Eine geplante Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik sorgt für viel Wirbel. Auf den ersten Blick erscheinen Personaluntergrenzen als sinnvolle Neuerung. Doch es gibt massive Kritik.
Die Psychiatrie-Personalverordnung von 1990 ist in die Jahre gekommen. Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vor drei Jahren beauftragt worden, eine angemessene Mindestpersonalausstattung in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken festzulegen. Läuft alles nach Plan, soll ab 2020 eine Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik gelten.
G-BA bleibt vage
Das Dokument selbst wird erst Anfang Oktober veröffentlicht. Zu den Inhalten bleibt der G-BA vage: Künftig gelten verbindliche personelle Mindestvorgaben. Einrichtungen haben nachzuweisen, dass sie sich wirklich daran halten. In Ausnahmefällen, etwa bei ungewöhnlich hohen Patientenzahlen oder Personalausfällen, sind Abweichungen möglich.
Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzende des G-BA, sieht „Verbesserungen in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung“ auch durch höhere Minutenwerte (Minutenwert bezieht sich auf die Arbeitszeit in Minuten je Patient und Woche, die für jeden Behandlungsbereich und Berufsgruppe vorgegeben wird). Hecken weiter: „Sobald die Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit vorliegt, werden wir auf der Grundlage der aus dem Nachweisverfahren gewonnenen Daten weiterberaten und die Richtlinie fortschreiben“.
DKG: Mehr bürokratischer Aufwand
Starker Gegenwind kommt von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). „Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat gegen die Stimmen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) einen Beschluss zur Mindestpersonalbesetzung in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung getroffen, der die Versorgung in diesem Bereich um 40 Jahre zurückwirft“, heißt es in einer Meldung.
Krankenhäuser hatten nämlich gefordert, Personalmindestvorgaben nach Erwachsenen-Psychiatrie, Psychosomatik bzw. nach Kinder- und Jugendpsychiatrie zu differenzieren: immer bezogen auf das ganze Haus, nicht auf die einzelne Station. „Demgegenüber muss durch die Entscheidung des G-BA das gesamte Personal, auch aus den stationsübergreifenden Therapien, in das enge Korsett einer Station gepresst werden […]“, schreibt die DKG. Und alles ist zu erfassen. Man befürchtet folglich „mehr Personal für Dokumentation und Bürokratie, weniger Personal für die psychisch kranken Menschen“. Und weiter: „Mit dem kleinteiligen stationsbezogenen Nachweisverfahren verhindert die Mehrheit im G-BA moderne Versorgungskonzepte.“
Dazu Hecken vom G-BA: „Die Presseerklärung der DKG ist sehr bedauerlich, weil sie den Beschluss des G-BA zur Erstfassung der Richtlinie zur Personalbemessung in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung vom vergangenen Donnerstag nur rudimentär wiedergibt und damit einen durchweg falschen Eindruck über deren Inhalt erweckt.“ Er relativiert, Sanktionen fänden nur statt, falls Vorgaben einrichtungsbezogen in einem Zeitraum von drei Monaten nicht erfüllt würden. Doch die DKG ist bei weitem nicht die einzige kritische Stimme.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) äußert sich recht pessimistisch. „Die dringend benötigte Neuregelung der Personalbemessung ist auf ganzer Linie gescheitert: Statt der notwendigen Verbesserung der Personalschlüssel droht Personalabbau“, schreibt die Fachgesellschaft. „Die aktuell verabschiedete Richtlinie legt die bislang geltende Personalverordnung – statt sie qualitativ und signifikant zu erhöhen – als Personaluntergrenze fest.“ Und Krankenhäuser bekämen noch weniger Personal als bisher von den Krankenkassen finanziert.
Das bestätigt auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK): Neue Mindestanforderungen schrieben nur Regelungen der fast 30 Jahre alten Psychiatrie-Personalverordnung fort. Eine nachhaltige Erhöhung des Personals, insbesondere mehr Pflegende und mehr Psychotherapeuten, werde es nicht geben. „Die Fortsetzung der psychotherapeutischen Mangelversorgung der Patienten vor allem in der Psychiatrie ist unverantwortlich“, kritisiert BPtK-Präsident Munz. „Der G-BA ist an seinem gesetzlichen Auftrag, eine leitlinienorientierte Versorgung in Krankenhäusern für psychisch kranke Menschen umzusetzen, kläglich gescheitert.“ Die BPtK fordert leitlinienorientiert mindestens 100 Minuten Einzelpsychotherapie pro Woche für alle Patientengruppen in allen Behandlungsbereichen: ein Wert, der vom G-BA im neuen Regelwerk teilweise immer noch unterschritten wird.
Spahn hat das letzte Wort
Die Kritik nahezu aller involvierten Fachgesellschaften ist kaum zu überhören. Jetzt hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das letzte Wort. Macht er keine Einwände geltend, tritt das Regelwerk zum 1. Januar 2020 in Kraft.
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