Netflix statt Kino, Lieferservice statt Restaurant, Homeoffice statt Büro und jetzt: Hausgeburt statt Klinik. Zu Hause ist es doch am schönsten. Aber ist außerklinische Geburtshilfe verantwortbar?
Die Anzahl außerklinischer Geburten beläuft sich pro Jahr auf etwa 16.000 Fälle, so Rechtsanwalt Dr. Roland Uphoff. Er berät die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) zu diesem Thema juristisch. Exakte Zahlen stehen laut Uphoff nicht zur Verfügung, da Meldepflichten für Fälle außerklinischer Geburten nicht eingehalten werden.
Zudem wird eine zwar außerhalb geplante, aber aufgrund von Komplikationen in die Klinik verlegte Entbindung als Klinikgeburt gewertet. Daneben gibt es ungeplante außerklinische Geburten und die eher seltene Alleingeburt.
Es gibt zwar wenig verlässliche Zahlen, aber Hebammen und Frauenärzte berichten, dass sie immer häufiger auf das Thema Hausgeburt und ganz speziell auf das Thema Alleingeburt angesprochen werden. Auch wenn es keine Statistiken gibt, wächst die Zahl von Erfahrungsberichten, die man online findet, stetig. So sammelt etwa die Arzthelferin Jobina Schenk auf ihrem Blog zahlreiche Erfahrungsberichte von Frauen, die schon eine Alleingeburt erlebt haben.
Die Alleingeburt ist eine spezielle Form der außerklinischen Geburt. In Deutschland macht diese Gruppe geplant unbetreuter Entbindungen aber nur einen minimalen Anteil aus. Ich möchte daher in diesem Artikel darauf nicht den Fokus legen, sondern auf die zunehmend häufigere Hausgeburt und das Geburtshaus.
Laut Deutschem Hebammen Verband waren 2017 etwa 9.400 Hebammen in Kliniken fest angestellt, 2.700 arbeiteten freiberuflich in der Geburtshilfe. Eine Stadt wie Freiburg, die rund 230.000 Einwohner hat, verzeichnet jährlich zwischen 60 und 98 Hausgeburten. Eines der Hauptargumente für Geburtshäuser ist die 1:1 Betreuung durch eine Hebamme, die in Kliniken mancherorts zwar bereits angeboten wird, aber leider noch nicht überall möglich ist.
Eine Hausgeburt verspricht eine natürliche Geburt in gewohnter Umgebung, weg von Technisierung und Überfremdung. Im Geburtshaus wird dem Geburtsvorgang in harmonischer Atmosphäre, fernab von Klinikroutine und Betriebsamkeit, ein möglichst natürlicher Verlauf gegeben.
In beiden Fällen erfolgt die Betreuung üblicherweise durch eine Hebamme und ohne ärztliche Unterstützung. Daher sind medizinische Interventionen, wie Medikamente zur Schmerzlinderung oder Wehenmodulation, und geburtshilflich operative Eingriffe nicht möglich.
Der Ärztliche Direktor der Universitätsfrauenklinik in Freiburg, Prof. Maximilian Klar, hat sich zu einem geplanten Geburtshaus folgendermaßen geäußert: „Eine alleinige Konzentration auf das intime Ereignis kann manchmal den Blick auf mögliche Gefahren erschweren.“ Die DGGG schreibt in ihrem Positionspapier: „Unter diesen Umständen ist die außerklinische Geburtshilfe nicht sicher und wird von der DGGG weiterhin abgelehnt.“
Voraussetzung für eine außerklinische Geburt ist, dass es sich nicht um eine Risikosituation handelt. Die Mutterschaftsrichtlinien definieren einerseits aufgrund der Vorgeschichte oder erhobener Befunde, wann mit einem erhöhten Risiko für Leben und Gesundheit von Mutter oder Kind zu rechnen ist. Andererseits ist dieser Katalog jedoch nicht abschließend, was ausdrücklich hervorgehoben wird. „Eine Hebamme muss demgemäß in einer solchen Situation die Behandlung ablehnen, ansonsten verstößt sie gegen ein gesetzliches Verbot“, so Rechtsanwalt Dr. Uphoff in Der Gynäkologe.
Jeder erfahrene Geburtshelfer kennt diese Situation: Die Patientin zählte nicht als Risikoschwangere, bisher war der Geburtsverlauf unauffällig und plötzlich kommt es zu Komplikationen wie etwa:
Deshalb argumentiert die DGGG in ihrem Positionspapier folgendermaßen: „Gemeinsam kommen die Studien zu dem Ergebnis, dass auch im Low-Risk-Kollektiv bei Auftreten eines unvorhersehbaren Risikos, das Outcome für Mutter und Kind bei geplanter außerklinischer Geburt schlechter ist als in der geplanten klinischen Geburt. (…) Die Rate erforderlicher Verlegungen mit über 30 % bei Erst- und 7 % bei Mehrgebärenden ist wegen des dreifach so hohen kindlichen Mortalitäts- und doppelt so hohen Morbiditätsrisikos nicht akzeptabel.“
Kinderarzt Dr. Ulrich Enzel führt eine Studie an, in der über 20.000 Geburten in Deutschland ausgewertet wurden, wobei bleibende Schädigungen des Kindes bei Hausgeburten in 9,3 von 1.000 Fällen und 5,3 von 1.000 Fällen bei klinischen Geburten auftraten.
Das Selbstbestimmungsrecht werdender Eltern ist unbedingt zu achten. Auch ist der Wunsch nach einer möglichst natürlichen, atmosphärisch wohltuenden Geburt gut nachvollziehbar. Andererseits sind die medizinischen Risiken verständlich und umfassend darzustellen, damit eine verantwortliche, individuelle Entscheidung zum Geburtsort im Vorfeld gefällt werden kann.
Hin und wieder werde ich nach meiner persönlichen Einstellung gefragt. Ich berichte dann von eigenen Erfahrungen in der Geburtshilfe, die sich mit den manchmal unerwarteten Geburtsverläufen, wie oben beschrieben, decken. Einige Male habe ich erlebt, wie Leben durch schnellstes Eingreifen eines erfahrenen Teams aus Geburtshelfern, Anästhesisten und Pädiatern gerettet werden konnte.
Wenn eine abgebrochene Hausgeburt im Dienst telefonisch angekündigt wurde, war das fast immer ein Notfall und hat alle Beteiligten in Alarmbereitschaft versetzt. Für Mutter und Kind alles andere als eine harmonische Situation. Deshalb ist für mich die außerklinische Geburtshilfe keine Option.
Unbedingte Rahmenbedingungen sind für mich hingegen:
Bildquelle: Simon Carr, Flickr
Da sich viele Leser über die Headline aufgeregt haben, möchten wir als Redaktion kurz informieren: Überschrift und Anleser kommen nicht von Frau Dr. Brandt, sondern von uns.