Einem Diabetiker pauschal zum Abnehmen zu raten, ist nicht immer der richtige Weg. Wie ich als Diabetologe gemeinsam mit meinen Patienten die beste Therapieform finde.
Wenn ich Patienten nicht kenne, stelle ich eine offene Frage zum Anfang, die in keine Richtung geht. Einfach nur: „Erzählen Sie mal.“ Patienten sind dann oft etwas verwirrt, was sollen sie denn sagen? Das Wichtigste zuerst, sage ich dann, danach sage ich nix mehr. Patienten können dann oft den wichtigsten Teil ihrer aktuellen Situation in 2-3 Sätzen formulieren.
Zum Beispiel ist bei einem vielleicht gerade die Frau gestorben, einen anderen macht der Zucker fertig und so weiter. Das gibt mir die Möglichkeit, einzuschätzen, welche Bedeutung der Patient den gesundheitlichen Aspekten gerade einräumt und was er an Motivation mitbringt. Denn Motivation ist von selber da, die muss jeder mitbringen. Man kann nicht Motive streuen, die nicht von vorneherein da wären. Es ist wichtig zu wissen: Was treibt den Patienten innerlich an?
Wichtig ist aber aus meiner Sicht auch: Was für ein Gesundheitsversprechen kann ich überhaupt formulieren? Vermeiden von Komplikationen der Therapie, zum Beispiel Unterzucker oder sehr hohe Werte, das wäre mein Basis-Leistungsversprechen. Lohnt es sich, etwas zu unternehmen, um Folgeerkrankungen zu verhindern? Das ist stark von der Situation des Patienten abhängig, vom Alter und anderen Krankheiten. Wie viel Gesundheit kann überhaupt über eine Regulierung des Blutzuckers erreicht werden? Es ist eine Mischung aus der Perspektive des Patienten und dem, was wir medizinisch erreichen können, die dann entsteht.
Ein Beispiel dafür ist der Grad der medikamentösen Therapie. Seit ein paar Jahren sind gezielt gewichtsreduzierende Medikamente einsetzbar, das gab es traditionell so nicht. Jede Behandlung, die den Zucker verbessert, hat bisher auch das Gewicht gesteigert, Stichwort Glukosurie. Das Essverhalten der Patienten war dann oft auf den Stand vor der Therapie eingependelt. Das gab natürlich Probleme, denn das ist wie, wenn man mit dem Rauchen aufhört und auf einmal auseinander geht – weil die Bilanz nicht mehr stimmt. Jetzt haben wir aber eben Medikamente, die eine Gewichtsreduktion erleichtern.
Man kann auch mit Schulungen gut Einfluss nehmen. Patienten sind da sehr unterschiedlich, wie sie das in ihr Leben einbauen. Jeder Mensch mit Gewichtsproblemen trägt den Wunsch nach Gewichtsverlust auf den Lippen, aber will es dann doch nicht immer. Dünner werden heißt auch Falten bekommen und auf der Straße angesprochen werden. Das kann schon mal wenig charmant sein, so in Richtung: „Wie siehst du denn aus, hast du Krebs?“ Und ja, das kommt auch von Freunden, das Umfeld ist da nicht immer nett.
Wie sehr will der Patient etwas wirklich – das versuche ich, in solchen Momenten herauszukitzeln. Wie realistisch ist es zum Beispiel für den Patienten, Gewicht zu verlieren? Man kann auch nach Schulungen und weiteren Maßnahmen fragen. Ich will so herausfinden, ob Waffen wie Medikamente und Schulungen hier wirkungs- und sinnvoll sind. Oft ja, aber nicht immer.
Auf der Basis dieser Informationen kommen dann Therapiestrategien zusammen. Was ich aber hasse, ist der Begriff Lifestyle-Änderung. Kein Mensch will das, eine Veränderung des Lebensstils. Denn den Lebensstil hat ja kein Mensch umsonst, das hat jeder sich so zurechtgelegt und eingerichtet.
Dort ansetzen zu wollen ist zwar gängig, aber man muss so ein Vorgehen hinterfragen. Vielleicht wurde da jemand durch die Arbeit in einen Lebensstil gedrängt, bei dem er tagsüber nix isst und abends dann viel. Vielleicht tröstet er sich mit dem Essen oder versucht, schläfriger zu werden. Auch Alkohol und Genussmomente spielen da gerade abends eine Rolle.
Dann muss der Arzt mit dem Patienten besprechen, wie so eine Situation entstanden ist – will der Betroffene das überhaupt so? Will er einfach so weitermachen und, hart gesagt, mit 60 sterben oder will er noch was vom Leben haben? Von außen hier mit Lifestyle-Änderung zu kommen, ist völlig idiotisch, das kriegt man nicht verkauft.
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