Kann man sich daran gewöhnen, schlechte Nachrichten zu überbringen? Wohl kaum. Aber man kann lernen, negative Befunde so zu besprechen, dass es für Arzt und Patienten zum kleineren Übel wird.
Während des Medizinstudiums und der Facharztausbildung werden die unterschiedlichsten Leistungsnachweise und Zertifizierungen gefordert: Wir bewältigen ein unfassbares Datenvolumen an Auswendiglernen, arbeiten Operationskataloge ab, sind in Strahlenschutz und Hygiene geschult, aber wie man eine schlechte Nachricht im Patientengespräch übermittelt, haben wir nie so richtig gelernt. Es sei denn, man hatte während der Ausbildung gute Vorbilder oder man trifft auf ein wirklich gutes Fachbuch, das einem viele praktische Tipps gibt.
Was die Gynäkologie so reizvoll macht, ist die enorme Bandbreite der medizinischen Fälle. Es gibt viel Normales und Positives: Krebsvorsorgen, die unauffällige Befunde ergeben und Schwangerschaften, an deren Ende eine gesunde Frau ein gesundes Kind im Arm hält.
Leider gibt es auch Situationen, die man sich als Ärztin gar nicht wünscht und man kommt sich beim Übermitteln der schlechten Nachricht manchmal wie eine Übeltäterin vor. Ich denke an den Ultraschall in der Frühschwangerschaft, wenn Patientin und Partner gebannt auf den Monitor blicken und das kindliche Herz nicht schlägt. Oder wenn im weiteren Verlauf einer Schwangerschaft Fehlbildungen zu erkennen sind. Ich denke auch an die Krebsvorsorge einer jungen Patientin, bei der eine Resistenz in der Brust zu tasten war. Sonographisch ergaben sich Malignitätskriterien, aber ohne Histologie gibt es noch keine Gewissheit. Wie verhält man sich am besten in einer solchen Situation der Ungewissheit?
Von Vorbildern aus meiner Ausbildungszeit habe ich zwei Dinge gelernt: Ich bin wahrhaftig, soweit die Patientin es fordert und ich versuche immer auch positive Gesichtspunkte zu finden. Bei sehr ängstlichen Schwangeren betone ich zunächst einmal alle Befunde, die im Normbereich liegen und spreche erst dann die kontrollbedürftigen Ergebnisse an.
Bei Karzinomerkrankungen hebe ich die eventuelle frühzeitige Diagnosestellung hervor und betone die mittlerweile guten Therapiemöglichkeiten. Patientinnen, die viele Details wissen möchten, werden ebenso ernst genommen wie diejenigen, die ihr Recht auf Nichtwissen geltend machen. Trotzdem gerät man bei der Überbringung schlechter Nachrichten leicht in eine Überforderungssituation und wünscht sich ein paar profunde Tipps von jemandem, der darin viel Erfahrung hat.
Professor Jalid Sehouli, ärztlicher Leiter der Gynäkologie in der Charitè und weltweit anerkannter Spezialist frauenärztlicher Onkologie, hat mit „Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen“ ein Buch mit wertvollen Hilfestellungen verfasst. Neben vielen Beispielen aus seinem Berufsalltag und wirklich guten persönlichen Tipps, stellt er das sogenannte SPIKES-Model von Walter Baile, einem Arzt und Psychologen am MD Anderson Krebszentrum der Universität Texas vor:
S-Setting up the interview: Es geht um die richtige Vorbereitung und die passenden Rahmenbedingungen, wobei Störfaktoren zu vermeiden sind und der eigene Informationsstand aktualisiert sein muss.
P-Assessing the patient’s perception: Die Aufnahmefähigkeit, der Informations- und Kenntnisstand des Patienten sollte geklärt und seine Erwartungshaltung eingeschätzt werden.
I-Obtaining the patient’s invitation: Es ist heraus zu spüren, wie offen die Information gewünscht wird, und ob der Patient sein Recht auf Nichtwissen in Anspruch nehmen möchte.
