Seit dem 1. September 2019 können niedergelassene Ärzte bestimmte Patienten extrabudgetär abrechnen. Das klingt zunächst toll, wir Ärzte bekommen mehr Geld! Aber so einfach ist das nicht.
Durch das TSVG (Terminservice- und Versorgungsgesetz) sind sehr viele Veränderungen auf den Weg gebracht worden. Doch was ändert sich für den Arzt im Rahmen der Abrechnung konkret?
Seit dem 1. September muss jeder Arzt eine „offene Sprechstunde“ anbieten, fünf Stunden in der Woche. Die in dieser Zeit behandelten Patienten können extrabudgetär abgerechnet werden. Ebenso jeder Patient, dessen letzte Behandlung mehr als acht vollständige Quartale zurückliegt, als sogenannter „Neupatient“. Zusätzlich auch Patienten, die wegen der Dringlichkeit der Erkrankung von der Hausarztpraxis direkt einen Termin beim Facharzt bekommen und die über die Terminservicestelle vermittelt werden.
Extrabudgetär, also zusätzlich bezahlt. Dann bekommen die gierigen Ärzte jetzt noch mehr Geld!
Aus einer anderen Perspektive bedeutet das aber auch, dass Ärzte seit nunmehr 26 Jahren, seit der Einführung von Budgets durch den damaligen Gesundheitsminister Seehofer (!), offensichtlich einige Leistungen gar nicht oder nur stark reduziert bezahlt bekommen haben. Dieses Phänomen, dass Ärzte durchschnittlich die letzten drei Wochen eines Quartals keinen Lohn mehr für die geleistete Arbeit am Patienten bekommen, ist sicher einmalig in Deutschland.
Also bekommen jetzt Ärzte endlich mehr Geld. Werden sie fairer bezahlt? Ein klares Nein!
Einige Kollegen werden jetzt wohl jubelnd möglichst viele Patienten in die entsprechenden Kategorien sortieren und sich über eine zusätzliche Einnahme freuen.
Doch aufgepasst: Die Freude über mehr Geld wird nicht lange andauern! Nach einem Jahr werden die Budgets mit diesen extrabudgetär abgerechneten Fällen oder Punkten bereinigt. Die Budgets werden also um dieses Extra gekürzt, vielleicht nicht komplett, aber zu einem sehr großen Teil.
Mal simpel gerechnet: Ich habe ein Budget von 1.000 Fällen im Quartal, behandelt werden aber 1.300. Ich bekomme also für meine Arbeit an 300 Patienten kein Honorar. Dies ist die Ausgangssituation vor Einführung des TSVG.
Im letzten Monat des dritten Quartals wurde das TSVG eingeführt. Nach meinen eigenen Statistiken habe ich im September ca. 140 Fälle abgerechnet, die nun extrabudgetär bezahlt werden. Ich bekomme also mehr Geld: Budget 1000 plus extrabudgetär 140. Nur noch 160 nicht bezahlte Fälle.
Jetzt wage ich mal eine vereinfachte Hochrechnung des ersten TSVG- Monats September auf ein komplettes Quartal. Das wären dann ca. 400 extrabudgetäre Fälle. Ich würde im ersten Jahr des TSVG alle Leistungen bezahlt bekommen.
Was passiert aber nach diesem ersten Jahr? Die KV merkt sich die quartalsweise abgerechneten extrabudgetären Fälle und führt eine Bereinigung des bisherigen Budgets durch.
Bereinigung? Klingt sauber! Aber: Je nach Landes-KV werden diese 400 Fälle, je nach Koeffizient wohl ca. 350 Fälle, vom bisherigen Budget abgezogen: Ich habe nur noch ein Budget von 650 Fällen! Bereinigung heißt also Abzug!
Habe ich damit immer noch mehr Lohn für geleistete Arbeit? Das kommt darauf an: Wenn ich weiterhin wie im Vorjahr 400 TSVG-Fälle pro Quartal abrechne, bekomme ich tatsächlich immerhin 1.050 von 1.300 Fällen bezahlt. Damit sinkt die ungerechte Nicht- Bezahlung meiner Leistung von 300 auf 250 Fälle, hurra!
Aber wenn ich nur 300 TSVG-Fälle abrechnen kann, weil zum Beispiel weniger Neupatienten kommen, habe ich tatsächlich weniger als vorher. Mein sicher kalkuliertes Mindesteinkommen sinkt. Es ist mehr Risiko zu tragen. Und eine gerechte Bezahlung ist weiterhin nicht in Sicht.
Noch eine Randbemerkung: Was ist eigentlich, wenn sich die Spielregeln wieder ändern? Wenn die maßgeblich von Politik und den Krankenkassen beeinflusste Honorierung der Leistungen außerhalb des Budgets nicht mehr derartig bezahlt werden? Dann bleibt uns das geringere Budget. Die Politik und die Krankenkassen haben ihren Einfluss auf die Bezahlung der Ärzte vergrößert. Das wird sicher nicht zum Vorteil für die Ärzte werden.
Dies alles könnte aber auch die Chance auf den Einstieg in die komplette Entbudgetierung sein, wie mir ein Funktionär sagte! Glaubt jemand daran?
Bildquelle: Kazuhiro Keino, flickr