Die CAR-T-Zell-Therapie sorgte bei verschiedenen Leukämien für den Durchbruch. Von der extrem teuren Behandlung profitieren viele Patienten immens – manche leider nicht. Sollten Hersteller nur Geld bekommen, wenn die Therapie anschlägt?
Für manche kann eine bestimmte Therapie die letzte Hoffnung sein. Ein Beispiel ist etwa die CAR-T-Zell-Therapie für Patienten mit rezidivierenden Leukämien. Von der Behandlung profitieren zwar viele, aber keineswegs alle Patienten. Es geht hier um viel Geld: Die Zelltherapie muss nur ein einziges Mal angewendet werden, kostet aber 320.000 Euro. Was die Erstattung solcher Leistungen betrifft, findet deshalb ein Umdenken statt. Welche Modelle gibt es?
Pilotprojekt CAR-T-Zelltherapien
Im Rahmen eines Pilotprojekts beschreiten etwa Novartis und der GWQ ServicePlus AG, die zahlreiche Betriebskrankenkassen vertritt, andere Wege als üblich: Sie setzen bei der Kymriah®-CAR-T-Zelltherapie ein innovatives Erstattungsmodell um, für das es mehrere Bezeichnungen gibt. Häufig ist von Pay for performance (kurz P4P) oder auch value-based purchasing die Rede. Bei Novartis bezeichnet man das Modell als Pay for Outcome. Das Prinzip ist aber immer dasselbe: Man orientiert sich bei der Vergütung am Erfolg, sprich am Überleben. Novartis erstattet GKVen einen Teil der Arzneimittelkosten für Kymriah®, sollte der Patient an seiner Blutkrebserkrankung innerhalb eines Monats nach der Behandlung versterben.
Zielgruppe der Behandlung sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit refraktärer oder rezidivierter akuter lymphatischer B‑Zell‑Leukämie (ALL). Hinzu kommen erwachsene Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffus großzelligen B‑Zell‑Lymphom (DLBCL). In Deutschland kommt die Therapie nur für wenige hundert Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungsverläufen in Frage, heißt es in der Pressemitteilung. Weitere Details, etwa zu einem konkreten Vergütungsschlüssel, werden nicht genannt.
Wie ordnen Experten das neue Erstattungsmodell ein? „Seit Anfang 2011 haben wir bekanntlich das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG)“, sagt Dr. Markus Frick, Geschäftsführer für Markt- und Erstattungsthemen im vfa, zu DocCheck. Primäres Ziel war damals, den Anstieg von Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen einzubremsen. Damit soll ein Gleichgewicht geschaffen werden, zwischen der Innovation und der Bezahlbarkeit von Medikamenten. Der Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie bzw. einer zweckmäßigen Vergleichstherapie bestimmt also den Preis, oder wie Frick es formuliert: „Grundidee ist, die Vergütung eines Arzneimittels durch Verhandlung an dessen Leistung auszurichten.“
Hier gehe es um die Einschätzung anhand von Studiendaten und um Vergleichstherapien. „Gibt es Restunsicherheiten zu den Langzeiteffekten, so wird dieser Unsicherheitsfaktor regelmäßig geschätzt und eingepreist“ so Frick. Was den im Rahmen des AMNOG definierten Zusatznutzen betrifft, gilt es also zu bedenken, dass sich der Erstattungsbeitrag immer auf den Zusatznutzen gegenüber dem Therapiestandard bezieht. Der individuelle Zusatznutzen für den Einzelpatienten wird hier nicht berücksichtigt.
Mit Pay for performance wird nun ein anderer Ansatz verfolgt. „Hier wird der Preis für den einzelnen Patienten angepasst, wenn die Unsicherheit vorbei ist.“ Man betrachte nicht – wie beim AMNOG – eine Patientenkohorte, sondern den jeweiligen Einzelfall. „Pay for performance ist mit dem AMNOG etwas in Vergessenheit geraten; zuvor gab es schon einige Ansätze“, erinnert sich Frick. Dabei sind die beiden Modelle für unterschiedliche Zielgruppen geeignet. „Gerade bei Pharmaka für kleine Populationen mit hohem Preis sehen wir, dass dieses spezielle Bezahlmodell wiederkommt.“ Ein weiterer Unterschied zum AMNOG: Beim P4P-Modell laufen Verträge und ihre Abwicklung direkt zwischen Krankenkassen und Herstellern und nicht über die Selbstverwaltung.
Die Erfahrungen zeigen, dass der recht hohe Aufwand bei Pay for performance vor allem dann gerechtfertigt ist, wenn es sich um geringe Zahlen an Patienten mit hohen Pro-Kopf-Aufwendungen handelt. Zudem ist hilfreich, wenn der Therapiererfolg an klar messbare Endpunkte gekoppelt ist, etwa dem Überleben innerhalb einer gewissen Zeit. Genau an dieser Stelle tauchen aber Fragen auf:
Aufgrund dieser schwer zu klärenden Punkte hält man das Modell etwa beim Handelsblatt in vielen Fällen für „kaum realisierbar“.