K-Giving knowledge and information: Die Mitteilung der schlechten Nachricht sollte mit einer kurzen Vorwarnung beginnen, im Sinne von: „Ich muss Ihnen leider etwas mitteilen“. Besser ist es, nicht zu viele Informationen in möglichst einfachen Sätzen zu formulieren. Dazwischen erlauben Sprachpausen dem Patienten, gedanklich besser folgen zu können und ein anschließender kurzer Dialog, kann zeigen, ob die wesentlichen Sachverhalte wahrgenommen wurden.
E-Adressing the patients emotions: Von großer Bedeutung ist Zuhören, Emotionen wahrnehmen und Empathie zeigen.
S-Providing strategry and summary: Wichtig ist, den Patienten in die anstehenden Entscheidungen und nächsten Therapieschritte miteinzubeziehen. Hilfreich dabei ist, das Gespräch abschließend kurz zusammenzufassen und eine gemeinsame Planung von Therapiestrategien, erforderlicher Weiterleitung an Kollegen oder die Verabredung zu einem neuen Termin zu organisieren.
Bezugspersonen, Spiritualität und Entlastungrituale
Mehr als 80 Prozent der Patienten wünschen sich, so Professor Sehouli, dass eine von ihnen selbst bestimmte Bezugsperson bei der Überbringung einer schlechten Nachricht anwesend ist. Daneben hat er die Erfahrung gemacht, dass manche Patienten Kraft in ihrer Spiritualität schöpfen und es Sinn machen kann, sie daraufhin anzusprechen. Hierzu ein Auszug aus dem Buch:
„Zu fast allen Krankheiten existieren bereits Übersichtsarbeiten, die auch spirituelle Faktoren bei der Heilung mit in Betracht ziehen. (…) Dabei liegt auf der Hand, dass Transzendenz und Glaube – an was oder wen auch immer – gerade in solch existenziellen Situationen eine wichtige Rolle spielen können. Kurz gesagt: Sie können helfen, schlechte Nachrichten zu verarbeiten. Als Arzt sollte man den Mut aufbringen, den Patienten danach zu fragen. Denn in diesem Moment geht es nur darum, individuelle Kraftquellen des Betroffenen zu identifizieren und sie für ihn bei der Bewältigung schlechter Nachrichten und deren Konsequenzen nutzbar zu machen.“
Weiterhin betont er, dass es für die ärztliche Seite in erster Linie um Empathie und das Aushalten der schwierigen Situation geht. Deshalb hält er auch eine geeignete Nachbearbeitung der belastenden Situation für wichtig. Dies kann professionell in einer Balintgruppe stattfinden oder ein bewusstes Entlastungsritual direkt nach dem Gespräch, z.B. in Form einer kurzen Pause draußen oder einer Tasse Kaffee. Ein sofortiges Weiterarbeiten mit einem nächsten Patienten ist oft kontraproduktiv.
Besonders hat mir gefallen, dass Professor Sehouli das Ansprechen guter Nachrichten betont. So beendet er seinen Arbeitsalltag in der Klinik damit, dass er zu einer seiner Patientinnen geht und ihr bewusst eine gute Nachricht überbringt. „Es ist mein ganz persönlicher Versuch, nicht vor den Bad News zu kapitulieren, sondern die gute Nachricht ebenso wie die schlechte angemessen zu würdigen. Gute Nachrichten geben Kraft, verleihen ein gutes Gefühl und stärken das angeschlagene Selbstbewusstsein des Patienten. Außerdem erhöht es meine Zufriedenheit mit meiner Arbeit als Arzt.“
Das hat mich motiviert, besonders die Patientinnen, denen ich eine schlechte Nachricht überbringen musste, möglichst mit einer positiven Schlussbemerkung zu verabschieden.
Professor Sehouli, der insbesondere Spezialist für die Therapie von Ovarialkarzinomen ist, eine in der Gynäkologie besonders gefürchteten onkologischen Erkrankung, erweist sich als empathischer Fachmann für die gute Überbringung schlechter Nachrichten. Wie wichtig ihm auch persönlich die Breaking Good News sind, quasi als Schutzmechanismus vor zu starker persönlicher Mitbetroffenheit, fasst er am Ende des Buches zusammen:
„Gute Erfahrungen, gute Nachrichten geben uns die notwendige Widerstandskraft gegen das Unvorhergesehene, Schicksalhafte; sie geben uns die Kraft, uns den schlechten Nachrichten des Lebens entgegenzustellen.“