Herr Müller sitzt vor mir. Er hat eine Erkältung und fleht: „Isch braach Antibiotika, des is des aanzichsde, wo hilft. Isch muss doch schaffe!“
Ein Patient – nennen wir ihn mal Herrn Müller – sitzt vor mir. Es ist Erkältungszeit. Husten, Schnupfen, Heiserkeit. In Hessen sagt man auch: die Bibs.
„Isch braach Antibiotika, des is des aanzichsde, wo hilft. Die Aache brenne so und isch hab des schon drei Daage. Isch muss doch schaffe“, fleht Herr Müller.
Doch die Bibs sind in aller Regel nichts Schlimmes. Durch Viren ausgelöst bleibt auch diese hessische Variante, wie jede Erkältung, etwa sieben Tage lang bestehen. Durch Medikamente lässt sie sich allenfalls lindern. Denn sogenannte Virustatika, also Arzneimittel, die das Wachstum der Viren hemmen, werden nur bei schweren viralen Erkrankungen eingesetzt. Zum Beispiel im Fall einer Influenza, bei stark erkrankten oder geschwächten Patienten oder bei generalisierten Herpes-Infektionen.
Man kann also gegen Fieber, Kopf und Gliederschmerzen oder die verstopfte Nase etwas nehmen – die Viren verschwinden dadurch nicht. Der Körper muss von alleine mit ihnen fertig werden. Und Antibiotika helfen bei einer Erkältung erst recht nicht, weil sie nur gegen bakterielle Infektionen wirken.
In seltenen Ausnahmefällen können Antibiotika eingesetzt werden, wenn sich zur Erkältung eine bakterielle Infektion gesellt. Eine eitrige Nebenhöhlenentzündung oder beispielsweise eine Lungenentzündung bei geschwächten oder alten Patienten sind typische Superinfektionen.
Die Zahl der Antibiotika-Verordnungen ist zurückgegangen, was sehr erfreulich ist in Zeiten, in denen wir Sorge haben müssen, dass Bakterien zunehmend resistent werden und wir noch keine Geheimwaffe in petto haben. Aber dennoch werden Antibiotika immer noch zu häufig bei falscher Indikation aufgeschrieben.
Wir alle kennen Berichte von Patienten, die bei ihrem Hausarzt waren und zusammen mit der AU wegen Erkältung ungefragt ein Päckchen Zauber-Antibiotika erhalten haben. To go, quasi.
Am besten ist das ein Mittel mit möglichst breitem Spektrum. Damit auch alles, was im Körper so kreucht und fleucht, niedergemetzelt wird. Inklusive all der schönen Darmbakterien. Warum passiert das immer noch so oft? Zwei Ideen dazu.
Wenn jemand seine Erkältung möglichst rasch los werden möchte und das Zaubermittel verlangt, ist nicht immer Zeit für ausführliche Erläuterungen. Denn dann stehen oft 15 weitere Personen auf der Warteliste.
Alternative Therapieoptionen und Hausmittelchen zu erläutern, kostet ebenfalls Zeit. Außerdem gibt es durchaus auch Patienten, die ungehalten reagieren, wenn das Medikament verwehrt wird. Also wird von manchen Ärzten verordnet, was der Patient wünscht.
Bettruhe, Tee, Wadenwickel, eine Woche zuhause bleiben. Wer kann sich das heutzutage erlauben?
Patienten sitzen verzweifelt vor mir, wenn ich sie krankschreiben will. „Ich kann wirklich nicht fehlen …!“, „Wir sind zu wenige in der Firma …!“, „Mein Chef schmeißt mich raus!“, sind Standardsätze, die ich dann höre. Die Ängste sind vielfältig, haben aber alle den gleichen Kern: Ich muss ganz schnell wieder gesund sein, weil sonst der Chef/der Kollege meckert/alleine ist oder ich gekündigt/gemobbt werde.
Wer sich mit Triefnase und Taschentuch in die Firma schleppt, wird zum Mitarbeiter des Monats ernannt und bekommt einen Beutel Erkältungstee gratis. Natürlich kann man jetzt sagen: So ist unsere schnelllebige Welt nun mal. Aber wenn man krank ist, ist man krank. So einfach ist das. Je schneller wir versuchen, gesund zu werden, umso schneller kommt der Rückfall.
Meine Oma sagte mal: „Du musst dich einfach mal drei Tage nur ins Bett legen, dann bist du wieder gesund.“ Und auch wenn Omas immer recht haben (ich betone: immer), lachte ich herzlich. Denn selbst bei einer Krankmeldung sind da zumindest noch die Kinder zu versorgen. Mehrgenerationenhaushalte mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch mehrere Familienmitglieder gibt es kaum noch. Jeder muss funktionieren heutzutage. Meistens ganz für sich alleine.
Die obigen Ausführungen zur Antibiotika-Verordnung mögen im Zusammenhang ein wenig weitschweifig wirken. Aber: Diese Problematik trifft so auch auf andere Medikamente zu. Sich bei Kopfschmerzen mal eine Ibuprofen zu genehmigen, damit kann man zur Arbeit gehen kann, ist absolut legitim. Sich bei 39 Grad Fieber mit Ibuprofen zu dopen, damit man den Arbeitstag übersteht, ist es dagegen absolut nicht.
Wir können nicht immer nur funktionieren. Und wenn, dann aus eigenen Kräften und mit Zeit.
Bildquelle: Rob Oo, flickr