Lange Jahre schlummerten Zika-Viren im Dornröschenschlaf, wenig beachtet von der Wissenschaft. Jetzt geht es im Eiltempo von Land zu Land. Mit der früher beschriebenen Harmlosigkeit ist es auch dahin. Zeit für eine Neubewertung.
Senegal, 2008. Brian Foy und Kevin Kobylinski, Insektenkundler der Colorado State University, wussten nicht, wie ihnen geschah. Nach einem Forschungsaufenthalt litten sie an geschwollenen Gelenken, Kopfschmerzen und Hautausschlägen. Die Symptome passten zu keiner bekannten Virusinfektion – vor allem aufgrund des milden Verlaufs. Ein Jahr später trafen Foy und Kobylinski zufällig Andrew Haddow, der als Virologe an der University of Texas forscht. Er tippte auf Zika-Viren und fand passende Antikörper im Blut seiner Patienten. Haddow zufolge kam es in Afrika 50 Jahre lang zu sporadischen Erkrankungen, ohne dass sich die wissenschaftliche Welt groß dafür interessiert hätte.
Mittlerweile hat sich die Situation grundlegend geändert. Seit acht Jahren erkranken in Südostasien und auf den pazifischen Inseln mehr und mehr Patienten. Gesundheitsbehörden zufolge waren in Französisch-Polynesien zwischen 2013 und 2014 rund 30.000 Menschen betroffen, also jeder zehnte Bewohner. Dank der Fußball-Weltmeisterschaft vom 12. Juni bis zum 13. Juli 2014 erreichten besagte Erreger auch Brasilien [Paywall]. Mitte Mai 2015 bestätigte das Gesundheitsministerium Verdachtsfälle aus etlichen Provinzen des Landes. Im Juli war von 40 labordiagnostisch bestätigten Fällen die Rede, Anfang Dezember sogar von 739. Zika-Viren eroberten kurz darauf Kolumbien und Panama. Anfang November gab es dort bereits 110 bestätigte Infektionen. Duane Gubler, Leiter des „Program on Emerging Infectious Diseases“ an der Duke University-National University of Singapore, erwartet früher oder später Ausbrüche im Süden der USA und in Südeuropa.
Er argumentiert mit der Ausbreitung von Aedes-Mücken, den Hauptvektoren von Zika-Viren. Das Pathogen selbst gleicht bekannteren Flaviviren wie dem Dengue-, West-Nil-, Gelbfieber- oder dem Japan B-Encephalitis-Virus. Nach einer Inkubationszeit von zwölf Tagen leiden Patienten an Kopf- und Gelenkschmerzen, Fieber, Schüttelfrost und einem allgemeinen Krankheitsgefühl. Als typische Symptome kommen makulopapulöse Exantheme und Konjunktivitiden mit hinzu. Die Infektion klingt häufig von selbst wieder ab; viele Fälle verlaufen symptomlos. Doch der Schein trügt. In Brasilien häufen sich kongenitale Mikrozephalien bei ungeborenen Kindern. Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang zwischen Infektionen während der Schwangerschaft und Fehlbildungen des Zentralnervensystems. Mehrfach fanden sie im Blut und im Gewebe von Babys Hinweis auf das Zika-Virus. Aus Sicht des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) fehlen Beweise; die Kausalität gilt jedoch als recht wahrscheinlich. Bis zur Abklärung wollen Behörden nicht warten. Sie haben jetzt 25.000 Soldaten in den Nordosten Brasiliens geschickt, um Aedes aegypti zu dezimieren. Ob die Maßnahme großen Erfolg bringt, darf bezweifelt werden. Jede Pfütze, jeder Tümpel, jeder alte Autoreifen mit Wasser wird zur Brutstätte für Plagegeister. Forscher arbeiten an transgenen, sterilen Mücken oder versuchen, mit Wolbachia-Bakterien die Übertragung von Viren zu unterbinden. Das kann dauern.
Mücken sind ohnehin nur ein Teil des Problems, wie weitere Studien belegen. Didier Musso, Virologe am Institut Louis Malardé, Tahiti, untersuchte 593 Proben von Blutspendern. Per ELISA fand er bei 80 Prozent aller Tests Antikörper gegen das Dengue-Virus, das Zika-Virus, das Japan B-Encephalitis-Virus oder das West-Nil-Virus. Ärzte fordern jetzt, die Transfusionsmedizin in den betroffenen Ländern gründlich zu überwachen und weitere Übertragungswege zu untersuchen. Wie Musso herausfand, kam es nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr in Einzelfällen ebenfalls zur Infektion. Forschern gelang es, Viren im Sperma nachzuweisen. Sie betreten Neuland, wie eine Recherche bei PubMed zeigt. Mitte Dezember gab es zu „Zika“ lediglich 214 Veröffentlichungen, zu „Dengue“ aber 14.700. Um alle Neuinfektionen statistisch zu identifizieren, haben WHO-Experten entschieden, einen für Notfälle reservierten ICD-10-Code zu verwenden. Ab sofort steht U06 für die Zika-Viruskrankheit und U06.9 für die „Zika-Viruskrankheit, nicht näher bezeichnet“. Alle Änderungen greifen bis auf Widerruf sowohl für die ICD-10-WHO als auch für die ICD-10-GM. Zum Hintergrund: Die Weltgesundheitsorganisation bewertet einer Stellungnahme zufolge nicht HIV, Tuberkulose, Malaria, Influenzaviren oder Dengue als größte Gefahren aus epidemiologischer Sicht, sondern das Ebola- und das Marburg-Fieber, MERS, SARS, aber auch das Zika-Fieber. Alle Erreger hätten Potenziale, jederzeit weitere Epidemien auszulösen, schreiben Virologen. Reisende sollten bekannte Schutzmaßnahmen wie helle, körperbedeckende Kleidung und Repellentien mit Diethyltoluamid (DEET) einpacken. Impfstoffe gibt es bislang nicht. Schwangeren bleibt nur, die Region – falls möglich – zu meiden.