Die Alzheimer-Krankheit könnte zukünftig über einen Bluttest diagnostiziert werden. Doch die Frage ist: Was soll die Früherkennung einer unheilbaren Krankheit bringen? Meine Einschätzung als Neurologe.
Zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit gibt es derzeit außer den symptomatischen Ansätzen keine anderen Therapieoptionen. Bislang gilt die Erkrankung als unheilbar. Die Forschung auf diesem Gebiet war in der letzten Zeit vorallem durch Misserfolge geprägt, DocCheck berichtete. Gleichzeitig häufen sich auch immer wieder Meldungen über Bluttests, die eine frühe Diagnose der Erkrankung möglich machen soll. Doch was soll die frühzeitige Diagnose einer unheilbaren Erkrankung überhaupt bringen?
Die Bestimmung von Biomarkern (Aß42, Aß40, p-tau und t-tau) ist seit einigen Jahren fester Bestandteil der Diagnose einer Demenz vom Alzheimer-Typ (z.B. S3-Leitlinie). Bisher erfolgt deren Bestimmung in Gedächtnisambulanzen sowie spezialisierten Praxen routinemäßig im Liquor cerebrospinalis über eine Lumbalpunktion oder in besonderen Fällen durch ein Amyloid-PET.
Das Amyloid-PET ist teuer (Kosten von ca. 2.000 Euro) und führt zu einer relevanten Strahlenbelastung. Eine Lumbalpunktion verursacht als Hauptnebenwirkung bei älteren Patienten zwar signifikant weniger post-punktionelle Kopfschmerzen als bei jüngeren Personen, ist jedoch invasiver als eine simple Blutentnahme und kann deshalb nur nach sorgfältiger Indikationsstellung und Aufklärung erfolgen.
Insofern wird seit vielen Jahren versucht, Verfahren zu entwickeln, die die Diagnosestellung einer Demenz vom Alzheimer-Typ auf der Basis von Biomarkern im Blut ermöglichen. Das Problem ist jedoch, dass Blut aufgrund der riesigen Zahl an unterschiedlichen Molekülen und Zellformen eine um ein Vielfaches komplexere Flüssigkeit ist als Liquor.
Darüber hinaus ist die Konzentration der eingangs erwähnten Alzheimer-spezifischen Proteine im Blut signifikant niedriger als im Liquor. In diesem Zusammenhang ist ein gerade erschienener Artikel in Neurology relevant, in dem gezeigt wird, dass das Verhältnis von Aß42 zu Aß40 im Blut mit hoher diagnostischer Genauigkeit die entsprechenden Veränderungen, gemessen im Liquor oder mittels Amyloid-PET vorhersagen kann. Der Verhältniswert von Aß42, dem Protein, das primär zu den Plaque-Ablagerungen im Gehirn führt und Aß40 gilt als besonders sensitiver Parameter im Nachweis einer Alzheimerpathologie.
Wesentlich ermöglicht wurden die aktuellen Ergebnisse durch die Kombination von Immunpräzipitation zur Konzentration der verschiedenen Aß-Proteine und einer Flüssigkeitschromatografie-Massenspektrometrie, bei der die Einzelsubstanzen nach weiterer Auftrennung durch das chromatografische Verfahren massenspektrometrisch quantifiziert werden können.
Ein besonders interessanter Punkt der Studie ist die Tatsache, dass bei einem Teil der Patienten Veränderungen der Aß-Proteine im Blut bereits zu einem Zeitpunkt nachgewiesen werden konnten, bevor analoge Veränderungen im Liquor bzw. mittels Amyloid-PET auftraten. Aktuell werden verschiedene Verfahren erprobt, um das Problem der niedrigen Konzentration von Aß-Proteinen im Plasma zu lösen. Eine deutsche Arbeitsgruppe hat z.B. ein 2-Schritt-Verfahren entwickelt, in dem zunächst eine Ausfällung und Konzentrierung und anschließend die Detektion von Aß-Proteinen mittels Immunassay erfolgt. Auch hier konnte mit hoher diagnostischer Genauigkeit die entsprechende Proteinveränderung im Liquor vorhergesagt werden.
Man könnte an dieser Stelle natürlich etwas ketzerisch fragen, was denn der Nutzen einer erleichterten und möglicherweisen frühzeitigeren Diagnostik einer Demenz vom Alzheimer-Typ ist, eine Krankheit gegen die derzeit kein rechtes Kraut zu wachsen scheint und die der Blues enttäuschter Studienhoffnungen umweht (Doccheck berichtete).
Aber es ist eben so, dass häufig zunächst diagnostische Fortschritte in der Medizin ein besseres pathophysiologisches Verständnis und damit letztlich einen Therapiefortschritt ermöglichen. Die moderne Kardiologie beispielsweise wäre ohne die Entwicklung des Herzkatheters, der natürlich auch zu einem vertieften Verständnis der Physiologie des Herzens geführt hat, gar nicht vorstellbar.
Ein Kardinalproblem bisheriger Therapiestudien bei der Demenz vom Alzheimer-Typ bestand wahrscheinlich darin, dass die Intervention zu spät einsetzte und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Amyloid-Akkumulation im Gehirn bereits so weit fortgeschritten war, dass sie nicht mehr signifikant beeinflusst werden konnte. Hier könnte eine erleichterte und frühzeitigere Diagnostik mittels eines Bluttests wahrscheinlich in zweierlei Weise hilfreich sein.
Zum einen durch eine frühzeitigere Identifikation potentiell geeigneter Studienprobanden, zum anderen dadurch, dass der invasiveren Lumbalpunktion bzw. der kostenintensiven Untersuchung mittels Amyloid-PET eine relativ einfache und weniger kostenintensive Diagnostik vorgeschaltet wäre. Durch die effiziente Vorselektion würden Studienkosten, die derzeit im Bereich vieler Hunderte von Millionen Euro liegen, deutlich reduziert und die Zielgruppe untersuchter Probanden wäre homogener.
Wahrscheinlich würde die frühzeitige Identifikation von Risikopersonen für eine Demenz auch zu einem besseren Verständnis von Pathomechanismen letzterer beitragen, z.B. dadurch, dass man andere Symptome fände als die klassische Gedächtnisstörung, die derzeit ein frühes Leitsymptom einer Demenz vom Alzheimer-Typ darstellt. Insofern darf man – insbesondere aus neurologischer Perspektive – positiv gespannt sein, was die Forschung der nächsten Jahre bei diesem weit verbreiteten Krankheitsbild bringen wird.
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