Viele Migränepatienten suchen die Apotheke auf, um sich beraten zu lassen. Um dem Gegenüber bestmöglich zu helfen, gilt es, einige Punkte zu beachten.
Migräne gilt als Volkskrankheit, da etwa 10 Prozent der Bevölkerung Deutschlands davon betroffen sind. Frauen leiden darab etwa dreimal so häufig wie Männer. Für die adäquate Beratung von Migränepatienten in der Apotheke gibt es Leitlinien zur Selbstmedikation, an denen man sich orientieren sollte. Diese ändern sich von Zeit zu Zeit, und immer neue Wirkstoffe machten in den letzten Jahren den sogenannten OTC-Switch, hinaus aus der Verschreibungspflicht. Eine enge Verzahnung in der Beratung der Betroffenen von Arzt und Apotheker wäre darüber hinaus aus vielerlei Gründen wünschenswert. Besonders wenn man sich die neuesten Studien ansieht, die einen engen Zusammenhang zwischen Migräne und Alzheimer-Demenz nahelegen.
Die prospektive Kohortenstudie mit Erwachsenen, die kürzlich veröffentlicht wurde, zeigt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Migräne und dem Auftreten von Alzheimer-Demenz. Diese Erkenntnis ist besonders angesichts der immer älter werdenden Gesellschaft wichtig. Den Migränepatienten könnte im Sinne der Früherkennung der Alzheimer-Erkrankung zu einem Screening geraten werden, auch wenn noch keine Symptome aufgetreten sind.
Phenazon, Naproxen, Paracetamol, Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder verschiedene Triptane – die Empfehlung welcher Wirkstoffe in der Selbstmedikation ist nun leitliniengerecht? Letztes Jahr wurde die aktuelle S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ veröffentlicht, an der sich die Abgebenden orientieren können.
Bildquelle: Screenshot, Auszug aus der Leitlinie
Die erste Wahl stellen hier bei leichten bis mittelstarken Beschwerden ASS und Ibuprofen dar, deren Wirksamkeit auch am besten belegt ist. Die empfohlene Dosierung beträgt bei Acetylsalicylsäure 900–1.000 Milligramm, was zwei (Kau)-Tabletten oder zwei Portionen des Granulates entspricht. Die Brausetabletten sind mit 400 Milligramm Wirkstoff pro Einheit etwas niedriger dosiert, aber wirken schneller, da sie gelöst aufgenommen werden. Für Ibuprofen gilt eine Einnahme von 400 Milligramm des Wirkstoffs als sinnvoll, da bekannt ist, dass die Schmerzlinderung – im Gegensatz zur entzündungshemmenden Wirkung – zwischen der Gabe von 400 zu 600 Milligramm nicht signifikant größer ist.
Ist die Monotherapie nicht ausreichend, so kann auf eine Kombination aus ASS, Paracetamol und Koffein ausgewichen werden. Die Kombination aus Ibuprofen und Koffein war zum Zeitpunkt des Erscheinens der Leitlinie auf dem deutschen Markt noch nicht erhältlich. Betrachtet man jedoch die Studienlage zum Thema, so scheint das Adjuvans Koffein dem Schmerzmittel einen signifikant schnelleren Wirkeintritt und eine stärkere schmerzlindernde Wirkung zu verleihen. Sie ist daher eine zusätzliche Option für Migränepatienten, die mit Ibuprofen alleine nicht ausreichend versorgt sind. Analgetika mit nur einem Wirkstoff sollten laut Leitlinie an weniger als 15 Tagen im Monat eingenommen werden, um einem medikamenteninduzierten Kopfschmerz vorzubeugen. Bei Präparaten mit mehr als einem Wirkstoff wird die Einnahme an zehn Tage im Monat als Schwelle genannt.