Off Label ohne finanzielles Risiko
Ein neues Projekt zu Pay for performance kommt aus den Niederlanden. Es wurde gemeinsam von Onkologen, Forschern des Netherlands Care Institute und Krankenversicherern entwickelt und wird vom Pharmazieunternehmen Bristol-Myers Squibb unterstützt. Die Partner ändern zunächst versuchsweise das Vergütungsmodell bei Off-Label-Therapien. Ihr Modell funktioniert so: Arzneimittelhersteller erhalten keine Zahlung, falls ihre Pharmaka innerhalb eines Zeitfensters von 16 Wochen nicht wirken. Dr. Emile Voest, medizinischer Direktor des Krankenhauses Antoni van Leeuwenhoek und Vorsitzender des niederländischen Krebsinstituts, spricht von „einem ersten Baustein, um zu untersuchen, ob sich extrem hochpreisige Medikamente als maßgeschneiderte Therapien eignen“.
Entsprechende Vereinbarungen stammen aus sogenannten DRUP-Studien (Drug Rediscovery Protocol), die an 30 niederländischen Krankenhäusern durchgeführt wurden. Patienten mit therapierefraktären, rezidivierenden Krebserkrankungen, bei denen alle therapeutischen Optionen ausgeschöpft sind, nehmen an den Studien teil. Sie erhielten als experimentelle Therapie Wirkstoffe mit Zulassung für andere Tumortypen. Die Idee ist, dass es bereits Medikamente auf dem Markt geben könnte, die bei bestimmten seltenen Krebsarten helfen können, die jedoch nie für sie untersucht wurden. Das liegt vor allem an geringen Patientenzahlen.
Zum Beispiel ergab eine kleine Studie mit 30 Krebspatienten, die Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) hatten, dass zwei Drittel auf Nivolumab ansprachen. Sie litten unter anderem an Nierenzellkarzinomen, an nicht kleinzelligem Lungenkrebs, an rezidivierenden oder refraktären Hodgkin-Lymphomen, an Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereichs, an Urothelkarzinomen und an Dickdarmkrebs. Bei MSI-H kommt es zu Längenveränderungen innerhalb kurzer, sich wiederholender DNA-Sequenzen aufgrund einer fehlerhaften DNA-Reparatur.
Aufgrund dieser vielversprechenden Ergebnisse folgt eine weitere DRUP-Studie: 135 Patienten mit MSI-H-Tumoren erhalten 16 Wochen lang Nivolumab, das von Bristol-Myers Squibb finanziert wird. Schrumpft der Tumor oder schreitet die Erkrankung nicht weiter fort, fließen Gelder. Ansonsten geht die Firma leer aus.
Deutschland geht andere Wege
„In Deutschland dreht sich die Diskussion zu Pay for Performance um zugelassene Arzneimittel in zugelassenen Indikationen“, sagt Frick. Das liege vor allem an sozialrechtlichen Unterschieden. Am Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wurden verschiedene Off-Label-Expertengruppen eingerichtet, auch für den Bereich Onkologie. Ihre Aufgabe ist es, aktuelle Erkenntnisse einzuschätzen. Wenn es Studien gibt, die nahelegen, dass ein bereits zugelassenes Arzneimittel für einen weiteren Indikationsbereich geeignet ist, für den es noch nicht zugelassen wurde, werden die Expertengruppen aktiv. Dann prüfen diese Teams die wissenschaftliche Datenlage und beschließen gegebenenfalls einen Bewertungsvorschlag. Dieser soll bei der Entscheidung helfen, ob ausnahmsweise ein Off-Label-Produkt erstattungsfähig ist.
Hinzu kommt ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der am 6. Dezember 2005 gesprochen wurde und deshalb als „Nikolausurteil“ bekannt geworden ist. Ihm ging die Verfassungsbeschwerde eines 18-jährigen, an Muskeldystrophie Typ Duchenne erkrankten Mannes voraus. Er reichte Beschwerde gegen die Weigerung der gesetzlichen Krankenversicherung ein, für die Kosten einer so genannten neuen Behandlungsmethode aufzukommen – und war erfolgreich. Die formulierten Voraussetzungen aus dem Nikolaus-Urteil für die Erstattung von nicht allgemein anerkannten Therapiemethoden sind in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aufgenommen worden. Seitdem haben GKV-Patienten mit schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankungen ein Anrecht auf eine Erstattung der Leistungen, wenn es keine Alternative gibt und wenn zumindest eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Linderung oder Heilung besteht.
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