Schon lange ist bekannt, dass Lärm den Stresspegel erhöht und auch krank machen kann. Die NORAH-Studie untersuchte diesen Zusammenhang genauer und kam in Teilen zu anderen Ergebnissen. Wissenschaftler üben jedoch harsche Kritik an der Studie.
Im Oktober 2015 erschien die Lärmwirkungsstudie NORAH (Noise-Related Annoyance, Cognition, and Health) unter der wissenschaftlichen Leitung der Ruhr-Uni Bochum. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand dabei die Frage, wie sich Lärm – insbesondere Emissionen aus Flug-, Schienen- und Straßenverkehr – auf die Gesundheit und Lebensqualität der Bewohner besonders betroffener Regionen auswirkt. Erarbeitet wurde die Studie in Zusammenarbeit mit einem wissenschaftlichen Konsortium, bestehend aus verschiedenen Forschungseinrichtungen aus Fachbereichen der Medizin, Physik, Psychologie, Sozialwissenschaft und Akustik. Kerngebiet der Untersuchung war das Rhein-Main Gebiet, insbesondere um den Flughafen Frankfurt. Zusätzlich befragten die Forscher auch mehrere Tausend Menschen aus Regionen mit ebenfalls hohen Lärmpegeln, wie um die Flughäfen Köln/Bonn und Berlin/Brandenburg sowie im Umkreis des Stuttgarter Flughafens. Die NORAH-Studie untergliedert sich in fünf Teilstudien zu folgenden Bereichen:
Die NORAH-Wissenschaftler bezogen Krankheitsdaten von etwa einer Million Menschen in die Studie mit ein, außerdem berechneten sie die Lärmbelastung an rund 900.000 Adressen im Rhein-Main Gebiet. Die Studie wurde von der gemeinnützigen Umwelthaus GmbH in Auftrag gegeben, einer Tochter des Landes Hessen und Bestandteil des Forums Flughafen und Region. Die NORAH-Studie erntete von Seiten zahlreicher Wissenschaftler heftige Kritik, da sie Gesundheitsrisiken durch Fluglärm niedriger einstuft als bisher allgemein angenommen. Vor allem die Ergebnisse der Teilstudie zum Thema Blutdruck zweifeln einige Experten stark an.
Dass Lärm krank machen kann, ist eigentlich ein alter Hut. Lärm produziert Stress, er aktiviert das autonome Nervensystem und verstärkt die Ausschüttung von Stresshormonen wie Katecholaminen und Kortisol. Kreislauf- und Stoffwechselfunktionen unterliegen der neuronalen und hormonellen Steuerung, sodass Stressreize verschiedene Störungen hervorrufen können. Zu den bekannten möglichen Folgen dauerhafter Lärmexposition zählen unter anderem Änderungen bestimmter Blutwerte (Blutfette, Glukosespiegel), aber auch kardiovaskuläre Risiken. So zeigte zum Beispiel das Forschungsprojekt des Bundesumweltamtes „Epidemiologische Untersuchungen zum Einfluss von Lärmstress auf das Immunsystem und die Entstehung von Arteriosklerose“, dass Menschen in lärmbelasteten Wohngebieten ein nahezu doppelt so hohes Risiko für Bluthochdruckerkrankungen hatten wie Menschen in ruhigeren Wohnlagen. Auch konnten Studien ein erhöhtes Herzinfarktrisiko mit der Lärmbelastung in Zusammenhang bringen.
