MEIN KNIFFLIGSTER FALL | Ein Mann kommt zu mir in die Tierarztpraxis, außer sich vor Wut und Sorge. Er bringt seinen Wachhund mit. Der Herr ist sich ganz sicher: Jemand hat seinen Hund vergiftet, um bei ihm einzubrechen.
Wollte wirklich jemand den Wachhund aus dem Weg räumen, um bei dem Mann einzubrechen? Köder oder Reste von Verpackungen, die einen Hinweis über die Art der Vergiftung hätten geben können, hat er auf dem Grundstück keine gefunden.
Die beschriebenen Symptome sind unspezifisch, aber durchaus nicht ungewöhnlich für eine Auswahl an Vergiftungen. Der Hund torkelt, hat Durchfall und Erbrechen, ist apathisch und appetitlos.
Die Allgemeinuntersuchung ergibt nicht sehr viel Aufschlussreiches: geringgradig herabgesetzte Pupillarreflexe, auskultatorisch o. b. B., Abdomen im vorderen Drittel schmerzhaft, Normothermie. Der Hund torkelt in der Praxis nicht, allerdings wankt er leicht wenn er still steht und sieht ikterisch aus.
Wir nehmen dem Hund Blut ab, die Hämatologie und ein Organprofil liefen im hauseigenen Labor. Es wird auch Blut zum Versand in ein externes Labor abgenommen. Der Hund weist eine Anämie auf und hat erhöhte Leberwerte. Die Pankreas-Lipase ist im Normbereich. Auf toxikologisches Ergebnisse müssen wir noch ein paar Tage warten. Es schließt sich ein Ultraschall an. Im Ultraschall dann der eindeutige Befund: die Leber ist strukturell stark verändert, die Gallengänge teilweise gestaut aber ohne Konkremente.
Die häufigste Leberveränderung in der Tiermedizin ist erfahrungsgemäß die Fettleber. Es schließen sich Tumoren an, seltener kongenitale Shunts. Das Bild dieses Hundes allerdings ist uns absolut gar nicht geläufig. Es ähnelt am ehesten einer Zirrhose, doch die kommt bei Hunden eigentlich so gut wie nie vor und schon gar nicht „über Nacht“.
Differentialdiagnostisch kommen einige Infektionskrankheiten in Frage, unter anderem Leptospirose, Leishmaniose und canine Hepatitis. Die Hämatologie ist aber nicht entzündlich verändert. Zudem ist der Hund vorschriftsmäßig geimpft und noch nie zuvor im Ausland gewesen. Trotzdem setzen wir es auf die Liste der Blutwerte, die im Labor angefordert werden sollen.
Das Tier wird zur Infusionstherapie stationär aufgenommen, mindestens bis wir die Ergebnisse aus dem Fremdlabor haben. Der Hund bekommt auch Aktivkohle von uns und wird bis auf weiteres auf leberschonendes Futter umgestellt.
Wir besprechen die Ergebnisse mit dem Besitzer und äußern unseren Verdacht, dass der Hund vermutlich schon über einen längeren Zeitraum krank ist. Die Symptome ähneln am ehesten einer Alkoholvergiftung, beziehungswiese einer chronischen Alkoholkrankheit.
Im Zuge des zweiten Gesprächs wird der Herr immer stiller und nervöser. Letzendlich gesteht er selbst, ab und zu mal „einen über den Durst“ zu trinken und, seit seine Frau ihn verlassen hat, nicht mehr so ordentlich aufzuräumen. Es stellt sich heraus, dass er sich regelmäßig bis zur Bewusstlosigkeit betrinkt. Dabei passiert es manchmal auch, dass er sich übergeben muss – und der Hund hinter ihm aufräumt. In dem Erbrochenen des Besitzers war noch mehr als genug Alkohol um dem Hund die Leber zu zerstören.
Im Fall von Vergiftungen ist die Diagnose in der Tiermedizin oft äußerst schwierig, da es eine fast endlose Auswahl an Giften gibt, die Symptome einer Vergiftung aber in der Regel eher unspezifisch sind. Oft ist es schon zu spät, bis ein toxikologisches Ergebnis vorliegt, und wenn man so gar nicht weiß, wonach man suchen muss, ist die Blutuntersuchung auch nicht immer hilfreich. In diesem Fall kann das Gespräch mit dem Besitzer das Rätsel lösen, retten können wir den armen Hund leider trotzdem nicht mehr.
Dieser Beitrag ist von Veterinärin Anita Bejarano Gerke. Sie hat an unserem DocCheck-Wettbewerb Dein kniffligster Fall teilgenommen: Ärzte sollten von einem Fall erzählen, der sie besonders beschäftigt hat. Uns erreichten viele spannende Beiträge, einer davon ist dieser hier.
Bildquelle: Aaron Barnaby/Unsplash