Zum Thema Demenzprävention gibt es erstmals evidenzbasierte Empfehlungen und zwar von der WHO. Ob wir nun von sensationellen Maßnahmen erfahren, die uns vor einer Demenz bewahren?
Es gibt nun also erstmals eine Leitlinie der WHO, die evidenzbasierte Empfehlungen zur Demenzprävention enthält. DocCheck wies bereits kürzlich darauf hin. Nun bat mich die Redaktion um meine Einschätzung als Neurologe.
Um es gleich vorwegzunehmen: Es gibt wiederum leider nichts Neues unter der Sonne. Auch nicht von der WHO. Weder ein bisher unbekanntes Superfood, das dem Alternden das pfirsichartige Antlitz der Jugend verleiht noch irgendeine magische Aktivität, die uns körperlich und geistig so agil macht wie einen Teenie (natürlich über den hundertsten Geburtstag hinaus). Unser Problem besteht darin, dass wir uns mit diesem allzu prosaischen Umstand nicht abfinden können. Lieber wollen wir alles glauben, was man uns verspricht und kaufen auch den einhundertundersten Spiegel-Bestseller über die eierlegende Wollmilchsau des ewigen Lebens.
Desillusioniert müssen wir beim Anblick dieser WHO-Empfehlungen also zur Kenntnis nehmen, dass da nur wieder die üblichen Verdächtigen auftauchen und zwar in loser Folge: körperliche, geistige und soziale Aktivität, Rauchen, Ernährung, Alkohol, Gewicht, Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechsel, Depression und Hörminderung. Wie ernüchternd.
Die WHO hat hierzu nach einem ausgeklügelten Algorithmus ein Experten-Komitee berufen, das die vorliegende Evidenz hinsichtlich ihrer Güte und Stichhaltigkeit bewertet und entsprechend Empfehlungen hinsichtlich der Kontrolle der jeweiligen Faktoren abgegeben hat. Im Vorwort zu den Empfehlungen wird darauf verwiesen, dass Demenz nicht heilbar sei. Das mag bei Vielen immer noch den Eindruck suggerieren, dass eine Heilung hier prinzipiell etwas erzielbares sei. Das halte ich für ein grundsätzliches Missverständnis.
Die Autoren der WHO-Empfehlungen geben selber wenig später in der Einleitung das Stichwort: Das Alter sei erwiesenermaßen der stärkste Risikofaktor für eine Demenz. Man kann das daran erkennen, dass die Prävalenz von Demenzen exponentiell als Funktion des Alters ansteigt. Bei Neunzigjährigen z.B. haben über 30 % kognitive Defizite bis hin zu einer Demenz. Die direkte Erklärung für diesen Zusammenhang ist die, dass Demenz eine unausweichliche Folge von biologisch determinierten Alterungsprozessen darstellt, die sich im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren bei unterschiedlichen Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten einstellt – es sei denn andere Ursachen führen vorher zum Tod.
Bei anderen degenerativen Erkrankungen wie Arthrose oder chronischer Herzinsuffizienz ist es ja auch nicht grundsätzlich anders. Demenz zu beseitigen oder zu heilen, wäre in diesem Szenario gewissermaßen der Versuch, dem Ableben ein Schnippchen zu schlagen. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass man keine effektiveren Behandlungen als die derzeit zur Verfügung stehenden finden kann. Man spricht ja deshalb auch von krankheitsmodifizierenden Therapien, aber eben nicht von Heilung. Vor dem geschilderten Hintergrund begreift man besser, warum es wichtig ist, weitere Risikofaktoren so zu beeinflussen, dass die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken, sinkt.
Die Experten haben zu allen 12 oben genannten Risikofaktoren die Frage gestellt, ob eine Kontrolle des jeweiligen Faktors tatsächlich das Demenzrisiko reduzieren kann, ob hierbei die Vorteile die Nachteile überwiegen und dann entsprechend der Datenlage entweder eine starke oder eine eingeschränkte Empfehlung gegeben.
Am besten ist die Sachlage bei körperlicher Aktivität, wo gezeigt wurde, dass sie gut geeignet ist, um auf direktem Weg das Risiko einer Demenz zu verringern. Die Empfehlung lautet konkret, dass über 65-Jährige pro Woche mindestens 150 Minuten moderate körperliche Aktivität absolvieren sollten.
Auch das Rauchen sollte unterlassen werden. Interessanterweise ist hier der direkte Zusammenhang mit dem Auftreten einer Demenz gar nicht mehr so stark. Andere negative Folgen des Rauchens wie ein vermehrtes Auftreten verschiedener Krebserkrankungen oder auch kardiovaskulärer Krankheiten sind jedoch eindeutig belegt, so dass auch hier die Empfehlung stark ist.
Ein klarer Benefit ist auch für eine sorgfältige Blutdruckeinstellung gegeben, auch wenn der Einfluss hinsichtlich Demenz indirekt zu sein scheint, so dass auch hier eine starke Empfehlung abgegeben wird.
Die weiteren Risikofaktoren bekamen eine eingeschränkte Empfehlung, Alkohol eingeschlossen, überwiegend, weil die Datenlage nicht so eindeutig ist wie bei den oben genannten Faktoren.
Für einzelne Faktoren wie Depression, Hörminderung oder soziale Aktivität wurde keine Empfehlung abgegeben, da die Datenlage unzureichend ist hinsichtlich einer Primärprävention von Demenz. Das bedeutet jedoch nicht, dass von sozialer Aktivität oder dem Tragen von Hörgeräten abgeraten wird, insbesondere, da beides dem Wohlbefinden offensichtlich förderlich ist und kein Schaden ersichtlich scheint.
Von der Supplementation mit ungesättigten Fettsäuren bzw. Vitamin B und E wird ausdrücklich abgeraten.
Letztendlich ist es natürlich sinnvoll, dass die WHO sich angesichts der Relevanz der Erkrankung und entsprechend ihrem Auftrag, das bestmögliche Gesundheitsniveau für alle Menschen zu erreichen, zur Demenzprävention äußert. Dass dabei keine Wundermittel offeriert werden, ist eigentlich nicht überraschend. Es ist ja auch nicht die Aufgabe oder das Ziel der WHO, einen Bestseller zu platzieren.
Bildquelle: dun_deagh, flickr