Die schwangere Kundin überreicht dem Apotheker ein Rezept über Ondansetron. Der zögert vor der Abgabe. Hat der betreuende Arzt den aktuellen Rote-Hand-Brief nicht gelesen?
Der Apotheker nimmt das Rezept einer schwangeren Kundin entgegen. Er weiß, dass sie unter einer Hyperemesis gravidarum leidet und sich noch im ersten Trimenon befindet. Der Frauenarzt der Kundin hat nun den Wirkstoff Ondansetron verordnet, daher zögert der Apotheker vor der Abgabe. Hat der Arzt etwa den neuen Rote-Hand-Brief noch nicht gelesen?
Die Schwangerschaftsübelkeit ist ein Phänomen, das etwa 20–35 % der schwangeren Frauen betrifft. Hier gibt es sowohl zahlreiche apothekenpflichtige Arzneimittel, als auch Hausmittel und Diätempfehlungen, die helfen können, bis die schlimmste Zeit vorüber ist.
Diese Form der Schwangerschaftsübelkeit ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Hyperemesis gravidarum, die sowohl eine Gefahr für die werdende Mutter als auch für den Fötus darstellen kann. Etwa 1 % aller Schwangeren leiden darunter. Der Flüssigkeits- und Elektrolytverlust kann so groß sein, dass Gefahr für Leib und Leben von Mutter und ungeborenem Kind besteht.
Die Hyperemesis endet auch nicht immer nach den berühmten drei Monaten, sondern kann die komplette Schwangerschaft hindurch persistieren. Hier gibt es leider nur recht wenige weitgehend unbedenkliche Medikamente auf dem deutschen Markt, die eine Linderung versprechen.
Eines davon wird nun allerdings für das vermehrte Auftreten von Lippen- und Gaumenspalten verantwortlich gemacht. Den Apotheken wurde Anfang Oktober ein entsprechender Rote-Hand-Brief zugestellt. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hatte die neuen Erkenntnisse bezüglich des Risikos orofazialer Fehlbildungen bereits im August dieses Jahres als PRAC-Empfehlung veröffentlicht. Die Rede ist von Ondansetron.
Im Off-label-use wurde vermehrt auf diesen Wirkstoff zurückgegriffen, der bis vor kurzem als gut untersucht und sehr sicher galt. Der kompetitive 5-HT3-Rezeptor-Antagonist hemmt die Wirkung von 5-Hydroxytryptamin am Rezeptor im Dünndarm und der Area postrema. Diese bildet zusammen mit dem Nucleus tractus solitarii das Brechzentrum. Der Wirkstoff dient vor allem der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen in Verbindung mit einer Chemo- oder Strahlentherapie. Schwangere mit einer Hyperemesis gravidarum, die keine Antihistaminika vertragen und die ebenfalls keine Spätdyskinesie riskieren möchten, bekamen in der Vergangenheit immer wieder Ondansetron rezeptiert. Das ist in dieser Form nicht mehr bedenkenlos möglich.
Welche Möglichkeiten bieten sich überhaupt zur Therapie einer Hyperemesis? Wichtig ist der Ausgleich von Flüssigkeit und Elektrolyten. Die betroffenen Frauen sollten hier Hilfe bei ihrem Arzt oder in einem Krankenhaus suchen, wo sie meist Infusionen erhalten. Zudem ist die Hyperemesis eine Ausschlussdiagnose, es müssen also erst andere Erkrankungen ausgeschlossen werden, bevor sie behandelt wird. Eine Entzündung der Leber oder der Bauchspeicheldrüse, sowie andere Stoffwechsel- oder psychisch bedingte Krankheiten können ähnliche Symptome hervorrufen. Der Verweis der Patientin an einen Arzt ist also unerlässlich für die sichere Diagnosestellung.
Bevor verschreibungspflichtige Medikamente zum Einsatz kommen, hat es sich bewährt, zunächst einmal Medikamente mit dem Wirkstoff Ingwer oder Vitamin B6 zu testen. Diese zeigten, laut Studienlage, bei Übelkeit immerhin eine moderate Überlegenheit gegenüber Placebo. Da Ingwer allerdings die Wehentätigkeit anregen kann, darf er nur im ersten Trimenon angewandt werden.
