sei. Sie fühlten sich schlapp, schwach und außerdem würde es um den Mund herum kribbeln. Aus meinem Toxikologie-Praktikum wusste ich, dass periorale Parästhesien durchaus ein Intoxikationszeichen sein könnten. Also vertiefte ich meine Anamnese in diese Richtung. In der Zwischenzeit wurde der Blutdruck gemessen, der bei beiden bei circa 80/60 mmHg lag, sie bekamen ein Bett auf der Überwachungseinheit und es erfolgte eine ausführliche Paar-Anamnese. Zu meiner Überraschung zeigte sich bei beiden in der Monitorüberwachung ein ventrikulärer Bigeminus.
Die Patientin gab an, sie habe eine Sauce mit Kräutern aus dem Garten gemacht. Da ich mit meinem Latein am Ende war, wandte ich mich an eine Giftnotrufzentrale. Der Kollege, dem ich die Anamnese, aktuellen Beschwerden und erhobenen Befunde schilderte, rief: „Oh Gott! Es könnte eine Aconitin-Intoxikation sein!“. Da dies ein vollkommen fremder Begriff für mich war, erklärte er, dass es sich um eine Eisenhutvergiftung handeln könnte.
Ich hielt es anschließend für sinnvoll, den Kollegen direkt mit den Patienten sprechen zu lassen. So telefonierte die pensionierte Lehrerin auf der Überwachungsstation mit dem Kollegen der Giftnotrufzentrale. Es stellte sich heraus, dass die Patientin Bärlauch im Garten hatte, der häufig mit Eisenhut verwechselt wird. Der Ehemann stellte inzwischen die Fragen, ob hinter der Saucenzubereitung mit giftigen Pflanzen wohl ernsthafte Vergiftungsabsichten seiner Gattin steckten. Dies verneinte seine Frau jedoch vehement und glaubhaft.
Da der Blutdruck beider Patienten sich trotz Infusionen nicht anheben ließ und der ventrikuläre Bigeminus persistierte, wurden sie, nach Asservierung von Serum für eine toxikologische Untersuchung, in umliegende Krankenhäuser verlegt. So sollte vermieden werden, dass ich als einzige Ärztin im kleinsten Krankenhaus Deutschlands in einer lauen Sommernacht zwei Patienten gleichzeitig reanimieren müsste. Einige Tage später konnten die Patienten in gutem Zustand entlassen werden.
Die toxikologische Untersuchung wies bei beiden Patienten Aconitin nach – enthalten in Aconitum napellus, dem Eisenhut, der neben Bärlauch wachsen und so versehentlich verzehrt werden kann. Alle Pflanzenanteile sind stark giftig und bereits die Einnahme von ungefähr 2 g der Wurzel können tödlich enden.
Aconitum napellus, Bildquelle: WolfBlur, pixabay
Mit herzlichem Dank an den schlauen Kollegen der Giftnotrufzentrale.
Dieser Beitrag ist von Ioana Ionascu. Sie hat an unserem DocCheck-Wettbewerb „Mein kniffligster Fall“ teilgenommen: Ärzte sollten von einem Fall erzählen, der sie besonders beschäftigt hat.
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Bildquelle: epicantus, pixabay