Die Ergebnisse einiger Teilstudien der kürzlich erschienen NORAH-Studie bestätigen überwiegend den bisherigen Wissenstand von Lärmauswirkungen. So zeigte sie unter anderem eine Assoziation zwischen Lärm und einem erhöhten Risiko diverser Erkrankungen wie Myokardinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz und Depressionen, wobei das Risiko sich je nach Lärmart (Flug-, Straßen-, Schienenverkehr) und Krankheitsbild unterschied. Auch in den Studienteilen über kognitive Leistungsfähigkeit bei Kindern sowie auch über Schlaf- und Lebensqualität ließen sich die negativen Auswirkungen von Lärm nachweisen. Erstaunlicherweise widersprachen die Studienergebnisse in puncto Blutdruck jedoch den bisherigen Erkenntnissen. Laut NORAH ließ sich statistisch nicht sicher bestätigen, dass Fluglärm den Blutdruck erhöhe. Auch für Straßen- und Schienenverkehrslärm konnten die Forscher keine signifikante Auswirkung auf den Blutdruck feststellen. Dieses Ergebnis zweifeln nun zahlreiche Fachleute, darunter auch Prof. Thomas Münzel, Leiter der Kardiologischen Klinik der Uniklinik Mainz, an: Zahlreiche Studien belegten das Gegenteil, so Münzel. Auch Prof. Martin Kaltenbach, bis 1993 Chef der Kardiologie am Frankfurter Uniklinikum, hegt deutliche Zweifel an dem Ergebnis dieser Teilstudie. „Ich habe selbst schon eine Studie durchgeführt, die einen deutlichen Einfluss von Lärm auf den Bluthochdruck gezeigt hat. Zu diesem Ergebnis kommen auch andere nationale und große internationale Studien, die fast unisono herausgefunden haben, dass vor allem nächtlicher Fluglärm ein Risikofaktor für die Entstehung einer chronischen Blutdruckerhöhung ist“, argumentiert Prof. Kaltenbach. Doch nicht nur an dem Ergebnis stört sich der Kardiologe, auch die Methodik der Lärmstudie stößt ihm auf: „Es gibt erhebliche Schwächen. Die Messdaten sind unbrauchbar, weil den Probanden für die Selbstmessung des Blutdrucks, gemäß der in der Studie erhaltenen Abbildung, die Manschette am Ellbogen anstatt am Oberarm und zudem über ein Kleidungsstück angelegt wurde. Dass das falsch ist, lernen schon Medizinstudenten.“ Darüber hinaus sieht Prof. Kaltenbach noch weitere Fehler im Studienaufbau: „In der kompletten Studie fehlte eine Referenzgruppe, sprich: Probanden, die nicht lärmbelastet sind. Außerdem sind die Angehörigen der Oberschicht mit statistisch höherem Gesundheitsniveau überrepräsentiert.“ Zudem kritisiert der Kardiologe weiter, dass man Menschen mit der Studie betraut hätte, die zu der klinischen Medizin und dem Gebiet der im Vordergrund stehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen keine Beziehung hatten. Es sei für ihn der Eindruck entstanden, als wollten die Auftraggeber nur diese Gruppe haben. Auch kritisieren einige Wissenschaftler die Vorgehensweise bei der Teilstudie zur Schlafqualität. Hier habe man die Auswahl der Befragten auf bestimmte Personengruppen beschränkt. Eltern von kleinen Kindern oder Menschen mit Schlafstörungen etwa habe man von der Befragung ausgeschlossen.
Betrachtet man die genannten Kritikpunkte, stellt sich die Frage nach einem Interessenkonflikt. Hierzu äußerten sich die Kritiker jedoch verhalten. Es lohnt sich allerdings einen Blick auf die Verteilung der rund 10 Millionen Euro teuren Kosten von NORAH zu werfen: Insgesamt 5,64 Millionen Euro investierten die Umwelthaus GmbH, Fraport und Luftverkehrsgesellschaften – zu jeweils unterschiedlichen Anteilen – in die Untersuchung. Den Rest übernahmen das Bundesland Hessen und die Kommunen. Kaltenbach kommentiert die Frage nach der Unabhängigkeit der Studie so: „Die Studie ist nicht so wissenschaftlich fundiert, wie man es von einer Zehn-Millionen-Euro-Studie erwarten müsste.“ Es überrascht kaum, dass der Flughafenbetreiber die Gesundheitsrisiken durch Fluglärm als minimal einschätzt und dies nun auch angesichts einiger Studienergebnisse bestätigt sieht. In immerhin zwei Punkten erkennt Prof. Kaltenbach Vorteile: „Es wurde aber bestätigt, dass sich die Bevölkerung zunehmend vom Lärm gestört fühlt und sie besonders der Fluglärm nervt.“ Außerdem könne die Studie untermauern, dass das Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen zwischen 23 und 5 Uhr unbedingt beibehalten werden müsse, wobei eine Ausdehnung auf acht Stunden aus medizinscher Sicht unabdingbar sei. Prof. Münzel resümierte kurz nach Erscheinen der Studie: „Fluglärm ist ein neuer Herz-Kreislauf-Risikofaktor, den weder wir als Ärzte noch die Patienten beeinflussen können, sondern nur die Politik.“