Was auf molekularer Ebene im Gehirn depressiver Menschen abläuft, ist bisher kaum erforscht. Neurophysiologen haben jetzt mehr herausgefunden.
Depression ist eine häufig unterschätzte, schwere seelische Erkrankung. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit mehr als 300 Millionen Menschen betroffen. In Deutschland leiden etwa 5,4 Millionen Menschen unter depressiven Störungen.
Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass bei Depressionen bestimmte, typische Veränderungen im Gehirn vorliegen. Dabei scheinen Neurotransmitter wie Serotonin aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Die genauen molekularen Abläufe im Gehirn Betroffener sind bislang jedoch nur unzureichend erforscht.
Ein Team um Prof. Evgeni Ponimaskin vom Institut für Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat jetzt gezeigt, dass die Fettsäure Palmitat offenbar eine entscheidende Rolle spielt. „Fehlt die Fettsäure, funktioniert ein wichtiger Serotoninrezeptor nicht mehr richtig“, sagt der Neurophysiologe.
Die Forscher der MHH haben nicht nur das zuständige Enzym gefunden, das Palmitat auf den Serotonin-Rezeptor überträgt. Sie konnten auch die Steuerungsmechanismen identifizieren, die für eine genaue Diagnose und Therapie entscheidend sein könnten. Die Forschungsergebnisse der internationalen Studie sind jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.
„Bisher ist die Behandlung von Depressionen leider sehr unspezifisch“, sagt Ponimaskin. Medikamente, die den Serotoninspiegel erhöhen, zeigen bei etwa 40 Prozent der Patienten gar keine Wirkung und haben oft schwere Nebenwirkungen. Mitunter verstärken sie das Krankheitsbild sogar. Das ist gefährlich, denn ein sehr häufiges Symptom bei Depression sind Suizidgedanken. „In Deutschland sterben jährlich etwa 10.000 Menschen durch Selbsttötung, wobei die Zahl der Suizidversuche schätzungsweise 15- bis 20-mal höher ist“, so Ponimaskin.
Um den fatalen Folgen depressiver Störungen auf die Spur zu kommen, haben die Neurophysiologen die Rolle des Palmitats und der dazugehörigen Steuermechanismen unter anderem in Zellkulturen sowie im Gehirn von Mäusen und Ratten untersucht. Dank einer Kooperation mit einer psychiatrischen Klinik in den USA konnten sie aber auch Gehirnproben von Suizidtoten, die an einer Depression erkrankt waren, analysieren.
„In unserer Studie haben wir gezeigt, dass die natürlich vorkommende Modifikation des Serotoninrezeptors 5-HT1ARs mit der Fettsäure Palmitat für die physiologischen Rezeptorfunktionen unbedingt notwendig ist“, erklärt Ponimaskin. Wenn diese Modifikation fehlt, kann der Rezeptor nicht mehr aktiviert werden.
Auch das zuständige Enzym, welches Palmitat auf den Rezeptor überträgt, haben die MHH-Forscher identifiziert. In zwei verschiedenen Nagetiermodellen konnten sie eine verringerte Expression dieses Enzyms sowie eine stark abgeschwächte Modifikation des 5-HT1AR mit dem Palmitat nachweisen. Wird das Enzym etwa im Vorderhirn von Mäusen selektiv ausgeschaltet, entwickeln die Tiere spontan ein sehr starkes depressionsähnliches Verhalten.
Auf der Suche nach Mechanismen, die die genetische Umsetzung des Enzyms steuern, hat das Forscherteam in Kooperation mit Prof. Thomas Thum, Leiter des Instituts für Molekulare und Translationale Therapiestrategien an der MHH, einige regulatorische Moleküle – sogenannte MicroRNAs – identifiziert. Diese waren im Gehirn von Suizidtoten deutlich häufiger zu finden als bei Gesunden. Gleichzeitig war die Expression des Palmitat-übertragenden Enzyms sowie der Grad der Modifikation des 5-HT1ARs mit dem Palmitat verringert.
„Als nächstes hoffen wir, einen passenden Biomarker zu finden, um suizidales Verhalten früh identifizieren zu können“, sagt Ponimaskin. In Zusammenarbeit mit Prof. Kai Kahl, geschäftsführender Oberarzt an der MHH-Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, soll ein Bluttest entwickelt werden, der suizidale Neigungen bei depressiven Patienten frühzeitig zu erkennen hilft.
Langfristig wollen Ponimaskin und sein Team außerdem eine MicroRNA-basierte Therapie entwickeln, mit deren Hilfe Depressionen künftig spezifisch und erfolgreich behandelt werden können.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Medizinischen Hochschule Hannover
Bildquelle: Robina Weermeijer, Unsplash