Schon bei der Begrifflichkeit gibt es Probleme: Es geht um Transsexualität – oder Transidentität, wie es eigentlich heißt. Urologin Susanne Krege erklärt, warum es wichtig ist, dass Ärzte Bescheid wissen.
Anmerkung der Redaktion: Frau Krege hat sich zu Beginn des Videos versprochen. Sie meint Transidentität statt Transidentitas. Denn Transidentitas ist der Name eines Vereins, der Betroffene betreut.
Das Video in schriftlicher Form:
Volker Wittkamp: Für manche ist es wahrscheinlich ein bisschen kompliziert, die Begriffe Intersexualität und Transsexualität zu unterscheiden. Vielleicht könnten Sie das kurz definieren?
Prof. Susanne Krege: Sie haben jetzt die Begriffe Transsexualität und Intersexualität gewählt. Das sind Begriffe, die wir für diese beiden Gruppen nicht mehr verwenden, weil die Betroffenen gerne von dem Begriff Sexualität wegkommen möchten. Denn tatsächlich hat es nichts mit Sexualität, wie wir es verstehen, zu tun. Um die Definition einmal klarzustellen: Statt Transsexualität sprechen wir heute von Transidentität und das bedeutet, dass sich der entsprechende Mensch im falschen Körper geboren fühlt. Also, eine biologisch männliche Person fühlt sich weiblich und umgekehrt. Sie strebt im Leben auch an, das umzusetzen und das eben auch letztendlich durch Hormone und meist auch operative Maßnahmen entsprechend angleichen zu lassen – operative Maßnahmen nicht unbedingt, aber in den meisten Fällen schon.
Dem gegenüber Intersexualität – auch ein Begriff, der von den Betroffenen nicht mehr gerne gehört wird. Hier bevorzugen wir im Deutschen den Begriff Variation der Geschlechtsdifferenzierung und hier liegen multiple Ursachen zu Grunde: Dass bei Geburt die Chromosomen, Gonaden und Phänotyp, also äußeres Erscheinungsbild im Genitalbereich nicht immer kongruent sind. Hier können wir die Geschlechtsidentität nicht abschätzen. Das sind also zwei völlig unterschiedliche Bereiche.
Zu dem Thema gibt es auch einen neuen Gesetzesentwurf, der hier auf dem Kongress auch diskutiert wird – ich glaube, unter anderem in der morgigen Sitzung. Um was für ein Gesetz handelt es sich da, was soll sich ändern?
Die Betroffenen von einer Variation der Geschlechtsentwicklung beklagen, dass über viele Jahrzehnte hinweg, nach der Geburt eines betroffenen Kindes, Eltern und Ärzte gleich entschieden haben, operative Maßnahmen durchzuführen, um eine Angleichung in das männliche oder weibliche Geschlecht zu erreichen. Man dachte, nur so könne sich auch eine stabile Geschlechtsidentität entsprechend der Anpassung entwickeln. Heute wissen wir, dass das nicht so ist. Ich schätze, das ist erst seit etwa 7–8 Jahren so, seit Betroffenenverbände in der Öffentlichkeit auf ihr Schicksal aufmerksam machen. Sie klagen an, dass Eltern und Ärzte sie in ein Geschlecht hineinoperiert und -gebracht haben, mit dem sie sich nicht identifizieren. So ist diese Diskussion erst wirklich aufgekommen. Man kann sich vorstellen, wenn Eltern ein Kind bekommen und der Arzt oder die Hebamme nicht sagen können, ob es ein Mädchen oder Junge ist, entsteht natürlich eine massive Krise. Bislang – und auch immer noch – muss das Geschlecht innerhalb von 14 Tagen im Stammbuch eingetragen werden. Das setzt die Leute natürlich unter maximalen Druck.
Sie sagten eben auch, dass früher schnell operiert wurde, das heißt, jemand hat das Geschlecht festgelegt und dann wurde operiert – in welche Richtung auch immer. Welches Vorgehen ist denn Ihrer Meinung nach am besten?
Ja, da gibt es einen Gesetzesentwurf, der ist noch nicht durch. Vermutlich wird es aufgrund der allgemeinen Wirren in der Politik bis zum nächsten Jahr dauern. Wir haben mehrere Anhörungen gehabt und es soll ein Verbot ausgesprochen werden, bei nicht-einwilligungsfähigen Kindern mit einer Variante der Geschlechtsdifferenzierung solche Operationen vorzunehmen. Es dürfen natürlich notfallmäßige Interventionen erfolgen, beispielsweise wenn der Harnabfluss nicht gesichert ist und Infektionen auftreten. Aber es sollen keine Maßnahmen, die geschlechtsangleichende Wirkung haben, durchgeführt werden. Wir Ärzte haben viel von den Betroffenenverbänden gelernt. Wir haben auch die erste S2k-Leitline zu diesem Thema geschrieben. Hier gibt es die Empfehlung, die Operationen zu unterlassen.
Das Problem ist aber, unter den Betroffenen mit Varianten der Geschlechtsdifferenzierung hat die größte Gruppe eine adrenale Hyperplasie (adrenogenitales Syndrom, nachfolgend AGS) und die sprechen sich für eine frühe Operation aus. Bei diesem Nebennierendefekt wird ein Enzym für die Kortisonbildung nicht gebildet. Auf einem Umweg entstehen dann aber vermehrt männlich Hormone. Diese Kinder, also Mädchen mit Chromosomensatz XX und weiblichen inneren Genitalen, haben ein mehr oder weniger stark vermännlichtes äußeres Genital. Diese Gruppe macht 60 % der Betroffenen aus. Und die möchten weiterhin, dass man im frühen Alter operiert. Auch die Eltern unterstützen das. Wenn man auf die Statistiken schaut, sieht man: Über 90 % identifizieren sich hinterher auch als weiblich. Aber jetzt zu sagen, dass es bei allen Betroffenen mit AGS sinnvoll ist, das zu machen, hätte massive Kritik zur Folge.
