Wird die Alzheimer-Krankheit diagnostiziert, ist es oft zu spät, die Demenz ist irreversibel. Eine Studie liefert jetzt neue Ansätze für die Diagnose. Dabei geht es um die fehlerhafte Faltung eines Proteins.
Bis heute gibt es keine wirksame Therapie gegen die Alzheimer-Krankheit. Das liegt vor allem daran, dass die Erkrankung erst weit nach ihrem biologischen Start klinisch diagnostiziert werden kann – wenn charakteristische Symptome, wie Vergesslichkeit, auftreten. Die zugrunde liegenden Gehirnschädigungen sind dann aber bereits weit fortgeschritten und irreversibel.
„Inzwischen liegen alle Hoffnungen darauf, mit neuen Therapieansätzen in dieser symptomlosen Frühphase der Erkrankung präventiv einzugreifen. Um solche Ansätze in Studien zu prüfen, ist es entscheidend, Menschen zu identifizieren, die ein besonders hohes Risiko haben, Alzheimer zu entwickeln“, sagt Hermann Brenner, Leiter der Abteilung Klinische Epidemiologie und Alternsforschung im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).
Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zu einer fehlerhaften Faltung des Amyloid-β-Proteins. Diese beginnt bereits 15–20 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome. Die fehlgefalteten Proteine verklumpen und lagern sich als Amyloid-Plaques im Gehirn ab. Ein von Klaus Gerwert, Ruhr-Universität-Bochum (RUB), entwickeltes Untersuchungsverfahren kann im Blut nachweisen, ob die Amyloid-Proteine abnormal gefaltet sind.
Die Untersuchung auf Amyloid-β-Veränderungen beruht auf einer Technologie namens Immuno-Infrarot-Sensor. Damit wird das Verhältnis von abnormal und normal gefaltetem Amyloid-Beta gemessen. Abnormal gefaltetes Protein neigt zur Aggregation in Amyloid-Plaques, während die gesunde Struktur dies nicht tut. Die beiden Strukturen absorbieren Infrarotlicht mit unterschiedlicher Frequenz, sodass der Bluttest das Verhältnis von gesundem zu pathologischem Amyloid-β in der Probe bestimmen kann.
In einer vorangegangenen Arbeit hatten Gerwert und Brenner bereits gezeigt, dass sich die Amyloid-β-Veränderungen im Blut schon viele Jahre vor dem klinischen Ausbruch der Krankheit im Blut feststellen lassen. Sie konnten ebenfalls zeigen, dass der Nachweis von fehlgefaltetem Amyloid im Blut mit der Plaque-Bildung im Gehirn korreliert.
Nun wollten die Wissenschaftler prüfen, ob die Analyse von Amyloid-β geeignet ist, das Alzheimer-Risiko vorherzusagen. Auch wie sie im Vergleich zu anderen bekannten und vermuteten Risikofaktoren abschneidet, wurde geprüft. Dazu griffen die Forscher erneut auf Blutproben zurück, die im Rahmen der ESTHER-Studie gewonnen worden waren. Die Kohortenstudie läuft bereits seit dem Jahr 2000.
In der aktuellen Arbeit berücksichtigten die Forscher die Ausgangs-Blutproben von 150 ESTHER-Teilnehmern, bei denen im Verlauf von 14 Jahren Nachbeobachtungszeit eine Demenz diagnostiziert wurde. Als Kontrollen wurden 620 Teilnehmer ohne bekannte Demenzdiagnose zufällig ausgewählt, die den Erkrankten in Alter, Geschlecht und Bildungsniveau entsprachen.
Für die Menschen, die später tatsächlich Alzheimer entwickelten, zeigte die Amyloid-Bestimmung ein gegenüber der Kontrollgruppe bis zu 23-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko an – bis zu 14 Jahre vor der Diagnose der Alzheimer-Demenz. Bei anderen Demenzformen, die etwa auf Minderdurchblutung des Gehirns beruhen, lieferte die Untersuchung keine Hinweise auf erhöhte Risiken. Sie ist also spezifisch für die Alzheimer-Krankheit.
„Bei dieser Arbeit ging es uns nicht darum, anhand der Amyloid-β-Faltung individuelle Diagnosen zu erstellen. Vielmehr wollten wir prüfen, ob dieser Laborwert für eine Risikostratifizierung größerer Bevölkerungsgruppen geeignet ist. Hier hat sich die Untersuchung auf Fehlfaltung des Amyloid-β den anderen potenziellen Risikomarkern als weitaus überlegen erwiesen“, erklärt Hannah Stocker, Erstautorin der Arbeit und Mitarbeiterin beim Netzwerk Alternsforschung der Universität Heidelberg.
„Mit dem neuen Nachweisverfahren können wir möglicherweise nicht-invasiv und kostengünstig Hochrisikogruppen, die noch keine Symptome zeigen, erkennen. Bei diesen Personen greifen unter Umständen die Medikamente doch noch, die bislang in klinischen Studien keine Wirkung gezeigt haben“, so Gerwert. „Vielleicht kann der Nachweis von fehlgefaltetem Amyloid-β im Blut damit entscheidend dazu beitragen, ein Medikament gegen Alzheimer zu finden.“
Um die Eignung des Laborverfahrens zur Ermittlung des Alzheimer-Risikos bei beschwerdefreien Menschen zu prüfen, sind jedoch weitere Studien erforderlich. In größeren Gruppen wollen die Forscher nun die Zuverlässigkeit der Analyse von Amyloid-β-Veränderungen ermitteln.
Ist die Blut-Untersuchung auffällig, muss dies durch ein etabliertes Verfahren zur Frühdiagnose von Alzheimer bestätigt werden, etwa durch eine Untersuchung des Nervenwassers oder durch spezielle Bildgebungsverfahren. Daher steht der Blut-Nachweis von fehlgefaltetem Amyloid-β derzeit noch nicht zur individuellen Risikoeinschätzung zur Verfügung.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums
Bildquelle: Carolina Garcia Tavizon, Unsplash