Bei Neugeborenen lässt sich mit einem einfachen Bluttest die Erbkrankheit Mukoviszidose diagnostizieren, wie eine Studie zeigen konnte. Die dadurch mögliche frühzeitige Behandlung könnte körperliche Entwicklung und Lungenfunktion der kleinen Patienten verbessern.
Jährlich kommen in Deutschland rund 170 Kinder mit Mukoviszidose zur Welt; ungefähr eines von 4.200 Neugeborenen ist betroffen. Mukoviszidose ist eine immer besser behandelbare Multisystemerkrankung, die autosomal-rezessiv vererbt wird. Fehler in beiden Kopien des genetischen Bauplans des Proteins CFTR lassen die Sekrete in Lunge und Verdauungstrakt austrocknen und führen schon im Kindesalter zu schweren Funktionseinbußen von Bauchspeicheldrüse, Lunge, Leber und Darm. Zäher Schleim verklebt die Atemwege. Dies begünstigt chronische Infektionen sowie Entzündungen und führt zu bleibenden Lungenschäden. Eindeutige klinische Symptome machen sich oft erst im Alter von mehreren Jahren bemerkbar. Bis dahin unentdeckte Veränderungen, vor allem in der Lunge, sind dann meist nicht mehr rückgängig zu machen. Um das zu verhindern, werden in vielen Ländern schon seit einigen Jahren alle Neugeborenen auf Mukoviszidose getestet.
Obwohl es sich immer deutlicher zeigt, dass ein möglichst früher Therapiebeginn sich vorteilhaft für Mukoviszidose-Patienten auswirkt, sind in Deutschland Befürworter eines flächendeckenden Neugeborenen-Screenings bislang auf große Hindernisse gestoßen: „Ein großes Problem war, dass das in anderen Ländern übliche Screening neben einem biochemischen Test auch eine DNA-Untersuchung enthält“, berichtet Georg Hoffmann, Ärztlicher Direktor der Klinik Kinderheilkunde I der Universität Heidelberg. In Deutschland sind der Erbgut-Analyse durch das Gendiagnostikgesetz enge Grenzen gesetzt: „Sie erfordert in jedem Einzelfall eine vorherige, eingehende Beratung durch einen Humangenetiker, was im Rahmen eines Screenings aller Neugeborenen kaum machbar ist“, erklärt Marcus Mall, Direktor des Zentrums für Translationale Lungenforschung und Leiter der Sektion Pädiatrische Pneumologie und Allergologie und des Mukoviszidose-Zentrums Heidelberg. Zudem untersagt das Gesetz den Einsatz von DNA-Untersuchungen bei autosomal-rezessiven Erbkrankheiten wie Mukoviszidose, wenn die Möglichkeit besteht, dass dadurch Personen entdeckt werden, die nur eine Kopie des mutierten Gens besitzen, es also weitervererben können, aber selbst nicht erkranken. Um auf eine DNA-Untersuchung verzichten zu können, adaptierten Mall und Hoffmann einen weiteren biochemischen Test für das Screening und boten die Kombination aus zwei biochemischen Tests im Rahmen einer großen klinischen Studie an. Insgesamt 328.176 Neugeborene aus dem Südwesten von Deutschland und dem östlichen Teil von Sachsen wurden dabei in einem Zeitraum von fünf Jahren auf Mukoviszidose getestet, bei 60 Kindern war das Ergebnis positiv. Die Dietmar Hopp Stiftung und das Deutsche Zentrum für Lungenforschung finanzierten die Studie. Wie Hoffmann und Mall in einem Artikel [Paywall] in der Fachzeitschrift Pediatric Pulmonology berichten, entdeckt die neue Kombination aus zwei biochemischen Tests sehr zuverlässig betroffene Kinder und war dabei noch empfindlicher als die in anderen Ländern verwendete Kombination mit einem Gentest. Die positiven Ergebnisse der Studie haben maßgeblich zur kürzlich erfolgten Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses beigetragen, dass ab Frühjahr 2016 jedes Neugeborene in Deutschland auf Mukoviszidose untersucht werden kann.
