Neuronale Netzwerke sind widerstandsfähig und passen sich vielen Gegebenheiten an. Dennoch erreichen bei neurodegenerativen Krankheiten bestimmte Signale ihr Ziel nicht mehr. Neue Erkenntnisse über die Netzwerk-Steuerung könnten ein Eingreifen erleichtern.
Biologische neuronale Netzwerke (BNN) sind ein komplexes Beispiel interaktiver Systeme. Der Zustand der Nervenzellen im Gehirn, der Knotenpunkte des neuronalen Netzwerks, verändert sich im Lauf des Lebens stetig – auch im Hinblick auf das Muster ihrer Interaktionen über ihre Synapsen. Simachew Abebe Mengiste, Doktorand des Bernstein Centers Freiburg, erforscht, wie solche Systeme gesteuert und beobachtet werden können – insbesondere, wenn sie angegriffen werden, wie bei einer neurodegenerativen Erkrankung. Ziel ist es, jene Voraussetzungen zu verstehen, die für die strukturabhängige Steuerbarkeit eines Netzwerkes notwendig sind. „Steuerbarkeit bedeutet im Kontext dynamischer Systeme die Fähigkeit, ein Netzwerk aus seinem aktuellen in einen gewünschten Zustand zu überführen“, erläutert Mengiste.
Netzwerke sind in ihrer Struktur meist unbeständig. Darum besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich mit strukturellen Veränderungen auch die optimale Steuerungsstrategie ändert: „Betrachten wir zum Beispiel das Straßennetz in einer Stadt: Wenn Bauarbeiten stattfinden, müssen manche Straßen gesperrt werden. Dies ähnelt dem Kappen einer Verbindung in einem Netzwerk“, erklärt Mengiste. Um den Verkehrskollaps zu verhindern, sollten die Behörden sicherstellen, dass alle Stadtteile erreichbar bleiben. Darum sei es notwendig, die meistbefahrenen Straßen zu identifizieren und die Verkehrsführung anzupassen. „Mithilfe der strukturellen Steuerbarkeit können wir nicht nur die wichtigsten Verbindungen zwischen zwei Orten identifizieren, sondern auch berechnen, wie viele Straßen gesperrt werden könnten, während das Hauptnetzwerk trotzdem intakt bleibt.“ Wie die meisten Netzwerke in der Umwelt sind BNN im Hinblick auf das Kappen ihrer Verbindungen relativ widerstandsfähig. Ist ihre Gesamtstruktur unbekannt, führt ein systematisches und progressives Unterbrechen von Verbindungen dazu, dass das Netzwerk seine Steuerung auf effiziente Art und Weise anpasst. Ist die Netzwerkstruktur bekannt, kann Mengiste noch effizientere Strategien zur Unterbrechung von Verbindungen herleiten, die eine Steuerbarkeit entweder nicht beeinflussen oder das System lahmlegen können. „Die Erkenntnisse könnten dabei helfen, komplexe Netzwerke in ihrer Struktur zu erhalten und zu verstehen, die im Hinblick auf ihre kritischen Verbindungen empfindlich sind. Sie eröffnen zudem wirksame Angriffsstrategien auf schädliche Netzwerkdynamiken, wie sie bei der Verbreitung von Pandemien auftreten, indem sie zeigen, wie schädliche Strukturen effektiv vom System abgetrennt werden können.“
Diese Strategien könnten bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Chorea Huntington, die zu absterbenden Neuronen und dem Ausfall von Synapsen führen, zum Einsatz kommen. „Bei solchen Krankheiten verkümmern die Netzwerkstrukturen bis zu einem Punkt, an dem die natürlichen Kompensationsmechanismen den Verlust an Neuronen und Synapsen nicht weiter ausgleichen können“, sagt Mengiste. „Informationen können ihr Ziel nicht mehr erreichen.“ Darum sei es nützlich, die Steuerungsstrukturen angegriffener Netzwerke neu zu analysieren und aufzuzeigen, wo zusätzliches Eingreifen notwendig wird. Originalpublikation: Effect of edge pruning on structural controllability and observability of complex networks Simachew Abebe Mengiste et al.; Scientific Reports, doi: 10.1038/srep18145; 2015