Wie hoch ist das Risiko, an rheumatoider Arthritis, Morbus Crohn oder einer bipolaren Störung zu erkranken? Antworten auf diese Frage verbergen sich in unserem Erbgut. Doch wie sicher sind die Aussagen und was machen wir damit?
Für 300 Euro alle codierenden Sequenzen im Erbgut sequenzieren oder für 1.000 Euro das gesamte Genom unter die Lupe nehmen: Dank moderner Technologien, bekannt als Next Generation Sequencing, gibt es Molekularbiologie heute zum Schnäppchenpreis. Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) boomen: Nahezu jede sinnvolle oder unsinnige Frage wird gestellt, wie ein Blick in die aktuelle Forschung zeigt. Humangenetiker bringen tausende GWAS mit Erkrankungen in Verbindung. Dabei vergleichen sie eine Patientengruppe mit gesunden Kontrollen.
Erste Erfolge
Dazu einige Beispiele. In einer der ersten GWAS wurden 96 Patienten mit altersbedingter Makuladegeneration (AMD) mit 50 gesunden Kontrollpersonen verglichen. Forscher fanden zwei auffällige Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) für AMD. Die Ergebnisse haben weitere Untersuchungen initiiert und schließlich über Umwege zur Entwicklung von Pharmakotherapien geführt.
Ein weiterer Meilenstein war die GWAS-Studie des Wellcome Trust Case Control Consortium (WTCCC). Sie schloss 14.000 Fälle mit häufigen Krankheiten ein, u.a. die koronare Herzkrankheit , Typ-1-Diabetes , Typ-2-Diabetes , rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn, bipolare Störungen und Hypertonie. Hinzu kamen 3.000 Kontrollen. Viele der entdeckten Krankheitsgene spielen heute eine Rolle bei der Diagnostik.
Aus jeder Fragestellung wird eine GWAS
Bei der koronaren Herzkrankheit haben Ärzte meist die üblichen Verdächtigen im Blick: ein hoher Blutdruck, hohe Cholesterinwerte, Typ 2-Diabetes, wenig Bewegung, Ernährungssünden oder Rauchen. Hier wird laut Lingyao Zeng von der Technischen Universität München und Kollegen aber nur ein Teil der Wahrheit abgebildet. Die Forscher haben mehr als 13.000 Patienten genetisch untersucht und ihre Daten mit einer ähnlich hohen Zahl an Kontrollen verglichen. Dabei suchten sie nach jenen genetischen Varianten, von denen bereits bekannt ist, dass sie Einfluss auf die Entstehung koronarer Herzerkrankungen haben.
Und siehe da: Man identifizierte 28 Genregulationsnetzwerke mit jeweils 24 bis 841 Genen, die mit der koronaren Herzkrankheit assoziiert waren. Bei solchen regulatorischen Netzwerken handelt es sich um Ansammlungen von Genen, die in direkte oder indirekte Interaktion miteinander oder mit anderen Substanzen in der Zelle treten. Die gefundenen Gene sollen 10 Prozent des erblichen KHK-Risikos erklären. Zuvor wurde bereits ein erhöhtes KHK-Risiko um 22 Prozent ermittelt, wenn bestimmte Risikoloci auftreten. Diese Loci wurden durch GWAS identifiziert.
Auch bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) scheinen Gene eine Rolle zu spielen, schreiben Forscher um Joel Gelernter von der Yale University School of Medicine, New Haven. Der Erstautor ist auch für einen staatlichen US-Versicherungsträger tätig – und da interessiert man sich eben für Kosten. Konkret geht es um die Frage, bei welchen Patienten mit PTBS es zu sogenannten Flashbacks, sprich zum erneuten Durchleben der traumatischen Situation, kommt. Frühere GWAS brachten keinen Erfolg. Das Team arbeitete jedoch mit 165.000 Veteranen, einer vergleichsweise großen Kohorte für die Erkrankung. Tatsächlich fanden Gelernter und seine Kollegen acht Regionen im Genom, die mit Flashbacks einer PTBS assoziiert waren.
Der Phantasie sind bei GWAS keine Grenzen gesetzt. So wollte Andrea Ganna vom Massachusetts General Hospital, Boston, herausfinden, ob es Assoziationen zwischen den Genen und der sexuellen Orientierung gibt. Die Wissenschaftler suchten im Erbgut rund 470.000 Menschen nach Besonderheiten und verglichen Polymorphismen mit Angaben aus Fragebögen – ohne durchschlagenden Erfolg. Im Artikel heißt es, man hätte bei der Analyse statistischer Zusammenhänge keine bedeutsamen Muster unter den untersuchten genetischen Varianten finden können, um das Sexualverhalten einer Person vorhersagen. Lediglich fünf Marker im Erbgut korrelierten signifikant mit der Selbsteinschätzung der Teilnehmenden. Zwei davon waren nur bei Männern zu finden. Für die Praxis war das zu wenig.
Der Blick zurück zeigt, dass schon so manche Erkenntnis zur Diagnostik und Therapie geliefert haben. Es geht aber nicht nur um Patienten. Bei kontroversen Fragestellungen sind den Autoren Veröffentlichungen in Science oder Nature sicher, inklusive vieler Zitationen. Die Kritikpunkte:
Aus der Methodik haben Forscher viel molekularbiologisches Wissen gezogen. Ihr Ziel ist immer, einen Genotyp mit einem Phänotyp (einer Erkrankung) in Verbindung zu bringen, um Krankheitsrisiken zu ermitteln. Das gelingt mit Hochdurchsatz-Technologien (Next Gereration Sequencing) immer besser.
Haben Patienten bereits eine Erkrankung, beispielsweise einen Brusttumor, handelt es sich um keine GWAS mehr. Dann vergleiche Molekularbiologen direkt das Erbgut aus Zellen einer Biopsie mit der DNA aus gesundem Gewebe.
Bleibt als Fazit, dass GWAS tatsächlich neue Erkenntnisse bringen können, um Mechanismen von Krankheiten zu verstehen oder um neue Arzneistoffe zu entwickeln. Sie locken Forscher vielleicht aber auch auf falsche Fährten. Auch ethische Aspekte sind zu diskutieren. Je mehr wir über unser Erbgut erfahren, auch über die Bedeutung nichtcodierender Sequenzen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Versicherungen plötzlich ein Risikoprofil einfordern, um Tarife zu kalkulieren.
Bildquelle: FelixMittermeier, pixabay