Fleischesser neigen offenbar eher zu Vorurteilen und autoritären Strukturen als Vegetarier und Veganer, so eine aktuelle Studie. Andere Experten halten die Aussagekraft der neuen Erkenntnisse für begrenzt und fordern weitere Untersuchungen.
Die Zahl der Menschen, die ausschließlich pflanzliche Produkte essen, hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Dennoch sind Veganer immer noch in der Minderheit: Experten schätzen, dass mittlerweile rund ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland Anhänger dieser Ernährungsweise sind. Wesentlich verbreiteter hierzulande ist der Vegetarismus: Bis zu zehn Prozent der Deutschen verzichten auf Fleisch und Fisch, essen aber Eier und Milchprodukte. Die Gründe, die Menschen dazu bewegen, ihre Ernährung weitgehend oder vollständig mit pflanzlichen Produkten zu bestreiten, sind vielfältig: Manche versprechen sich einen Vorteil für ihre Gesundheit, wenn sie keine Tierprodukte mehr verzehren, andere lehnen es aus ethischen Gründen ab, Tiere für die Produktion von Lebensmitteln zu nutzen oder sie deswegen zu töten.
Auch wenn sich in den reichen Industrieländern die Ernährungsgewohnheiten verändern, so bleiben viele Menschen den bisherigen Überzeugungen treu. Für sie ist Fleisch Symbol für Stärke und Lebenskraft. Eine Mahlzeit ohne Fleisch gilt vor allem bei Männern nicht als richtige Mahlzeit. Der Verzehr von Obst, Gemüse und Getreideprodukten dagegen wird mit Weiblichkeit und Schwäche assoziiert. Doch ob und wie diese und andere Einstellungen tatsächlich mit bestimmten Ernährungsweisen zusammenhängen, ist immer noch weitgehend ungeklärt, da es bislang keine wissenschaftlichen Untersuchungen darüber gab. Ein Forscherteam der Universitäten Wuppertal und Mainz hat nun zum ersten Mal den Trend zu einer vegetarischen oder veganen Ernährung unter gesellschaftlichen Aspekten untersucht. Im Rahmen einer Studie befragte es 985 Frauen und 396 Männer im Alter von 12 bis 86 Jahren nach ihren Ernährungsgewohnheiten und sozialen Einstellungen. Wie die Wissenschaftlerinnen um Petra Veser und Susanne Singer in einem Artikel im Britisch Food Journal berichten, tendieren Menschen, die Fleisch und andere tierische Produkte essen, offenbar eher zu Vorurteilen gegenüber anderen sozialen Gruppen und Minderheiten als Vegetarier und Veganer. Auch scheinen Fleischesser eher autoritäre Strukturen und Hierarchien zu befürworten.
Die Teilnehmer der aktuellen Studie wurden auf unterschiedliche Weise gewonnen: Die Forscherinnen rekrutierten sie einerseits über das Internet und der dort vertretenden sozialen Netzwerke. Andrerseits druckte das Team um Veser Informationsblätter und verteilte diese an verschiedenen Universitäten sowie in Supermärkten, Restaurants und Cafés. Um Probanden zu gewinnen, die kein ausgeprägtes Interesse an Ernährung hatten, war die Teilnahme an der Studie mit einem Gewinnspiel auf freiwilliger Basis verbunden. Um sicher zu stellen, dass genügend Vegetarier und auch Veganer teilnehmen, wurden entsprechende Interessengruppen wie beispielsweise der Vegetarierbund Deutschland kontaktiert. Eine Anzeige in der Zeitschrift Beef sollte im Gegenzug gewährleisten, dass sich auch motivierte Fleischesser an der Untersuchung beteiligten. In einem Fragebogen mussten alle Teilnehmer angeben, ob sie Fleischesser, Vegetarier oder Veganer waren. Außerdem sollten sie mithilfe einer Skala von 0 bis 100 einschätzen, wie viele tierische Lebensmittel sie normalerweise verzehrten. Jeweils rund ein Drittel der Teilnehmer ernährte sich omnivor, vegetarisch oder vegan. Der prozentual hohe Anteil von Vegetariern und Veganern in der Studie entspricht nicht der realen Verteilung in der Bevölkerung. Der Grund: Veser und ihr Team wollten möglichst viele Vegetarier und Veganer an der Studie beteiligen, um auch von diesen Gruppen statistisch verlässliche Aussagen zu erhalten. Nach den Beweggründen für ihre Ernährungsgewohnheiten fragten die Forscherinnen keine der drei Gruppen.
