Blutgefäße spielen bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen offenbar eine größere Rolle als bisher gedacht. Das bietet neue Ansatzpunkte für die Behandlung.
In Deutschland leiden etwa 400.000 Menschen an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Am Universitätsklinikum Erlangen gelang jetzt erstmals der Nachweis, dass Fehlsteuerungen in Blutgefäßen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung solcher Krankheiten spielen. Durch die Behebung dieser Fehlsteuerung konnte in experimentellen Modellsystemen der Krankheitsverlauf deutlich verbessert werden. So lautet das Ergebnis der kürzlich veröffentlichten Studie.
Erkrankungen des Menschen basieren häufig auf fehlgesteuerten Zellen. Bei Untersuchungen zu den Mechanismen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen standen bisher die Epithelzellen, die die Barriere vom Darm zum umgebenden Gewebe aufbauen, und die Entzündungszellen im Vordergrund. Obwohl bekannt ist, dass Entzündungszellen nur über die Blutgefäße in die entsprechenden Gewebe gelangen können, wurde die Rolle von Blutgefäßen bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bisher nur am Rande erforscht. Eine vertiefende Untersuchung zur Rolle von Blutgefäßen hat jetzt eine Forschergruppe der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt.
Das interdisziplinäre Kooperationsprojekt ergab, dass die Blutgefäße bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen besonders permeabel sind. Als Ursache identifizierten die Forscher in molekularen Analysen eine fehlgesteuerte Zell-Zell-Interaktion bei den Endothelzellen. Endothelzellen bilden die Hülle von Blutgefäßen und sind für deren Dichtigkeit verantwortlich. Die Fehlsteuerung wird durch ein spezifisches Zytokin verursacht, das als Interferon-γ bezeichnet wird und das im chronisch entzündeten Darmgewebe in erhöhten Konzentrationen vorliegt. Die erhöhte Permeabilität der Blutgefäße konnte an verschiedenen experimentellen Modellen und auch bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen nachgewiesen werden.
Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen tritt aus den Blutgefäßen (gelb, rot) Flüssigkeit in die dazwischenliegenden Vertiefungen aus (grün). © Uni-Klinikum Erlangen
Die große Bedeutung der Blutgefäßpermeabilität zeigte sich, als mit genetischen Verfahren am experimentellen Tiermodell die Fähigkeit von Endothelzellen, auf Interferon-γ zu reagieren, gehemmt wurde und dies den Krankheitsverlauf deutlich abschwächte. Von besonderer klinischer Bedeutung ist, dass auch das Medikament Imatinib die Gefäßdurchlässigkeit hemmte, was den Krankheitsverlauf ebenfalls deutlich unterdrückte. Imatinib wird bisher vorwiegend in der Krebstherapie eingesetzt.
Die Studie der Erlanger Wissenschaftler belegt erstmals die große Bedeutung des Blutgefäßsystems bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und eröffnet neue Ansätze für die Therapie. Studienleiter Prof. Stürzl nahm chronisch-entzündliche Darmerkrankungen erst vor wenigen Jahren in sein Forschungsspektrum auf: „Wir hoffen natürlich sehr, dass unsere Ergebnisse langfristig den Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen nützen. Dies wird nicht zuletzt dadurch unterstützt, dass das Medikament, das im Tiermodell erfolgreich war, auch schon für klinische Anwendungen zugelassen ist.“
Textquelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergBildquelle: Uni-Klinikum Erlangen