Der Besuch bei einem Akupunkteur hatte für eine Frau aus Neuseeland unangenehme Folgen. Weil sie schlecht Luft bekam, landete sie noch am selben Tag in der Notaufnahme.
Die 33-jährige Patientin hatte die Hoffnung, dass Akupunktur ihre Atemnot und Schmerzen in den Schultern lindern würde, die ihr eine Arm- und Handgelenksverletzung bereiteten. Für die Behandlung wurde unter anderen der Akupunkturpunkt Gallenblase 21 (F 21, jianjing) gewählt, auch unter dem blumigen Namen „Brunnen der Schulter“ bekannt, der sich in einer Vertiefung am höchsten Punkt der Schulter in der Mitte der Verbindungslinie zwischen dem Akromion und dem Dornfortsatz des siebten Halswirbelkörpers befindet. Laut traditioneller chinesischer Medizin soll er krankheitsauslösende Faktoren "ausleiten" und Schmerzen stillen. Akupunkteure behandeln damit z. B. einen steifen Hals oder Schulterbeschwerden.
Allerdings kam es in diesem Fall zu einer Komplikation: Die Nadeln wurden versehentlich zu tief in die Schulterregion gestochen, was bei er Frau starke Schmerzen verursachte. Nach einer halben Stunde wurden die Nadeln wieder entfernt, wobei die Patientin spontan weitere Schmerzen in ihrer rechten Brust und Atemnot verspürte. Sie sagte dem Akupunkteur, dass sie schlecht Luft bekäme und ihre Lungen sich seltsam anfühlten. Obwohl sie sich nach Ende der Behandlung immer noch sehr unwohl fühlte, wurde sie nach Hause geschickt, um sich auszuruhen und zu entspannen.
Der Ehemann brachte die Frau dann aber später ins Krankenhaus, wo in der Notaufnahme ein beidseitiger Pneumothorax festgestellt wurde, der auf die Akupunktur zurückzuführen war.
In der Regel beschränken sich die Berichte über solche schwerwiegenden Nebenwirkungen, die immer wieder durch die Medien und die wissenschaftliche Literatur geistern, auf Einzelfälle mit geringem Evidenzlevel, die keine Schätzung der Häufigkeit zulassen. Zwischen der Akupunktur und einem Pneumothorax wird zudem häufig kein Zusammenhang hergestellt, z. B. weil die Symptome nicht sofort eintreten oder weil die Patienten ihrem Arzt die alternative Behandlung verschweigen.
Dass solche Fälle aber gar nicht so ungewöhnlich sind, zeigt eine aktuelle Studie aus Taiwan, in der zwischen 1997 und 2012 die Inzidenz von einem Pneumothorax nach Anwendung von Akupunktur untersucht wurde. Hier wurden Versicherungsdaten von 411.734 Patienten ausgewertet, die sich während dieser Zeitspanne insgesamt 5.407.378 Akupunkturbehandlungen unterzogen. Innerhalb von sieben Tagen nach der Akupunktur ergab sich daraus folgende Inzidenzrate für einen iatrogenen Pneumothorax: 0,87 pro 1.000.000 Akupunkturbehandlungen. Bei Betrachtung der riskanten anatomischen Bereiche betrug die Inzidenzrate 1,75 pro 1.000.000 Behandlungen.
Dies deckt sich mit einer älteren Studie aus Deutschland, in der unter 2,2 Millionen Akupunkturbehandlungen zwei Fälle mit Pneumothorax auftraten. In Deutschland haben die Akupukteure ihre Nadeln demnach ähnlich gut im Griff wie in Taiwan, wo die traditionelle chinesische Medizin eine große Rolle spielt. Einem Bericht der WHO zufolge werden etwa 30 Prozent der Fälle von Pneumothorax aufgrund von Akupunktur durch das Einführen von Nadeln an dem Akupunkturpunkt F21 verursacht.
Für den Akupunkteur aus Neuseeland waren die Folgen ebenfalls unangenehm: In einem Gerichtsverfahren wurde ihm die Schuld an dem Vorfall zugesprochen. Er hatte seiner Patientin die Risiken nicht ausreichend erklärt und keine schriftliche Zustimmung eingeholt. Bevor er seine Tätigkeit weiter ausüben kann, muss er sich weiterbilden und eine Informationsbroschüre sowie ein schriftliches Einverständnissystem für seine Praxis erstellen.
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