Im zweiten Teil der Befragung mussten die Probanden jeweils zu mehreren Aussagen aus drei Themengebieten Stellung beziehen: Mit Sätzen wie „Mich macht wütend, wenn jemand Vorurteile gegenüber Minderheiten äußert“ oder „Jeder Mensch hat Vorurteile, es kommt darauf an, sich nicht davon lenken zu lassen“ sollte überprüft werden, wie stark die Studienteilnehmer Vorurteile gegenüber Minderheiten hatten. Die Probanden hatten die Möglichkeit mithilfe einer Skala von eins bis fünf den Aussagen zuzustimmen oder diese abzulehnen. In einem weiteren Themenfeld wurde mit Sätzen wie „Gehorsam und Achtung vor der Autorität gehört zu den wichtigsten Tugenden, die Kinder lernen sollten“ oder „Die Abkehr von Traditionen wird sich eines Tages als fataler Fehler“ erweisen, wurde die Einstellung der Probanden gegenüber autoritären Systemen überprüft. Zum Schluss erfasste der Fragebogen mit Sätzen wie „Es ist gut, dass bestimmte Gruppen über anderen Gruppen stehen“ die Haltung der Studienteilnehmer zu einer sozialen Dominanzorientierung. Die in der aktuellen Studie verwendeten Aussagen entstammen verschiedenen, bereits validierten Fragebögen, die seit einigen Jahren von Psychologen und Sozialwissenschaftlern in unterschiedlichen Gebieten eingesetzt werden.
Bei der Auswertung der Antworten zeigte sich in allen drei abgefragten Teilgebieten das gleiche Bild: Menschen, die nicht auf Fleisch und andere Tierprodukte verzichteten, wiesen im Vergleich zu Vegetariern und Veganern eine höhere Neigung zu Vorurteilen auf. Bei Männern war der Unterschied deutlicher zu sehen als bei Frauen. Zudem befürworten Fleischesser eher autoritäre Strukturen als Vegetarier und Veganer dies tun. „Menschen, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, halten offenbar nicht so stark an Althergebrachtem fest, außerdem bevorzugen sie häufiger gleichwertige Beziehungen gegenüber hierarchischen“, erklärt Veser. Dieser Unterschied war bei den Männern ebenfalls ausgeprägter als bei den Frauen. Auch das Alter hatte einen Einfluss auf die Resultate: Die älteren Probanden neigten in allen drei Gruppen eher dazu, Vorurteile gegenüber anderen Personen zu haben als die jüngeren Probanden. Genauso bewerteten die Älteren autoritäre Strukturen und Hierarchien in der Gesellschaft positiver als die Jüngeren, aber dennoch gab es in jeder Altersgruppe den gleichen Unterschied, je nachdem, wie die Menschen sich ernährten.“ Zur Überraschung der Forscher hatte das Bildungsniveau der Probanden hingegen keinen Einfluss auf das Gesamtergebnis. „Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Vegetarier und Veganer über ein höheres Bildungsniveau verfügen als Fleischesser“, so Veser.