Sie haben zwei Schritte bei dieser Gruppe von Betroffenen mit AGS: Die hypertrophierte Klitoris in das weiblich Genital anzugleichen und den unteren Teil der Scheide zu rekonstruieren. Das kann man alles in einer Sitzung machen und die meisten Mediziner haben es auch so gemacht. Es gab eine kleine Gruppe Mediziner, zu denen ich gehört habe, die im Kleinkindesalter nur die vergrößerte Klitoris reduziert haben und die Scheide erst später, zu Beginn der Pubertät – weil die Mädchen dann auch wussten, um was es geht und entsprechend postoperativ in der Lage waren, das Ganze zu pflegen.
Ich denke immer noch, wenn ein Mädchen mit einer hochgradigen Klitorishyperplasie geboren wird und es bei Geburt aussieht wie ein Junge – die Eltern erziehen das Kind als Mädchen, im Kindergarten hat das Mädchen dann Freundinnen. Die duschen vielleicht mal zusammen und dann sagt eine der Freundinnen: „Du bist ja gar kein Mädchen.“ Es gibt bislang keine Daten darüber, wie die Entwicklung der Kinder ist, wenn man das belässt und ich denke, das muss man auch berücksichtigen. Deshalb sollte man sich solche Fälle individuell anschauen. Bei einer geringen Klitorishyperplasie würde ich heute empfehlen, nicht mehr zu operieren. Aber es gibt Fälle, bei denen es auch sinnvoll sein kann und man in den Fällen individuell entscheiden sollte.
Ob man die Pubertät abwartet oder vielleicht sogar mit Hormonen anhält – das sind Kinder, die sich sozusagen transident fühlen. Da braucht man eine Phase, um zu sehen, ob das stabil ist. Man muss also aufpassen, keine frühzeitigen medizinischen Aktionen vorzunehmen, die irreversibel sind, wie gegengeschlechtliche Hormone oder operative Maßnahmen.
Sind die Zahlen angestiegen, ist das ein Thema?
Also wenn wir von den transidenten, ehemals als transsexuell bezeichneten Patienten sprechen, da ist es schon eine sehr hohe Zahl. Aber ich würde sagen, in der Sprechstunde bekommen Sie innerhalb von 4–6 Wochen einen Termin. Die Wartezeit für Operationen jedoch beträgt bis zu 1,5 Jahre. Wir machen 4 Angleichungen pro Monat, das ist also schon gewaltig. Wir sind auch nicht die einzige Klinik mit so langen Wartezeiten.
Bei den Betroffenen mit Varianten der Geschlechtsdifferenzierung sind es ja wenige, also etwa 160.000 in Deutschland und da bekommt man schnell Sprechstundentermine.
Dann wird ja auch diskutiert, woher dieser enorme Anstieg kommt – ob es vielleicht an einer erhöhten Akzeptanz liegt oder ob es eine Modeerscheinung ist, was sagen sie dazu?
Also, wenn Sie sicher näher mit der Thema befassen, dann werden Sie das bis ins Mittelalter zurückverfolgen können und auch in anderen Kulturen spielt es eine Rolle. Ich glaube, dass es viel damit zu tun hat, dass in den letzten Jahren durch die Medien die Akzeptanz gestiegen ist und sich insbesondere Transidente besser outen können, besser akzeptiert werden und nicht abrutschen.
Thema Modeerscheinung: Ich habe einen Bericht gelesen, dass sich in einem Ort innerhalb von kurzer Zeit 7 oder 8 Kinder als transident geoutet haben. Das kommt mir, ehrlich gesagt, komisch vor. Da muss man sehr aufpassen und deswegen werden vor operativen Maßnahmen auch Gutachten von versierten Psychologen gefordert. Die muss es meiner Ansicht nach unbedingt geben. Also auch wir Mediziner selbst brauchen diese Absicherung, bevor wir irgendwelche medizinischen Maßnahmen durchführen, die dann irreversibel sind.
Bezüglich operativer Maßnahmen – gibt es da irgendetwas bahnbrechendes Neues was Sie hier auf dem Kongress vorstellen oder was sich in den letzten Jahren geändert hat?
Eigentlich ist die Angleichung von Mann zu Frau inzwischen sehr standardisiert. Was sicher gut ist, was auch meine oberärztliche Kollegin hier vorstellt – ist jetzt nichts Neues, aber wir haben unsere Serie mal ausgewertet: Es gibt manchmal Komplikationen, dass eine Scheide, die aus Penisschafthaut gebildet wurde, schrumpft oder aufgrund von Wundheilungsstörungen kaputt geht. Wenn man dann eine neue Scheide aufbaut, kann man das laparoskopisch unter Nutzung eines Darmsegmentes tun.
Umgekehrt gibt es bei den Angleichungen von Frau zu Mann verschiedene Techniken. Da kann man sicherlich noch Dinge optimieren, aber auch da hat sich in den letzten 10 Jahren viel getan. Wir erstellen hier gerade eine Leitlinie zu den operativen Maßnahmen, um die Standardisierung voranzubringen.
Vielen Dank an Frau Professor Krege für diese aufschlussreiche Erläuterung! Für viele niedergelassene Kollegen ist das bestimmt ein Thema, mit dem sie sich nicht häufig beschäftigen. Ich glaube, es ist gut, noch mehr Aufklärungsarbeit, auch hinsichtlich der Begrifflichkeiten zu leisten.
Dieses Video wurde transkribiert von Nick A. Nolting.Bildquelle: Sharon McCutcheon, pexels