Bei den in der Studie getesteten Neugeborenen erfolgte die Untersuchung auf Mukoviszidose aus der gleichen Blutprobe wie das etablierte Neugeborenen-Screening, mit dem bislang 14 angeborene Stoffwechsel- und Hormonerkrankungen erfasst wurden. Die Blutentnahme fand in den ersten drei Tagen nach der Geburt statt. Wenige Tropfen Blut aus der Ferse der Kinder genügten für beide biochemischen Tests: Zuerst bestimmten die Mediziner die Konzentration des immunoreaktiven Trypsinogens (IRT) – einer Vorstufe eines Enzyms, das in der Bauchspeicheldrüse gebildet und in den Darm abgegeben wird, wo es in seiner aktiven Form Nahrungsbestandteile spaltet. IRT gelangt vermehrt ins Blut, da bei Mukoviszidose-Patienten die Bauchspeicheldrüse durch den zähen Schleim verstopft ist und es zu einem Rückstau von Trypsinogen kommt. Bei 3.305 Neugeborenen war der IRT-Test positiv, das heißt der vorher festgelegte Grenzwert für IRT wurde überschritten. In deren Blutprobe maßen die Mediziner zusätzlich die Konzentration des Pankreatitis-assoziierten Proteins (PAP). Das Stressprotein entsteht, wenn sich die Bauchspeicheldrüse entzündet. Bei 566 der IRT-positiven Neugeborenen fiel auch der PAP-Test positiv aus. Sie wurden deshalb – zusammen mit 73 weiteren Neugeborenen, die einen besonders hohen IRT-Wert aufwiesen, aber PAP-negativ waren – in einem Mukoviszidose-Zentrum mithilfe des Schweißtests genauer untersucht: Von diesen Neugeborenen hatten 60 eine erhöhte Chlorid-Konzentration in ihrem Schweiß, was als sicherer Nachweis der Mukoviszidose gilt.
Sowohl der IRT- als auch der PAP-Wert liegen bei Mukoviszidose-Patienten fast immer bereits bei der Geburt deutlich über den Grenzwerten. Es kommt allerdings immer wieder vor, dass bei eigentlich gesunden Neugeborenen einer der beiden Werte erhöht ist. Deshalb führt erst die Kombination beider Werte zu einer ausreichend hohen Trennschärfe, die gewährleistet, dass möglichst wenig gesunde Neugeborene ein falsches positives Testergebnis erhalten. In der aktuellen Studie betrug die Spezifität der Kombination aus beiden biochemischen Tests 99,8 Prozent und die Sensitivität 96,0 Prozent. Aufgrund der im Screening-Protokoll festgelegten Grenzwerte für IRT und PAP gab es etwas mehr als 500 falsch-positive und vier falsch-negative Testergebnisse. „Würde man durch eine Veränderung der Grenzwerte die Zahl der falsch-positiv getesteten Neugeborenen verringern, würde sich die Zahl der falsch-negativ getesteten Neugeborenen erhöhen – mit der fatalen Folge, dass bei diesen Kindern die Krankheit erst viel später entdeckt werden würde“, erklärt Hoffmann. „So hätten aber fast alle Kinder mit Mukoviszidose die Chance, bereits im Alter von drei Wochen eine Therapie zu erhalten.“ Im Mittelpunkt der symptomorientierten Behandlung stehen dabei eine Physiotherapie zur Sekretmobilisation, ein früher Einsatz von Antibiotika bei Atemwegsinfekten, um den Übergang von einer Bronchitis zu einer Lungenentzündung zu verhindern und die Inhalationstherapie, um die zu trockenen Schleimhäute der Betroffenen ausreichend zu befeuchten. Bislang verwendeten Mediziner meist eine isotone oder hypertone Kochsalzlösung für die präventive Inhalationstherapie, ohne dass deren Wirkung ausreichend belegt wäre. Das Team um Mall testet nun zum ersten Mal im Rahmen einer randomisierten, doppelblinden Studie, wie sich das Inhalieren unter anderem auf die Lungenfunktion von 40 Säuglingen mit Mukoviszidose auswirkt: Über einen Zeitraum von einem Jahr muss jeder der kleinen Teilnehmer zwei Mal täglich entweder eine isotone oder hypertone Kochsalzlösung inhalieren. Mit Ergebnissen rechnet Mall in der zweiten Jahreshälfte 2016. Originalpublikation: Five years of experience with biochemical cystic fibrosis newborn screening based on IRT/PAP in Germany [Paywall] Olaf Sommerburg et al.; Pediatric Pulmonology, doi: 10.1002/ppul.23190; 2015