Die Studie der Mainzer und Wuppertaler Forscherinnen kommt zum Ergebnis, dass ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Ernährungsweise und bestimmten sozialen Einstellungen besteht. Doch Veser warnt davor, voreilige Schlüsse aus der Studie zu ziehen: „Wir haben nur festgestellt, dass eine Korrelation besteht. Ob eine spezielle Ernährungsform bestimmte sozialen Einstellungen zur Folge hat oder umgekehrt, das war nicht Gegenstand unserer Untersuchung und muss in zukünftigen Studien erforscht werden.“ Beides, so die Psychologin, sei theoretisch möglich: Einerseits könnten offenere, tolerantere Persönlichkeiten eher zu einer vegetarischen oder veganen Ernährung tendieren. Andrerseits legten neue Ergebnisse aus Tierexperimenten nahe, dass vermutlich auch beim Menschen die Ernährungsweise große Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Darmflora habe, was wiederum sein Verhalten in die eine oder andere Richtung beeinflussen könnte. Andere Experten sind skeptischer: „Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen den Ernährungsgewohnheiten und den in der Studie untersuchten Einstellungen gibt“, sagt Juliane Degner, Professorin am Institut für Psychologie der Universität Hamburg. „Vermutlich werden beide Dinge von etwas Grundlegenderem verursacht.“ Ihrer Meinung nach könnten aus der politischen und ethisch-moralischen Gesinnung der jeweiligen Testperson bestimmte soziale Einstellungen und Ernährungsmuster folgen. In einer Fragenbogenstudie, so Degner, hätte man das sehr leicht miterfassen können.
Die Psychologin bemängelt auch, wie die Studienteilnehmer angeworben und die Ergebnisse erzielt wurden: „Durch die Rekrutierung über das Internet und Interessenvereinigungen, wurden eher solche Vegetarier und Veganer für die Studie gewonnen, die aktiv für ihre Überzeugungen eintreten. Da der in Studie verwendete Fragebogen ihnen die Möglichkeit bot, sich und ihre Gruppe in einem bestimmten Bild zu präsentieren, besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse verzerrt sind.“ Degner wünscht sich deshalb, dass man alternativ den Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten und sozialen Einstellungen nochmals mit anderen Methoden überprüft und dabei auch mögliche Drittvariablen mitberücksichtigt, die erklären könnten, wie es zu diesem Zusammenhang kommt. Ein weiterer Kritikpunkt, so Degner, sei, dass durch den Fragebogen nur die Motivation, vorurteilsfrei zu erscheinen, gemessen wurde und nicht ob eine Testperson wirklich keine Vorurteile gegenüber anderen Gruppen hatte. Mit indirekten Messverfahren könnten sich aber auch die Personen erkennen lassen, die nur angeben, vorurteilsfrei zu sein, obwohl sie es gar nicht sind. Doch laut Rainer Banse, Professor am Institut für Psychologie der Universität Bonn, würde sich das Ergebnis vermutlich kaum ändern, egal ob die Ergebnisse nun über eine direkte oder über eine indirekte Methode gewonnen werden: „Die in der Studie gefundenen Zusammenhänge zwischen sozialen Einstellungen und Ernährungsgewohnheiten sind für unseren kulturellen Kontext plausibel.“
Der Bonner Psychologe geht auch davon aus, dass diese Zusammenhänge von einer Drittvariablen verursacht werden: Wahrscheinlich, so Banse, seien linke und sehr egalitäre Personen, die keine Vorurteile haben wollen, eher Vegetarier und Veganer als Personen mit rechten Ansichten, denen das alles nicht so wichtig ist. Jedoch, gibt er zu bedenken, existiere kein naturgegebener Zusammenhang zwischen Konservatismus und Traditionalismus auf der einen Seite und Fleischessen auf der anderen Seite. „Das hängt von der Kultur ab, die solche Einstellungen hervorbringt“, findet Banse. „In Indien tendieren traditionelle und nationalistische Hindus eher zu einer vegetarischen oder veganen Lebensweise. Nur weil bei uns eine Ernährungsweise mit bestimmten Einstellungen korreliert, muss das woanders auf der Welt noch lange nicht so sein.“ Originalpublikation: Diet, authoritarianism, social dominance orientation, and predisposition to prejudice: Results of a German survey Petra Veser et al.; British Food Journal, doi: 10.1108/BFJ-12-2014-0409; 2015