Antihistaminika wie Dimenhydrinat, Diphenhydramin und Doxylamin helfen zwar gegen die Übelkeit, haben aber auch einen sedierenden Effekt. Diphenhydramin kann beim Neugeborenen eine Entzugssymptomatik verursachen, die sich in Durchfällen und Zittern zeigt. Auch ist es gegen Ende der Schwangerschaft nicht in allen Fällen zu empfehlen, da der Wirkstoff Kontraktionen der Gebärmutter fördert. Metoclopramid wird nicht mit Risiken für Fehlgeburten oder Fehlbildungen in Verbindung gebracht. Für die Mutter steigt jedoch die Gefahr einer Spätdyskinesie kumulativ an.
Doch auch ein weiterer Wirkstoff kommt hier zum Einsatz, obwohl er in Deutschland in keinem Fertigarzneimittel enthalten ist: Meclozin. Es handelt sich um ein systematisches H1-Antihistaminikum, das die Erregbarkeit des Brechzentrums direkt hemmt, indem es die Histaminwirkung an den H1-Rezeptoren blockiert.
Eine Gynäkologin, die zu diesem Thema befragt wurde, meint dazu: „Ich habe sehr gute Erfahrung mit Meclozin, das wir über die Auslandsapotheke als AGYRAX® beziehen. Wir wohnen nahe an der französischen Grenze, die Patientinnen können es sich auch direkt dort besorgen. In Deutschland war es unter Postadoxin® erhältlich, wurde aber eingestellt.“
Bei Meclozin handelt es sich um einen der am längsten erprobten Wirkstoffe in der Schwangerschaft überhaupt. Es existieren zahlreiche Studien zur Unbedenklichkeit sowohl für die werdende Mutter als auch für das ungeborene Kind. Das Fertigarzneimittel Postadoxin® wurde im Jahr 2007 aus rein ökonomischen Gründen in Deutschland vom Markt genommen, daher lohnt sich der Blick ins benachbarte Ausland durchaus.
Inzwischen besteht eine neue, aber gleichzeitig alte Therapieoption mit Cariban®, berichtet eine Frauenärztin. Wenn Tipps zur Lebensführung und komplementäre Maßnahmen wie Ingwer und Akupunktur nicht mehr ausreichen, um Patientinnen adäquat zu therapieren, steht betroffenen Frauen mit der Wirkstoffkombination aus Doxylamin und Pyridoxin nun auch in Deutschland eine bewährte Therapieoption zur Verfügung.
Laut Hersteller handelt es sich um ein Präparat, das weltweit bereits seit 50 Jahren in mehr als 33 Millionen Schwangerschaften eingesetzt und von der FDA in die Sicherheitskategorie A (kontrollierte Studien haben kein Risiko für den Feten ergeben) eingestuft wurde. In Spanien ist es bereits seit 1967 auf dem Markt.
Neben der Wirkung von Doxylamin, das unter anderem die H1-Histamin-Rezeptoren kompetitiv hemmt und damit antiemetisch wirkt, werden zentrale cholinerge Rezeptoren blockiert, womit über einen noch unbekannten Mechanismus ebenfalls eine antiemetische Wirkung erzielt wird. Pyridoxin ist ein wasserlösliches Vitamin B6, das das übelkeitsauslösende Hormonungleichgewicht (ß-HCG, Estrogen, Progesteron) reguliert.
Die US-amerikanische Fachgesellschaft American College of Obstetricans and Gynecologists (ACOG) bezeichnete Cariban® in ihren 2018 veröffentlichten Leitlinien als First-Line-Präparat, wenn nicht-pharmakologische Methoden keinen ausreichenden Erfolg haben. Das Präparat ist insgesamt eine gute Möglichkeit, Frauen schon im ambulanten Bereich zu helfen, damit es erst gar nicht zu einer Dehydration und somit zu einer stationären Einweisung kommt.
Der Frauenarzt im Beispiel vom Einstieg war froh, dass der Apotheker ihn wegen des verordneten Ondansetron kontaktierte und schrieb ein Rezept über Agyrax® aus. Es wurde als Einzelimport aus Frankreich angefordert und konnte nach zwei Tagen Wartezeit der Kundin übergeben werden.
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