Über Jahre und Publikationen hinweg hat ein vormals renommierter Krebsforscher nachweislich die Ergebnisse seiner Arbeit fälschen und doch in großen Fachzeitschriften veröffentlichen können. Ein Einzelfall oder sind Lug und Betrug in der Wissenschaft etwa an der Tagesordnung?
Mit dem finalen Urteil des US-amerikanischen Office of Research Integrity (ORI) endete jüngst einer der größten Skandale in der Geschichte der medizinischen Wissenschaften. Der Onkologe Dr. Anil Potti hatte zwischen 2006 und 2009 mit der Erforschung genetischer Prädiktoren für den Therapieerfolg und die Prognose bei Brust- und Lungenkrebs großes Aufsehen in der Forschergemeinde erregt und seine gefälschten Ergebnisse bis in die renommiertesten Fachzeitschriften gebracht. Auf diese Weise hatte er sogar das Krebsforschungsinstitut der anerkannten National Institutes of Health (NIH) als staatlichen Sponsor für großangelegte klinische Studien gewinnen können. Nach einer jahrelangen Odyssee wurde er nun vom ORI mit einer fünfjährigen Fördergeldsperre belegt – und zwar nur er. Viele kritisieren die Milde des Urteils und fordern Konsequenzen für Mitwisser und Mittäter.
Schon nach der ersten Veröffentlichung hatten Biostatistiker erhebliche Zweifel an der Validität von Pottis Daten geäußert – ohne Folgen. Selbst die Warnungen eines Whistleblowers aus Pottis Labor an der Duke University und eine interne Untersuchung derselben verpufften zunächst. Bezeichnenderweise flog die Scharade erst durch eine Lüge in Pottis Vita auf – er hatte sich ein Oxford-Stipendium angedichtet – und nicht durch den jahrelangen Betrug in und an der Wissenschaft. Danach ging plötzlich alles sehr schnell: Potti wurde suspendiert, Publikationen zurückgezogen, Studien gestoppt, Fördergeldzahlungen eingestellt. Das über weite Strecken zögerliche Verhalten der Duke University rückte auch Kollegen von Potti in den Kreis der Verdächtigen, doch die seien alle von ihm getäuscht worden, hieß es. Potti selbst schwieg zu der Sache, sodass die Hoffnungen auf den Ermittlungen des ORI ruhten. Doch zur Enttäuschung vieler entpuppte sich das staatliche Kontrollorgan einmal mehr als zahnloser Löwe. Statt nach Hintermännern und Mittätern zu suchen oder einen Strafprozesses einzuleiten, traf man eine fragwürdige Vereinbarung mit dem Hauptverdächtigen, der bis heute kein Schuldgeständnis abgelegt hat. Bereits vergangenes Jahr war ein AIDS-Forscher nach gefälschten Impfuntersuchungen mit einer Dreijahressperre vom ORI davongekommen. Der Biostatistiker Dr. Keith Baggerly und die Forschungsethikerin Prof. C. K. Gunsalus stellen dem ORI im Cancer Letter ein verheerendes Zeugnis aus: „In einem Fall von Millionen Dollar an verschwendeten Steuergeldern, gefälschter Forschung von vorne bis hinten, Hunderten von geschädigten Patienten und einer erbärmlichen, behördlichen Resonanz wird nun ein einziger Forscher mit einer Fünfjahressperre für staatliche Fördergelder belegt.“
Das Beispiel aus Übersee bildet traurigerweise nur die Spitze eines Eisbergs, der unter der Oberfläche beängstigende Ausmaße aufzuweisen scheint. In einer Artikelserie des Lancet urteilten die Autoren vergangenes Jahr, dass 80 Prozent der biomedizinischen Forschungen Abfall seien, da sie sich nicht reproduzieren ließen. Einer der populärsten Betrugsfälle dieser Art war die angebliche Umkehr der Zellalterung mit einfacher Zitronensäure, die es letztes Jahr sogar ins Nature schaffte, bevor der Artikel zurückgezogen wurde. Mit Blick auf die von 2001 bis 2010 um das Neunzehnfache gestiegene Zahl zurückgezogener Studien – in zwei Dritteln der Fälle sei wissenschaftliches Fehlverhalten ursächlich gewesen – fordert der Pädiater Dr. Zulfiqar Bhutta im British Medical Journal härtere Konsequenzen für die Betrüger: „Es ist Zeit, solches Verhalten in dieselbe Kategorie einzuordnen wie andere kriminelle Aktivitäten.“ Hierzulande kümmert sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) um Betrugsfälle in der Wissenschaft, meist auf konkrete Zurufe aus der Forschergemeinde, sodass von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Das deutsche Pendant zu Potti ist dabei der Onkologe Prof. Friedhelm Herrmann, dem man schon zu Beginn des Jahrtausends in sage und schreibe 100 seiner 350 Veröffentlichungen nachwies, manipuliert zu haben. Die DFG konnte ihn zwar vor Gericht zerren, doch gegen eine Auflage zur Zahlung von 8.000 Euro wurde das Verfahren rasch eingestellt. Die DFG-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek betont aber, dass der Verlust des Ansehens die schlimmere Strafe sei: „Wer bei der DFG über Jahre keinen Antrag mehr stellen darf, dessen Reputation ist dahin.“ Für die Wissenschaft und in ihr werde daher akzeptiert, dass es ein abgeschlossenes System ist, das sich selbst reinigt.
