Immer mehr Eltern ernähren sich und ihre Kinder vegan. Das ist auch in der Apotheke oft Thema. Was ich Kunden rate.
Im August machte ein Ehepaar aus Sydney Schlagzeilen. Der Grund: Wegen der rein veganen Ernährung ihrer kleinen Tochter standen die Australier vor Gericht. Im Alter von 19 Monaten habe das Baby einen Entwicklungsstand wie ein dreimonatiges Kind, wurde im Rahmen des Prozesses festgestellt. Ins Gefängnis musste das Paar nicht, der Fall löste aber trotzdem weltweite Diskussionen aus. Die Eltern hätten die vegane Ernährung nur falsch umgesetzt, so Christian Vagedes, Vorsitzender der Veganen Gesellschaft Deutschland in der Süddeutschen Zeitung.
Aber ist eine vegane Ernährung von Babys und Kleinkindern möglich – und kann das überhaupt gesund sein? Längst hat der Vegan-Trend auch Einzug in die Apotheken gehalten. Nicht nur die eigene Kost ist für diese ganz bestimmte Kundengruppe von großer Bedeutung, auch der Nachwuchs wird mitunter vegan erzogen.
Es ist keine Seltenheit mehr, dass Veganer nach Arzneimitteln fragen, die zu ihrem Lebenskonzept passen. Denn für sie ist die Apotheke eine wichtige Anlaufstelle, um zu erfahren, welche Supplemente sinnvoll sind oder ob ein bestimmtes Präparat für die vegane Ernährung geeignet ist. Überzeugte Veganer geben ihre Lebensphilosophie häufig bewusst, aber auch unbewusst an ihre Kinder weiter. So kommt es vor, dass vegan lebende Schwangere auch nach der Geburt und in der Stillzeit auf jegliche tierische Bestandteile verzichten.
Ob Tierwohl, Umweltschutz oder Erkrankungen – die Gründe hierfür sind vielfältig. „Wir Deutschen essen und kaufen immer bewusster ein“, heißt es im Ernährungsreport 2019, der im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) herausgegeben wird. Daraus geht unter anderem hervor, dass rund jeder Vierte den Lebensmitteln, die auf dem Markt sind, eher nicht vertraut.
Dazu zählt auch Daniela Alami Marouni, eine Kundin unserer Apotheke, die vor acht Monaten ihren Sohn auf die Welt gebracht hat. „Die Qualität der tierischen Nahrungsmitteln hat im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten sehr abgenommen. Tiere werden mit Antibiotika vollgepumpt, Hühner werden gezwungen, auf engstem Raum viele Eier zu legen und auch in der Milchindustrie sieht es nicht viel besser aus. Das alles kann doch nicht gesund für den Menschen sein“, kritisiert die 31-Jährige. „Deshalb möchte ich das meinem Körper und auch meinem Kind nicht antun.“
Doch eine rein vegane Ernährung während der Schwangerschaft, Stillzeit und im Kindesalter kann negative Konsequenzen für den Nachwuchs haben. Beispielsweise kann der Verzicht auf tierische Lebensmittel zu einer Unterversorgung mit Vitamin B12 führen, was Nervensystem und Gehirn schädigt. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ist die Wahrscheinlichkeit einer Unterversorgung beziehungsweise eines Mangels umso größer, je stärker die Lebensmittelauswahl eingeschränkt wird.
Die Experten der DGE betrachten außerdem unentbehrliche Aminosäuren und langkettige n-3-Fettsäuren sowie Mineralstoffe (Calcium, Eisen, Jod, Zink, Selen) und Vitamine (Riboflavin, Vitamin D) als potenziell kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung: „Mit dem Verzicht auf jegliche tierische Lebensmittel erhöht sich daher das Risiko für Nährstoffdefizite und damit für Gesundheitsstörungen. Aus diesem Grund wird eine vegane Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindes- und Jugendalter von der DGE nicht empfohlen“, so das Statment der Experten.
Und auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) hält fest: „Restriktive Ernährungsformen bringen umso größere Risiken für die Entwicklung von Nährstoffdefiziten mit sich, je stärker das Lebensmittelsortiment eingeschränkt wird. Eine vegane Ernährung (ohne Zufuhr tierischer Lebensmittel) führt ohne konsequente Supplementierung über einen längeren Zeitraum regelmäßig zu einem Mangel an Vitamin B12.“
Viele Studien zum Thema vegane und vegetarische Ernährung bei Kindern gibt es nicht. Eine größere deutsche Studie, die den Energie- und Nährstoffgehalt von veganer und vegetarischer Kost bei Ein- bis Dreijährigen analysiert hat, kommt aber zu einem positiven Ergebnis. Den Autoren der VeChi-Studie (Vegetarian and Vegan Children Study) zufolge ist eine vegane Ernährung problemlos möglich und führt auch zu einem normalen Wachstum, wenn die Kinder die notwendigen Vitamine und Nährstoffe in ausreichender Menge einnehmen. Einen signifikanten Unterschied zu Kindern, die auch Fleisch essen, konnten die Wissenschaftler nicht feststellen.
Hier sollte allerdings einschränkend festgehalten werden, dass sie sich dabei auf die Daten von 450 Kindern berufen, deren Nährmittel über einen jeweils drei Tage langen Zeitraum gewogen und in einem Tagebuch festgehalten wurden. Es wurden also nur sehr kurze Lebensmitteltagebücher für relativ wenige Probanden geführt. Die Aussagekraft einer solchen Analyse ist wohl fraglich. Dazu kommt ein Interessenskonflikt einer der Autoren, der als Mitglied des Scientific Advisory Board of ProVeg Germany gelistet ist.
Alami Marouni, unsere Kundin vom Beispiel oben, bleibt von ihrem Ansatz überzeugt. Sie konzentriert sich sogar beruflich auf Fitness und vegane Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit. „Mein Sohn ist kerngesund und auf Anraten der Kinderärztin gebe ich ihm nur Vitamin D3.“ Während der Schwangerschaft habe sie lediglich Nährstoff-Kapseln mit Jod, Vitamin B12 und Omega-3-Fettsäuren aus Algen zugeführt und ihren Bedarf an Proteinen über hochwertige pflanzliche Quellen gedeckt. „Meine körperliche Fitness und Gesundheit wurden mir auch von meiner Gynäkologin bescheinigt.“
Wie aus dem Apothekenalltag bekannt ist, sind Veganer wie sie in Ernährungsfragen oftmals gut informiert. Erschreckende Beispiele wie das australische Ehepaar bezeugen allerdings auch das Gegenteil. Insbesondere in Bezug auf Supplemente vertrauen viele Kunden aber der Kompetenz der Apotheker und PTA. Eine Fortbildung auf diesem Gebiet ist also für jeden von uns sinnvoll, denn es ist stark davon auszugehen, dass die Fragen rund um vegane Ernährung und Arzneimittel in Zukunft eher zunehmen werden. Dennoch muss man sich sicher fragen, wie viel natürlicher und gesünder ein ärztlich streng überwachtes und von Supplementeinnahme geprägtes Aufwachsen wirklich ist.
Bildquelle: Patrick Fore, Unsplash