Bei mittelschweren bis starken Schmerzen oder auch bei Non-Respondern auf ASS oder NSAR werden Triptane eingesetzt. In der Selbstmedikation stehen hier Almotriptan und Naratriptan zur Verfügung, die jedoch erst nach Diagnosestellung durch einen Arzt abgegeben werden dürfen. Triptane haben allgemein eine gefäßverengende Wirkung, die den Effekt auf den Migränekopfschmerz erklärt. Sie sind keine Schmerzmittel, daher ist ihr Einsatz bei Spannungskopfschmerz meist wirkungslos. Aufgrund ihrer Wirkung auf den Körper gibt es daher einige Kontraindikationen und Anwendungsbeschränkungen. Besonders Patienten mit hohem Blutdruck, Durchblutungsstörungen oder koronaren Beschwerden sind hier gefährdet. Bei Anwenderinnen oraler Kontrazeptiva erhöht sich die Gefahr eines Schlaganfalls. Für diese Gruppe schließt sich eine Selbstmedikation daher aus, ebenso wie für Senioren über 65 Jahren, für die Triptane sogar verschreibungspflichtig sind sowie bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Kontraindiziert sind Triptane bei Leber- und Niereninsuffizienz.
Die Wirkung von Naratriptan setzt später ein als die von Almotriptan, hält dafür aber länger an. Der Wirkeintritt wird hier mit vier Stunden, im Gegensatz zu Almotriptan mit etwa 45 Minuten angegeben. Wer also eher zu kürzeren und heftigen Attacken neigt, der ist mit Almotriptan besser beraten, bei erfahrungsgemäß lang andauernden Episoden ist Naratriptan das Mittel der Wahl. Bei gleichzeitig auftretender Übelkeit zeigt Naratriptan eine bessere Wirkung, was möglicherweise der Hemmung der Aktivität von Trigeminus-Neuronen liegen könnte. Allgemein liegt die Tageshöchstdosis für beide Wirkstoffe bei zwei Tabletten. Almotriptan ruft unter den Triptanen die wenigsten Nebenwirkungen hervor. Der Einnahmezeitpunkt ist bei beiden Wirkstoffen wichtig. Dabei gilt: je früher desto besser, am sinnvollsten bereits bei den ersten Anzeichen eines Kopfschmerzes. Im Prodromalstadium oder während der Aura wird die Anwendung nur bedingt empfohlen, da nicht jeder Patient sicher einschätzen kann, ob sich auch eine Migräne entwickeln wird.
Als nächstes wird wohl Sumatriptan aus der Verschreibungspflicht entlassen, denn der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht hat dies im Juli 2019 empfohlen. Der Wirkeintritt ist mit etwa einer halben Stunde sogar etwas schneller als Almotriptan, das Wirkmaximum wird nach etwa 2 Stunden erreicht. Um die Gefahr eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes zu verringern, wird in der Leitlinie bei Triptanen von nicht mehr als zehn Einnahmetagen pro Monat und nicht länger als drei Monate hintereinander in dieser Hochdosis gesprochen. Triptane können mit NSAR kombiniert werden, jedoch sollte man verschiedene Triptane nicht zusammen einnehmen. Bei besonders lang andauernden Attacken empfiehlt die Leitlinie eine Einnahme von Naproxen zusätzlich zu einem Triptan.
Um die individuell passende Therapie in der Selbstmedikation zu finden, kann man die Patienten auf die Führung eines Schmerztagebuches hinweisen. Hier können Trigger eingetragen und die Dauer und Häufigkeit der Attacken vermerkt werden. Dies dient auch zur Prophylaxe der Migräneattacken, die besonders bei Betroffenen sinnvoll ist, die mehrfach im Monat daran leiden. So wird abgewogen, ob man besser mit ASS, NSAR oder Triptanen behandelt. Zusätzlich lässt sich hier eintragen, wie häufig überhaupt Medikamente gegen die Migräneattacken eingenommen werden, auch zur Absicherung gegen medikamenteninduzierte Kopfschmerzen.
Bei diesem Gespräch könnte man im Sinne der Früherkennung auch auf die Erkrankungen eingehen, die bei Migränepatienten oft noch zusätzlich auftreten. Das sind vor allem Depressionen, Schlaganfälle, arterielle Hypo- und Hypertonie, Angststörungen, kardiovaskulare Erkrankungen, Allergien und gastrointestinale Störungen. Wie eingangs erwähnt kommt nun auch die Aufklärung über das erhöhte Auftreten der Alzheimer-Krankheit hinzu. Als nichtmedikamentöse Maßnahme wird in der S1-Leitlinie Sport an der frischen Luft und progressive Muskelentspannung empfohlen. Akupunktur scheint einer Scheinakupunktur „marginal überlegen“ zu sein.
Bildquelle: Quin Stevenson, unsplash