Derzeit sorgt der Glukose-Fall einer Kölner Apotheke bundesweit für Schlagzeilen. Weil solche Fälle so selten sind, erregen sie viel Aufmerksamkeit. Die sieben größten Apothekenskandale der letzten Jahre.
Gerade weil die Apotheke vor Ort von den Menschen mit Vertrauen und guter Beratung assoziiert wird, sorgen Fehltritte für besonders großes Aufsehen. Gemessen an der hohen Apothekendichte in Deutschland ist die Zahl der negativen Vorkommnisse vergleichsweise niedrig. Hier die größten Skandale der letzten Jahre:
Der jüngste Fall: Am 19. September starben eine schwangere Frau und ihr Neugeborenes an multiplem Organversagen, nachdem die Frau verunreinigte Glukose eingenommen hatte. Ihr Gynäkologe wollte einen oralen Glukosetoleranztest durchführen, um Prädiabetes nachzuweisen. Doch der Zucker war nach jetzigem Ermittlungsstand mit einem Anästhetikum verunreinigt. Bei mindestens einer weiteren Frau war es zu gesundheitlichen Beschwerden bekommen, jedoch ohne fatalen Ausgang. Die Ermittlungen laufen – drei Betriebsstätten wurden vorsorglich geschlossen. Woher die Kontamination kommt, ist derzeit unklar.
Der größte Skandal seit Jahrzehnten ereignete sich in Bottrop. Ein Apotheker fertigte den Ermittlungen zufolge tausende patientenindividuelle Zytostatika-Rezepturen bewusst falsch an. Er setzte weniger der hochpreisigen Wirkstoffe zu, manche Lösungen sollen sogar frei von Zytostatika gewesen sein. Mit Krankenkassen wurde aber voll abgerechnet. Die Richter gingen im Prozess von mehr als 14.000 Zubereitungen aus und bezifferten den wirtschaftlichen Schaden auf 17 Millionen Euro. Ob – oder, falls ja, wie viele – onkologische Patienten dadurch ums Leben gekommen sind, ließ sich nicht mehr eruieren. Der Apotheker muss zwölf Jahre ins Gefängnis – wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz und Betrugs an den Krankenkassen. Körperverletzung, Totschlag oder gar Mord schieden aus formalen Gründen aus. Er darf seinen Beruf nicht mehr ausüben. Die Sache wäre wahrscheinlich nie aufgeflogen, hätten nicht eine PTA und ein kaufmännischer Leiter der Apotheke Unregelmäßigkeiten beim Wareneingang und -ausgang bemerkt. Dafür erhielten sie einen Whistleblower-Preis.
3. Warnung weggeklickt
Auch in der Schweiz kam es zu einem tödlichen Zwischenfall. Anders als in Köln ließ sich die Schuldfrage rasch klären. Ein Arzt hatte der Patientin das Antibiotikum Cefuroxim verordnet – und die Frau starb aufgrund eines anaphylaktischen Schocks. Der Mediziner hatte sie (angeblich) zuvor nach Allergien gefragt – sie hatte dies verneint und war erst seit kurzer Zeit in der Praxis. Nur stand die Überempfindlichkeit im EDV-System der Apotheke, und die Apothekerin hatte einen Warnhinweis bei ihrer Abgabe wohl weggeklickt. Sie wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, den Arzt sprach man frei.
Solche Pannen kommen auch hierzulande vor: In der stressigen Phase am Samstag kurz vor Feierabend sollte ein Apotheker Renvela® (Sevelamer) abgeben. Der Phosphatbinder wird bei Dialysepatienten mit Phosphatüberschuss im Blut eingesetzt. Es ist ein Präparat, das bestellt werden musste. Spätabends kam eine Lieferung. Der Kollege, er war wohl zwischenzeitlich eingeschlafen, griff zu Veramex® (Verapamil) in der Überzeugung, dass es sich um das bestellte Präparat handelte – und brachte es zur Kundin nach Hause. Erst am Montag fiel ihm der Fehler auf, als er eine Packung Renvela® nicht zuordnen konnte. Die Patientin war mittlerweile verstorben. Im Prozess kam dem Kollegen zu Gute, dass er seinen Fehler eingestand. Er hatte sich auch bei der Tochter der Patientin entschuldigt. Für ihn blieb es bei einer Geldstrafe, seine Approbation wurde nicht widerrufen.
Immer wieder kommt es auch zu unbeabsichtigten Verwechslungen, die fatale Folgen haben könnten. In München ereignete sich ein Zwischenfall mit unklarem Ausgang. Während des Notdienstes (!) erwarb eine Kundin Weinsäure, erhielt jedoch giftige Borsäure. In beiden Fällen handelt es sich um weiße Pulver, die zwar unterschiedlich riechen und schmecken. Aber das mag in einem Kuchen nicht auffallen – Weinsäure dient zusammen mit Natriumhydrogencarbonat als Backtriebmittel. Wie die Sache ausgegangen ist, weiß man nicht.
Eine andere Verwechslung ereignete sich in der Schweiz. Die Apotheke händigte statt Lipanthyl® (Fenofibrat), einem Cholesterinsenker, das Zytostatikum Litalir® (Hydroxycarbamid) aus. Doch der Mann der Patientin wundert sich angesichts des unbekannten Namens, liest den Beipackzettel – und wird stutzig. Zu Schaden kam bei dieser Panne niemand.
Mit einem blauen Auge kam auch ein Münchener Kollege davon, er hatte es bei der Abgabe von L-Polyamidon zur Opioidsubstitution mehrfach nicht so genau genommen – sowohl hinsichtlich der Rezeptpflicht als auch der Wirkstoffmenge. Prompt kam es zum Prozess, und die zuständige Aufsichtsbehörde entzog ihm seine Approbation. Er klagte erfolgreich und darf weiter als Apotheker arbeiten.
Andere Fälle gehören eher zu den Absurditäten. Ein Apotheker und ein Heilpraktiker hatten offenbar Zweifel an der Sinnhaftigkeit stark verdünnter Arzneimittel. Gemeinsam entwickelten sie ein angebliches Homöopathikum der besonderen Art – denn es enthielt pro Kapsel 0,7 und 1,5 Prozent des Muskelrelaxans Tetrazepam, das 2013 in Deutschland vom Markt genommen wurde. Kunden waren von der Wirkung begeistert, die Richter aber nicht. Sie verhängten nicht nur eine Geldstrafe. Das zuständige Berufsgericht für Heilberufe kassierte gleich die apothekerliche Approbation ein.
Viele dieser Fälle haben medial für die typisch deutsche Entrüstung gesorgt, zuletzt in Köln. Jeder Fehler ist einer zu viel, keine Frage. Und Betrug auf Kosten der Gesundheit muss mit aller Härte verfolgt werden. Doch Vorsicht – wir sollten nicht die Relation verlieren. Rund 19.000 Apotheken versorgen Patienten mit Pharmaka. Pro Jahr gibt es eine Milliarde Patientenkontakte., und 12,7 Millionen Rezepturen werden hergestellt. Das sollten wir nicht kaputtreden.
Bildquelle: Kyle Riess, flickr