MEIN KNIFFLIGSTER FALL | Irgendetwas stimmt mit der Schilddrüse meines Patienten nicht. Die Laborwerte sind aber in Ordnung. Nur die Transaminasenwerte tanzen aus der Reihe.
Mein Stammpatient – ein ehemals drogensüchtiger und rückfallgefährdeter Mann Ende vierzig – betritt mein Zimmer. Nach langen Jahren des Nikotinkonsums hat er eine COPD und ein Lungenemphysem entwickelt. Und jetzt weist er Symptome einer Schilddrüsenfehlfunktion auf.
Nach mehreren physischen Tests und einer erweiterten Anamnese der letzten Monate – laut der die für eine Hypothyreose in der Fachliteratur beschriebene Symptomatik zunahm – werde ich ratlos. Denn der TSH-Spiegel und die Schilddrüsenhormone liegen im Normbereich, trotz der Akut-Symptomatik. Nahezu alle Laborwerte sind in Ordnung, bis auf die Transaminasenwerte. Hier zeigt sich unter anderem eine deutliche Erhöhung des Gamma-GT-Spiegels.
Der Patient klagt über Schwäche- sowie Müdigkeitsanfälle. Außerdem leidet er unter Schweißausbrüchen und Heiserkeit. Bei einem routinemäßigen Bluttest bitte ich das Labor mit Einverständnis des Patienten um eine Toxin-Analyse.
Dort zeigen sich Spuren von den, inzwischen bekannten, Inhaltstoffen des sogenannten Spice: eine Droge, die sich aus synthetischen Cannabinoiden sowie verschiedenen getrockneten Pflanzenteilen zusammensetzt. Sie gehört zur Gruppe der neuen psychoaktiven Substanzen und löst „Legal Highs“ aus.
Der Patient gibt zu, diesen Wirkstoff in sporadischen Abständen zu konsumieren. Darüber spreche ich meine Bedenken aus. Vor allem da die Substanz unter das: „Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG)“ fällt und damit alles andere als gesund ist.
Sobald ich dem Patienten eindringlich die Risiken dieses Drogen-Konsums schildere, ist er zu einem Entzug bereit. Als ich auch die mögliche Symptomatik einer Überdosierung dieses „Legal Highs“ in Betracht ziehe, löst sich das Rätsel von selbst. Die Schwäche- und Müdigkeitsanfälle sowie alle anderen fraglichen Symptome des Patienten gingen auf seinen Drogenkonsum zurück. Als ich unter ambulanter Betreuung den Wirkstoff absetzten lasse, verschwinden alle Symptome und auch die Blutwerte bessern sich langsam. In den nächsten drei Monaten erreichen sie wieder den Normalzustand.
Durch immer mehr und immer undursichtigere Wirkstoffe wird es auch immer schwerer, eine genaue Diagnose zu stellen. Deshalb dürfen wir als Ärzte nicht vergessen, in der Anamnese nach allen infrage kommenden Konsumgewohnheiten des Patienten zu fragen. Meistens ist die naheliegenste Antwort die richtige, in seinem Fall war es seine Compliance bzw. sein Konsumverhalten, das mich auf die richtige Antwort gebracht hat.
Dieser Beitrag ist von Internist und Allgemeinarzt Micha Sam Epple. Er hat an unserem DocCheck-Wettbewerb Dein kniffligster Fall teilgenommen: Ärzte sollten von einem Fall erzählen, der sie besonders beschäftigt hat. Uns erreichten viele spannende Beiträge, einer davon ist dieser hier.
Bildquelle: Viktor Juric, unsplash