Wir haben viele Probleme, sagen Kritiker über das Gesundheitssystem. Das mag sein. In diesem Bericht möchte ich zur Abwechslung erklären, warum ich unser System richtig gut finde.
Kritische Artikel über unser Gesundheitssystem und Missstände im Klinikbetrieb gibt es wie Sand am Meer. Ein Großteil dieser Beiträge ist wichtig und berechtigt. Manche Artikel sind übertrieben und einige in meinen Augen unseriös. Ich möchte Missstände nicht kleinreden, weil es sie gibt und es gut ist, darauf hinzuweisen und an konstruktiven Veränderungen zu arbeiten.
Stellvertretend für Vieles möchte ich den Pflegenotstand nennen und endlich eine angepasste Vergütung für die Menschen fordern, die unverzichtbare und bewundernswerte Teamplayer im großen Spielfeld Gesundheitswesen sind. Ärzte sollten weitgehend von der Geißel der Bürokratie befreit sein, damit sie ihrer Hauptfunktion gerecht werden, in dem sie fachlich kompetent und menschlich empathisch genug Zeit für ihre Patienten haben.
Es gäbe noch einige Punkte mehr davon, ich will es jedoch dabei belassen und ganz bewusst einmal die andere Seite aufzeigen, die es genauso gibt. Ich möchte davon berichten, warum ich unser Gesundheitssystem richtig gut finde, insbesondere auch die Schwangerenbetreuung und Geburtshilfe.
Während meines Medizinstudiums habe ich geburtshilfliche Zentren in Kenia und in England kennengelernt. In beiden Fällen handelte es sich um staatlich geleitete Krankenhäuser mit einem hohen Patientenaufkommen und einer überdurchschnittlichen Geburtenzahl.
Im kenianischen Kreißsaal kamen etwa 40 Kinder pro Tag zur Welt, die hygienischen Umstände waren katastrophal und Empathie ein Fremdwort. Frauen, die nicht „richtig“ pressten, wurden angeschrien, manchmal sogar geschlagen. Die Sterblichkeit von Müttern und Kindern während Schwangerschaft und Geburt war und ist dort immer noch sehr hoch. Noch heute verfolge ich mit großem Interesse Berichte von Freunden, die in Entwicklungsländern arbeiten.
Um Klassen besser war die Situation in England, aber kein Vergleich zu dem, was ich während des Studiums und insbesondere in meiner gynäkologischen Facharztausbildung in hiesigen Krankenhäusern erlebt habe. Der Facharztkatalog schrieb damals nahezu 500 Geburtsbegleitungen vor. Nicht immer lief alles optimal und Verbesserungsmöglichkeiten sah ich häufig, aber weder in kleinen Abteilungen auf dem Land, noch in großen universitären Ausbildungskliniken kann ich mich an unwürdige Situationen im Kreißsaal erinnern. Das betrifft meine Perspektive als Studentin, Assistenzärztin und als Patientin.
Als Rucksacktouristin erwischte mich in Griechenland eine schwere Lebensmittelvergiftung, an der ich ohne medizinische Versorgung gestorben wäre. Das Krankenhaus war mehr als abenteuerlich, der Arzt betrat in weißer Shorts gefolgt von einer weißen Katze mein Krankenzimmer, um die Infusion an einem Nagel in der Wand zu befestigen.
Eine weitere Erfahrung machte ich im südlichen Italien. Dort musste eine Platzwunde versorgt werden. Die Notaufnahme, in der Leichtverletzte stundenlang warteten, war gleichzeitig Durchgangsort Schwerstkranker, die der Rettungsdienst brachte. Empathie und steriles Arbeiten auch hier Fremdworte, die keiner kannte und sicherheitshalber zum prophylaktischen Antibiotikum greifen ließ.
Selbst in der französischen Schweiz am Rande eines großen Skigebietes waren die persönlichen Erfahrungen nicht besonders gut. Am Anfang interessierten nur Formalitäten und finanzielle Garantien, dann blieb die äußerst schmerzhafte Fraktur über Stunden unversorgt.
Der Schweizerische Gipsverband löste am nächsten Tag in der Uniklinik Freiburg Entsetzen aus und wurde schnellstmöglich entfernt. In allen drei Fällen habe ich mich sehr nach dem deutschen Gesundheitssystem gesehnt. Trotzdem war ich dankbar, dass mir in Griechenland das Leben gerettet und in Italien die Platzwunde genäht wurde. Das mit der Schweiz versuche ich zu vergessen.
Ich bin mehr als dankbar für unser Gesundheitssystem, in dem ich arbeiten darf und gegebenenfalls als Patientin versorgt werde. Fachliche Kompetenz, wissenschaftlicher Standard und die hygienische Situation erscheinen mir auf einem hohen Niveau.
Insbesondere in der Geburtshilfe wurde eine hohe Sicherheit für Mutter und Kind erreicht. Ärztliche Leiter von großen Perinatalzentren sind oftmals bemüht, zusätzlich zur hohen Sicherheit eine familienorientierte Geburtshilfe anzubieten. Patientinnen berichten mir das und ich erfahre es aus Gesprächen unter Kollegen.
Daneben gibt es Dinge, die nicht gut laufen und die einer Veränderung bedürfen. Negatives Feedback gebe ich genauso an die Klinik weiter wie positives. Konstruktive Verbesserungsvorschläge nehme ich sehr ernst und versuche, sie umzusetzen. Mir ist aber auch bewusst, dass wo immer Menschen arbeiten, Fehler gemacht werden und nicht jeder Tag gleich gut läuft.
Mitunter ist es hilfreich, sich an die eigene Nase zu fassen, sich ursprünglicher Ideale zu erinnern und neu durchzustarten. Anstatt nur auf das fehlerhafte System zu schimpfen, kann man selbst an positiven Veränderungen arbeiten. Man kann zum Beispiel Zeitdruck und Scheu mal über Bord werfen und den ängstlichen Patienten in den Arm nehmen, wenn man den Eindruck hat, dass es genau das Richtige wäre. Das sind alles kleine Tropfen, aber auch die bilden irgendwann einen Fluss, der ins Meer mündet.
Ich möchte provokant schließen und damit zum Nachdenken und zur Diskussion anregen: Jammern wir nicht manchmal auf hohem Niveau?
Bildquelle: sydney Rae, Unsplash