Wissenschaftliches Fehlverhalten ist jedoch wesentlich facettenreicher, als es zunächst den Anschein hat. Denn bei den wenigsten Verdachtsmomenten handelt es sich um unzweifelhafte Betrugsfälle. „Wenn es nicht gerade um ein Plagiat geht, kann die Feststellung eines Betrugs sehr aufwendig sein“, gesteht DFG-Ombudsmann Wolfgang Löwer. „Nehmen wir den Schatten auf einer Aufnahme eines bildgebenden Verfahrens: Zeigt sie eine Stammzelle oder nur ein Artefakt? Liegt dann eine Täuschung vor? Ist diese vorsätzlich? Oder handelt es sich um schlechte Wissenschaft?“, erläutert Löwer die Problematik. Dadurch bestehe die Gefahr, dass ehrliche Kollegen zu Unrecht an den Pranger gestellt würden. „Wir müssen die Wissenschaftler vor solchen Beschuldigungen schützen, die manchmal schon fast krankhaft sind“, erklärt DFG-Generalsekretärin Dzwonnek. Der Großteil wissenschaftlichen Fehlverhaltens spielt sich somit in einer gewaltigen Grauzone ab, die sich im Schatten von Datenfälschungen und Plagiatsvorwürfen erstreckt. Dort wird getrickst und geschummelt, was das Zeug hält, wie Danielle Fanelli von der University of Edinburgh in einer Umfrage herausfand. Lediglich zwei Prozent der befragten Wissenschaftler gaben nämlich an, schon einmal bewusst Daten gefälscht zu haben, doch ein Drittel gab zu, unpassende Resultate unterdrückt, geschönt oder die Fragestellung den Ergebnissen angepasst zu haben. Solcherlei Vorgehensweisen werden verklärend auch als Chrysalis Effect (Entpuppungseffekt) oder einfach als selektives Publizieren bezeichnet und gelten offenbar als gängige Praxis in einem System, das erschreckende Parallelen zum Doping-Geschäft im Leistungssport aufweist – Legitimierung durch Normativität.
Auf der Suche nach den Beweggründen stößt man auf zwei Motive, die ebenfalls denen aus der Welt des Spitzensports ähneln: Zukunftsangst und Geltungsdrang. „Es kommt vor allem in den Lebenswissenschaften zu einer Beschleunigung. Der Druck nimmt zu und dadurch die Gefahr und manchmal auch die Neigung, bewusst oder unbewusst Fehler zu begehen“, weiß Dorothee Dzwonnek. Angetrieben wird diese Entwicklung oftmals durch Geldgeber, sei es in Form von staatlichen Fördermitteln oder Pharma-Sponsoren, die sich von ihren Investitionen möglichst bahnbrechende Ergebnisse versprechen. Florence Bourgeois von der Harvard Medical School fand heraus, dass ein Drittel der öffentlich geförderten Studien ihre Hypothese bestätigen konnte, bei Pharma-Studien waren es absurde 89 Prozent. Das Geld drängt die Wissenschaftler in eine gefährliche Bringschuld, vor allem wenn sie darauf angewiesen sind. Als Indikator für den Stellenwert neuer Forschungsergebnisse gilt aber heutzutage nicht etwa die Bewertung durch den Finanzier oder andere Kollegen, sondern die Veröffentlichung in renommierten Fachzeitschriften. „Wie die Wall Street mit der Bonus-Kultur brechen muss, so muss die Wissenschaft die Tyrannei der Luxus-Journale brechen“, mahnt Randy Schekman, Nobelpreisträger für Medizin von 2013. „Das Ergebnis wird bessere Forschung sein“, glaubt er. Denn die Magazine würden vor allem an der eigenen Reputation arbeiten. „Studien, die Hypothesen nicht bestätigen, werden nicht publiziert“, kritisiert Thomas Kühne, Herausgeber des Journal of Unsolved Questions, in dem Studien veröffentlicht werden, die nicht das Wunschergebnis erbracht haben. Denn das Scheitern könne die Wissenschaft sogar weiter bringen als eine Bestätigung, findet Kühne – ganz ohne Fälschungen und ohne Schummelei.