Der diesjährige ESC wird uns noch lange beschäftigen. Nein, hier wird nicht die Punktevergabe des letzten Songcontests diskutiert. Kardiologe Dr. Stefan Waller stellt seine Highlights vom Kongress der European Society of Cardiology vor.
Während wir, was die Behandlung der systolischen Herzschwäche angeht, mit immer neuen medikamentösen und technischen Errungenschaften einen Therapieerfolg nach dem anderen abfeiern, warten wir auch nach Paris weiter auf den lange ersehnten Therapiedurchbruch bei der diastolischen Herzschwäche.
Aber die guten Nachrichten vorweg: Nachdem bereits seit der EMPA-REG-OUTCOME-Studie bekannt war, dass wir mit dem SGLT-2-Hemmer Empagliflozin nun endlich auch eine Wirkstoffklasse gefunden haben, die nicht nur Blutzuckerkosmetik betreibt, sondern bei Diabetikern tatsächlich auch „harte kardiovaskuläre Endpunkte“ signifikant senken kann, war die Neugierde groß, ob sich ein ähnlicher Klasseneffekt der SGLT-2-Hemmer auch bei Nicht-Diabetikern mit einer systolischen Herzschwäche zeigen würde.
Diese Hoffnung wurde mit Dapagliflozin in der DAPA-HF-Studie erfüllt: Klinikeinweisungen wegen dekompensierter Herzinsuffizienz und die kardiovaskuläre Mortalität wurden signifikant um 26 % reduziert (dekompensierte Herzinsuffizienz um relativ um 30 %, kardiovaskuläre Mortalität um 18 %), und das sogar bei einem bereits exzellent medikamentös vorbehandelten Studienkollektiv!
QUELLE: McMurray P.: DAPA HF The Dapagliflozin And Prevention Of Adverse-outcomes In Heart Failure Trial, vorgestellt in der Sitzung “Hot Line 1” beim beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August – 4. September 2019, Paris
Erneut enttäuscht wurden die Hoffnungen auf eine wirksame Therapie der diastolischen Herzschwäche: In der Paragon-Studie konnte der neue Blockbuster in der Behandlung der systolischen Herzschwäche Entresto (Sacubitril/Valsartan) bei der kleinen Schwester, der diastolischen Herzinsuffizienz, nicht auf voller Linie überzeugen.
4.822 Patienten mit einer Ejektionsfraktion ≥ 45 % wurden untersucht und ein statistisch signifikanter Wirksamkeitsnachweis in Bezug auf den primären Endpunkt (kardiovaskulärer Tod oder stationäre Aufnahme wegen Herzschwäche) knapp verfehlt. Allerdings zeigten sich positive Trends und bestimmte Patientensubgruppen könnten wohl doch profitieren: Patienten mit einer leicht eingeschränkten systolischen Pumpfunktion (EF zwischen 45 % und 57 %) zeigten eine signifikante relative Risikosenkung um 22 % im Vergleich zur Valsartan-Behandlung. Die Hoffnung stirbt zuletzt…
Neuigkeiten bei der koronaren Herzkrankheit und in der interventionellen Kardiologie?
Freuen konnten sich dieses Jahr die interventionell tätigen Kardiologen, die ja zuletzt viel einstecken mussten, rückten doch Studien wie ORBITA die „Katheterkunst“ bei stabiler KHK in die Nähe einer Placebobehandlung.
In der COMPLETE-Studie konnte nun gezeigt werden, dass entgegen meinem persönlichen Lebensmotto (weniger ist mehr) manchmal eben wohl doch auch mehr mehr bringt: Beim akuten Hebungsinfarkt (STEMI) ist die komplette Revaskularisation mit interventioneller Versorgung von sämtlichen relevanten Koronarstenosen auch über die Infarktarterie („culprit-lesion“) hinaus scheinbar die bessere Wahl.
Hierdurch liessen sich erneute kardiovaskuläre Ereignisse (kardiovaskulär verursachter Tod und Myokardinfarkt) in den folgenden 3 Jahren um ein Viertel (26 %) senken, wobei hier die Reduktion von erneuten Infarkten der „driver“ war, bzgl. der kardiovaskulären Mortalität konnte kein relevanter Unterschied dokumentiert werden.
QUELLE: Mehta S. R.: COMPLETE Revascularisation with Multivessel Percutaneous Coronary Intervention in Elevation Myocardial Infarktion ST-segment. vorgestellt in der Sitzung “Hot Line 1” beim beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August – 4. September 2019, Paris; Mehta S. R. et al.: Complete Revascularization with Multivessel PCI for Myocardial Infarction, N Engl J Med 2019, online 1. September 2019. DOI: 10.1056/NEJMoa1907775
Interessantes gab es auch von der medikamentösen Behandlung des ACS: Während hier bislang ja eher von einer Gleichwertigkeit der „neueren“ Plättchenhemmer Ticagrelor und Prasugrel ausgegangen wurde und man ja mit letzterem aufgrund der vermuteten höheren Blutungsgefahr im klinischen Einsatz bei bestimmten Patientengruppen eher mal vorsichtiger war, zeichnete sich in der ISAR-REACT-5-Studie ein überraschender Vorteil von Prasugrel ab.
Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) mit oder ohne ST-Streckenhebung und geplanter invasiver Behandlung wurde durch Prasugrel innerhalb eines Jahres signifikant stärker als durch Ticagrelor reduziert.
Der gemeinsame Endpunkt (Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall) wurde unter Ticagrelor relativ um 36 % häufiger erzielt als im Prasugrel-Patienten-Kollektiv. Die stärkere antiischämische Schutzwirkung von Prasugrel wurde interessanterweise nicht wie erwartet mit einen erhöhten Blutungsrisiko erkauft.
Wir können also gespannt sein, ob Prasugrel die first line medikamentöse Plättchenhemmung beim ACS wird und ob die Leitlinienempfehlungen hier entsprechend angepasst werden.
QUELLE: Schüpke S.: ISAR-REACT 5 - Ticagrelor versus Prasugrel in Patientes with Acute Coronary Syndrom. Vorgestellt in der Sitzung “Late-breaking Clinical Trials 2” beim beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August – 4. September 2019, Paris; Schüpke S.et al.: Ticagrelor or Prasugrel in Patients with Acute Coronary Syndromes, N Engl J Med 2019, online 1. September. DOI: 10.1056/NEJMoa1908973
Daneben wurden auch 3 neue Leitlinien großer Volkserkrankungen vorgestellt, nämlich zur KHK, der Therapie der Dyslipdiämien und des Diabetes mellitus, und das mit Änderungen, die unser tgl. therapeutisches Handeln verändern werden:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
welche Studien haben Sie bewegt, was habe ich vergessen? Ich freue mich über Ihren Input und eine angeregte Diskussion.
Dr. Waller ist Internist und Kardiologe und klärt als „Dr. Heart“ auf Youtube und über seine Dr.-Heart-Webseite in einfachen Worten zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und gesundem Lebensstil auf.
Bildquelle: Matthias Wagner, Unsplash