In Gelsenkirchen wurden zwischen Juni und September drei Kinder mit deformierten Händen geboren. Seitdem häufen sich die Spekulationen über mögliche Ursachen. Gynäkologin Dr. Petra Brandt wägt ab.
Im Sankt-Marien-Hospital Buer in Gelsenkirchen sind zwischen Mitte Juni und Anfang September drei Babys mit deformierten Händen zur Welt gekommen. Auffällig war für die betreuenden Ärzte vor allem die Häufung und Art der Fehlbildungen.
„Bei zwei der betroffenen Kinder war die linke Hand deformiert – bei normalem Unterarm waren die Handteller und Finger nur rudimentär angelegt. Bei einem Kind war die rechte Hand betroffen – auch hier waren bei normalem Unterarm die Handteller und Finger nur rudimentär angelegt“, schreibt die Klinik in einer Stellungnahme.
Das NRW-Gesundheitsministerium will nun für Klarheit sorgen. Dazu werden alle Kliniken im Bundesland befragt, ob dort ähnlich auffällige Fehlbildungen aufgetreten seien. Das Problem: Ein bundesweites Melderegister gibt es nicht. Die Gelsenkirchener Klinik schreibt dazu: „Es wäre eine Meldung über Eurocat als zentrale Meldestelle der Europäischen Union möglich. Hier sind wir als geburtshilfliche Klinik als Melder jedoch bisher nicht registriert.“
In der Berliner Morgenpost wird der Contergan-Skandal als Vergleich herangezogen. Denn auch hier standen am Anfang bloß Vermutungen. Aber: Wahllose Theorien helfen jetzt nicht, kritisiert die Zeitung.
„Was auch nicht hilft, sind Gerüchte über angeblich immer neue Fälle von Fehlbildungen oder privat geführte Tabellen und Listen über Fälle, die unbeteiligte Hebammen nur vom Hörensagen kennen. All das passiert aber gerade. Es bewirkt das genaue Gegenteil von Aufklärung“, so der Artikel weiter.
Dr. Petra Brandt, Gynäkologin und unsere Expertin für den Fachkanal Intimbereich, schätzt die Lage ein:
„Aufmerksam werden und Untersuchungen einleiten ist gut, aber bei nur drei Fällen würde ich erst einmal unaufgeregt bleiben. Rein statistisch kann es sich um eine zufällige Häufung handeln. Wir kennen das Phänomen aus der Praxis und nennen es Duplizität der Fälle: Komischerweise treten seltene Diagnosen in kurzen Abständen zweimal hintereinander auf, keiner weiß warum. Das habe ich selbst schon hin und wieder erlebt.
Nun ist es dreimal passiert, das lässt einen schon aufmerken, sollte aber wie gesagt keine übertriebene Nervosität hervorrufen. Auffällig erscheint mir die örtliche Komponente: die selbe Stadt und ein einziges Krankenhaus.
Melderegister zum Zweck wissenschaftlicher Forschung und Einschätzung finde ich prinzipiell sinnvoll, aber nicht bei drei Fällen. Natürlich denkt man an den Contergan-Skandal der 1960er Jahre und hofft, dass nicht noch mehr Meldungen aus Gelsenkirchen oder von anderen Orten kommen, an denen ähnliche Fehlbildungen festgestellt wurden.
Weder während meiner Facharztausbildung, noch in der Praxis kann ich mich aber an eine größere Häufung von sehr ähnlichen Fehlbildungen erinnern, außer die schon erwähnte Duplizität der Fälle. Man sieht etwas Seltenes lange nicht und dann plötzlich zweimal hintereinander.
Der wichtigste Punkt bei diesem Thema ist für mich, einerseits aufmerksam und streng diagnostisch vorgehen, das heißt, wie Kriminalisten alle Möglichkeiten durchdenken und auf ihren Wahrheitsgehalt durchleuchten. Andererseits, wie wir unter Kollegen gerne sagen: ‚Den Ball erst einmal flach halten’, denn es sind wirklich nur drei Fälle, statistisch gesehen.
Für die Betroffenen sind das allerdings natürlich immer noch drei Fälle zu viel.“
Auf eine Interview-Anfrage der DocCheck News Redaktion schreibt das Pharmakovigilanzzentrum für Embryonaltoxikologie: „Der derzeitige Informationsstand erlaubt weder der Charité noch dem Pharmakovigilanzzentrum für Embryonaltoxikologie eine inhaltliche Stellungnahme zu diesem Thema. Aktuell liegen keine ausreichenden Informationen vor, um diesen Sachverhalt qualifiziert beurteilen zu können.“
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